Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (1972, Jg. 4, H. 15-16)

Christoph Feldtkeller 
ANMERKUNGEN ZU LEONARDO BENEVOLO: 
"DIE SOZIALEN URSPRÜNGE DES MODERNEN 
STADTEBAUS"Y 
(1) 
Drei Jahre nach seinem inzwischen berühmt geworde- 
nen Hauptwerk, im deutschen Titel: ' Geschichte der 
Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts' trat Bene- 
volo mit einem kleineren Buch, das nun ebenfalls in 
deutscher Sprache vorliegt, an die Óffentlichkeit. Mit 
diesem Buch macht Benevolo einen gegenüber seinem 
ülteren Buch neuen, explizit politischen Ansatz: Wer- 
den in den Mittelteilen des Buches zum einen die Pla- 
nungen des utopistischen Sozialismus (Owen, Saint- 
Simon, Fourier, Cabet, Godin), zum andern die Bau- 
gesetzgebung in England und Frankreich zwischen 1820 
und 1848 behandelt, so versucht Benevolo mit den ein- 
leitenden und abschließenden Kapiteln den allgemeinen 
gesellschaftlichen Hintergrund bzw. die gesellschaft- 
lichen Auswirkungen dieser Planungen darzustellen; 
insbesondere liegt ihm daran, einen Bezug herzustel- 
len zu den ökonomischen und ideologischen Momenten 
der gesellschaftlichen Entwicklung. Eine wesentliche 
Rolle spielt in diesem Zusammenhang für Benevolo das 
Jahr 1848, in dem sich der politische Charakter der 
modernen Stadtplanung grundlegend gewandelt hat - 
jedenfalls nach Benevolo’s Einschätzung. 
Mit diesem Buch möchte Benevolo einen Beitrag leisten 
zur Diskussion um die Stadtplanung der Gegenwart. 
Zugleich möchte er die Darstellung der stadtplanerischen 
Entwicklung in seinem älteren Buch revidieren, deren 
Hauptschwäche darin liege, daß die architektonische 
und städtebauliche Entwicklung nicht mit der politi- 
schen Entwicklung um 1848 in Zusammenhang gesehen 
wird. 
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Insofern, als die historische Erforschung des Zusam- 
menhangs zwischen der Stadtplanung und den ókonomi- 
schen und ideologischen Momenten der gesellschaftli- 
chen Entwicklung ein wichtiger Beitrag würe zur Klá- 
rung der Frage nach der strategischen Relevanz der 
Utopie und des Kampfes um Reformen für die Entwick- 
lung des Klassenkampfs, also der Frage, wie Utopie 
und Reformkampf einzubeziehen sind in die revolutio- 
nüre Strategie, und - im Hinblick auf die in der óffent- 
lichen Planung Tätigen - welche Rolle der Berufspraxis 
von Planern in bürgerlichen Institutionen im Zusammen- 
hang mit dem Aufbau einer von den bürgerlichen Insti- 
tutionen unabhängigen antikapitalistischen Organisation 
beigemessen werden kann, ist das Thema des Buches 
geeignet, entsprechende Hoffnungen zu wecken. Aber 
gerade hier weist das Buch große Schwächen auf. Auf 
sie soll im folgenden hingewiesen werden. Sie betreffen 
die Bestimmung der marxistischen Position bezüglich 
des Verhültnisses von Utopie und Reform auf der einen 
und Revolution auf der anderen Seite und die Bestim- 
mung des politischen Charakters der Stadtplanung in den 
untersuchten Phasen. 
(3) 
Die Hauptthese des Buches ist folgende: Seit Beginn der 
modernen Stadtplanung (darauf kommen wir noch zu- 
rück) bis 1848 "überschneide'' sich die Stadtplanung 
weitgehend mit dem "frühen Sozialismus". Seit 1848 sei 
die Stadtplanung ihrerseits immer mehr "zur reinen 
Technik im Dienst der herrschenden Klasse" geworden 
und "ins Fahrwasser der neuen konservativen Ideologie' 
geraten. Die Ursache dieses Wandels liege darin, daß 
ARCH+ 15 (1971-3)
	        

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