Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (1973, Jg. 5, H. 17-20)

steckt unter dem Glanz der Kunst. Das Kapital, das 
über sie verfügt, zeigt sich hier nicht nur als Kenner und 
Verehrer der hohen Kultur, sondern es setzt sich deren 
über die Sonderinteressen erhabenen Schein auf, als 
wäre nicht der Profit, sondern als wären die höchsten 
Hervorbringungen des menschlichen Geistes sein bestim- 
mender Zweck. So scheint alles Gute, Edle, Schöne, 
gewaltlos Hohe fürs Kapital zu sprechen. Die Kunst 
wird in Dienst genommen als Blendwerk zur Erzeugung 
des Scheins, die Herrschaft des Kapitals sei legitim und 
sei gleichbedeutend mit der Herrschaft des Guten, 
Wahren. Schönen.“ 6) 
Der Einbruch der Warenproduktion in den Tätig- 
keitsbereich der Architekten und deren bewußt- 
seinsmäßige Verarbeitung 
Sobald jedoch der Bauherr geradeso wie der Automobil- 
fabrikant seine Gebäude als Waren produzieren läßt, 
nämlich zum stückweisen Verkauf durch Vermietung, 
geht es dem Architekten nicht besser als dem Fahrzeug- 
konstrukteur: seine Arbeit dient der Verwertung eines 
eingesetzten Kapitals. Dem Architekten allerdings ver- 
schließt sich die Einsicht in den Tauschwertcharakter 
der Häuserproduktion weitgehend. Er entwirft immer 
noch, wenn nicht für einen ihm bekannten Nutzer, so 
doch für einen ihm bekannten Auftraggeber. Die formale 
Nähe zur vorher geschilderten Situation, die formelle 
Selbständigkeit gegenüber dem produzierenden Kapita- 
listen verschleiert für ihn, daß das. Ziel der Produktion 
eben nicht mehr die Befriedigung von Bedürfnissen des 
Käufers, sondern der Verkauf des Produkts und damit die 
Verwertung des angelegten Kapitals, d.h. die Realisation 
von möglichst viel Profit ist. 
In dem Maße jedoch, wie die Arbeit des Architekten nicht 
mehr vorrangig ausgerichtet war auf die Repräsentation 
der Bourgeoisie, sondern die Architekten den Bau von Häu- 
sern übernahmen, die vom Bauherrn nicht selbst genutzt, 
sondern vermietet wurden, trat gegenüber dem humanistisch- 
künstlerischen Anspruch „Architekt als Träger des abend- 
ländischen Kulturgutes‘“ der humanistisch-sozialkritische 
Anspruch “Architekt als Sozialanwalt der Mieter“ in den 
Vordergrund. Dieser sozialreformerische Anspruch blieb 
jedoch befangen in der idealistischen Gebrauchswertfixie- 
rung, die unterstellt, es wäre prinzipiell möglich, nach einer 
entsprechenden Aufklärung eine inhumane Wohnsiedlung 
durch eine humane zu ersetzen. Im Gegensatz beispiels- 
weise zum Fahrzeugkonstrukteur ist der Architekt durch- 
aus in der Lage, einen Teil der sozialen Implikationen sei- 
ner Tätigkeit und der Bauproduktion insgesamt zu erkennen 
da er eine unmittelbare Anschauung vom Wohnwert eines 
hafte Summe von 900 000 Mark. Das Borsigsche Wohnhaus 
wurde 1875 begonnen (Berlin, Wilhelmstr. Ecke Voßstraße), 
Architekt Lucae, Vgl. Berlin und seine Bauten. 1966. 
6) Wilhelm Fritz Haug: Kritik der Warenästhetik, Frankfurt 1971 
S. 167. 
unter seiner Aufsicht erstellten Gebäudes hat und sich auch 
in gewisser Weise verantwortlich fühlt. Der Fahrzeugkon- 
strukteur hingegen wird sich — eingespannt in die Waren- 
produktion seines Betriebes — primär der Steigerung des 
Marktanteils des von ihm entworfenen Produkts verpflich- 
tet fühlen und auf Gedanken über die sozialen Implikatio- 
nen seiner Tätigkeit nicht kommen. Sie sind ihm durch 
das Marktgeschehen weitgehend verschleiert. Dem Archi- 
tekten jedoch ist in seiner Gebrauchswertfixierung verschlei- 
ert, daß seinem sozialen Engagement durch die Verwertungs: 
interessen der kapitalistischen Bauproduktion eindeutige 
Grenzen gesetzt sind. Auf eine ausführlichere Kritik dieser 
Illusionen der Sozialanwaltschaft soll hier jedoch verzich- 
tet werden. Sie ergibt sich im Grunde implizit aus den 
folgenden Ausführungen über die Entwicklung der Bau- 
produktion und der dadurch veränderten Architektentätig- 
keit. 
Die zunehmende Komplexität der Planungs- 
aufgaben im entwickelten Kapitalismus 
Wir haben bisher darauf abgehoben, daß diejenige Archi- 
tektentätigkeit, die dem Architekten-Image entspricht, 
Realität eines noch geringen Grades der ökonomischen 
Konzentration ist. Es wäre jedoch falsch — und der Augen- 
schein widerlegt dies auch —, daraus den Schluß zu ziehen, 
daß die oben beschriebene Form der Architektenarbeit 
mit der zunehmenden Konzentration des Kapitals sich 
lediglich arbeitsteilig auflöst. Ebenso verändert, erweitert 
und verlagert sich der gesamte Arbeitsbereich, und dies 
aufgrund spezifischer Bedingungen der BRD-Entwicklung 
geradezu durchbruchartig. 
Man muß sich ins Bewußtsein rufen, daß ökonomische Ge- 
setze sich zwar als langfristige Tendenz durchsetzen, jedoch 
nicht gradlinig, sondern in widersprüchlicher Bewegung. 
Ältere, feudale oder frühkapitalistische, nationale und loka- 
le politische Besonderheiten und Verfestigungen können 
zeitweilig entgegen der allgemeinen Tendenz die Oberhand 
behalten und oft erst aufgrund drohender chaotischer Zu- 
spitzung der Widersprüche weggefegt werden. Dies läßt sich 
auch an der Bauplanung verfolgen und zeigt sich besonders 
kraß in der Entwicklung der 50er Jahre in der BRD: Wäh- 
rend bereits im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts der 
von Marx erwähnte, in großem Maßstab betriebene, 
spekulative Wohnungsbau für den anonymen Markt in den 
europäischen Großstädten keine Seltenheit war, ging noch 
ein 3/4Jahrhundert später aufgrund besonderer politischer 
Konstellationen der Wiederaufbau der deutschen Städte 
nach dem 2. Weltkrieg auf den alten Kleinparzellen in 
kleingewerblicher Einzelobjektplanung vonstatten. Die 
kriegsorientierte, überentwickelte Infrastruktur der Natio- 
nalsozialisten, die ohne grundlegende Umstrukturierung 
auch noch für die intensivierte Belastung der 50er Jahre 
hinreichte, hatte die materielle Basis dafür abgegeben, das 
politisch notwendige Bündnis des geschwächten Großka- 
pitals mit dem Mittelstand durch Konzessionen an die 
Unantastbarkeit des städtischen Grundeigentums herzu- 
stellen. Erst die Zuspitzung in der Krise 66/67 verbreitete 
die Einsicht, daß durch die Vernachlässigung der Entwick- 
lung räumlicher Strukturen, entsprechend der allgemeinen
	        

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