Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (1972, Jg. 4, H. 15-16)

samtgesellschaftliche Bewegung; (3) der von einer sol- 
chen "sozialistischen Wissenschaftlichkeit" mitlegiti- 
mierten zentralistischen Organisation und Bestimmung 
des politischen und gesellschaftlichen Kampfes. 
In einer Phase des westeuropäischen Spätkapitalismus 
also, in der 1. durch die Ungleichzeitigkeit der beste- 
henden Strukturen die Fortgeschrittenheit ihrer Kon- 
fliktpotentialität verschieden ist, 2. innerhalb neuen 
Erscheinungsformen kapitalistischer Krise (Struktur- 
probleme, Arbeitsorganisation) die Irrationalitüt des 
Gesamtsystems in den Blick gerit und also nicht ''von 
außen'' hereingeholt werden muß, 3. der relevante 
demokratische Kampf selbst (sei es im Produktions- 
oder Reproduktionsbereich) zunehmend nur in direkten, 
flexiblen Widerstandsformen geführt werden kann, die 
sich zum Teil schon außerhalb etablierter Legalität 
befinden, 4. die breiten gesellschaftlichen Konflikte eine 
eindeutige Priorität haben, da systementscheidende 
politische Konflikte (für die eine Straffung und Zentrali- 
sierung notwendig wäre) nicht in Sicht sind, in dieser 
Phase trägt der skizzierte ideologische Komplex ent- 
scheidend dazu bei, daß innerhalb der KP-Strategien 
die Fortschrittlichkeit der Konflikte auf ihren kleinsten 
gemeinsamen Nenner herabgedrückt werden, daß die 
Radikalität der demokratischen Kämpfe durch das Lega- 
litätsbedürfnis des zentralisierten politischen Apparates 
herabgedrückt wird in die Nähe der pseudodemokrati- 
schen Forderungen, die den Konsensus für 'Sachent- 
scheidungen" des Monopolkapitals institutionalisieren 
wollen ("Mitbestimmung!'). Dadurch gewinnt auch die 
Demokratisierungsstrategie der DKP im Reproduktions- 
bereich (Kommunen) die Ambivalenz reformistischer 
Konzeptionen. 
Ein weiteres reformistisches Konzept zur Arbeit im 
Reproduktionsbereich entwickelten die Jungsozialisten 
in der SPD. In den "Materialien zur kommunalpoliti- 
schen Konferenz" werden die auf der Ebene der Kom- 
mune auftretenden Konflikte vor dem Hintergrund des 
Zentralisierungsprozesses des Kapitals und der staat- 
lichen Gewalt untersucht. Vermag die dort erarbeitete 
Analyse die Plausibilititsebene noch nicht zu verlassen 
was hier nicht Gegenstand der Kritik ist, so wird doch 
aus ihr selbst schon deutlich, in welchem Dilemma 
eine reformistische Strategie, die Selbstorganisation 
an die Hoffnung unmittelbaren Erfolgs qua schrittwei- 
ser institutionalisierter Veründerung bindet, sich be- 
findet. Im Rahmen der formulierten ""Doppelstrategie" 
von "Aktivierung der Wohnbevölkerung" und '"Ver- 
änderung der kommunalpolitischen Institutionen" erhebt 
sie den Anspruch, auf Kommunalebene auftretende 
Konflikte dort auch wieder zu beseitigen. Dabei wird 
verkannt, daB die einzelne Gemeinde oder Stadt zwar 
Erscheinungsort von Konflikten im Reproduktionsbe- 
reich, nicht jedoch auch zugleich der Ort ihrer Lósung 
ist. Wie wir nachwiesen, werden die kommunalen Insti- 
tutionen in demselben MafBe, wie sich dort die Konflikte 
verschärfen, zunehmend unfähig, zu ihrer Lösung ihnen 
initiativ zu begegnen. Dies macht deutlich, daß vor 
dem Hintergrund zunehmender Machtkonzentration die 
Fixierung auf lokale Institutionen und unmittelbaren 
Erfolg durch deren Veränderung mittels lokaler ad hoc 
Organisation perspektivlos ist. 
Daß die Jungsozialisten dies mittlerweile eingesehen 
haben, geht aus dem Artikel K.D. Voigts in "express 
international'' vom 1.10.1971 hervor, wo er bemerkt. 
ARCH+ 15 (1971-3) 
daB "lokale Aktionen zentrale Machtpositionen der Ka- 
pitalisten nur erschüttern kónnen, wenn sie zunehmend 
regional und überregional ausgeweitet und koordiniert 
werden. "Von der eigenen Position her kinnen jedoch 
keine Schlüsse aus dem erwiesenen Scheitern des Kon- 
zepts schrittweiser institutioneller Veränderung auf 
Kommunalebene gezogen werden. Erfüllten sich die 
Hoffnungen auf eine unmittelbare Verbindung von Kon- 
fliktartikulation und Konfliktlösung auf Kommunalebene 
nicht, so werden sie auf Bundes- oder Landesebene 
reproduziert. Auch hier soll Organisierung wieder hel- 
fen, daß "die Ziele der Mobilisierung und Politisierung 
institutionell und durch Gesetze und Verwaltungsent- 
Scheidungen abgesichert werden kónnen". Anzumerken 
bliebe noch, daB auf jeden eventuellen Erfolg einer sol- 
chen "Doppelstrategie", also die Institutionalisierung 
von gegen die monopolkapitalistische Entwicklung ge- 
richteten Strukturreformen, das System mit einer 
akuten Krise reagieren würde, bei deren spezieller 
Erscheinungsform die Jungsozialisten notwendig kon- 
zeptlos, die politisch Rechten als rigide Stabilisatoren 
die eigentlichen Gewinner sein würden. Dies zur Strate- 
gie der Jungsozialisten. 
Ein anderes Konzept der Arbeit im Reproduktionsbe- 
reich wurde im Kontext der Studentenbewegung ent- 
wickelt, in der in der BRD erstmals nicht-traditionali- 
stische sozialistische Forderungen massenhaft artiku- 
liert und praktisch zu wenden versucht wurden. Kenn- 
zeichnend war, daß hier "Protest" gegen das "System" 
niemals nur hochschulbezogen war, daß der Totalitäts- 
anspruch sozialistischer Arbeit - eine Begründung für 
Ansätze im Reproduktionsbereich - sich in ihr als 
Hauptmoment durchzieht. 
Sie selbst war unter anderem spontane Reaktion in 
einem der von uns angesprochenen Konfliktfelder, dem 
Ausbildungsbereich, versuchte als erste sich ver- 
schärfende strukturelle gesellschaftliche Konflikte im 
Reproduktionsbereich zu artikulieren und auf den Be- 
griff zu bringen. Die weitgehende Vernachlässigung 
des Produktionsbereiches war dabei durch verschiede- 
ne Momente bedingt, von denen wir nur einige nennen 
möchten: die klassenbeschränkten Möglichkeiten von 
Wirklichkeitserfahrung, den relativ ungestörten Akku- 
mulationsprozeß in der ersten Phase der Nachkriegs- 
entwicklung, in dem das Problem der Krise praktisch 
nicht relevant erschien, der Glaube an die Latenz der 
Widersprüche in der kapitalistischen Produktion selbst 
Diese Momente verzerrten zugleich die Perspektiven 
einer Arbeit in den Stadtteilen, Wohnvierteln, Schulen 
und Universitäten, blieben doch die materiellen Ver- 
hältnisse selbst undurchdrungen. Dies kommt sowohl 
in Marcuses "Apparat"-These wie auch Offes "Dispa- 
ritüten'- These - beide bestimmten Arbeitsansütze im 
Reproduktionsbereich mit - zum Ausdruck. In seinem 
Aufsatz "Politische Herrschaft und Klassenstrukturen" 
(192) reflektiert letzterer richtig auf das in den infra- 
strukturellen Bereichen (etwa: Wohnung, Verkehr, 
Ausbildung) angelegte Konfliktpotential. Da er dort 
auftretende Erscheinungen jedoch nur politizistisch, 
nicht jedoch politisch-ökonomisch ableitet, vermag er 
die auftretenden Probleme weder schlüssig zu erklä- 
ren noch einzuordnen. Dort, wo - wie wir heute wissen 
die Interessen der großen Kapitale unmittelbar virulent 
werden, vermutet er systemferne Randbereiche, dort, 
wo es gelten würde, die auftretenden Konflikterschei- 
nungen zur Produktion zu vermitteln, schneidet er 
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