den Agglomerationsvorteile räumlich begrenzter Mono-
funktionsbereiche entgegen. Es lassen sich daher kaum
privatkapitalistische Tendenzen zur Durchsetzung
einer verkehrsarmen, verflochtenen Stadtstruktur finden.
Im Gegenteil: Der Zirkulationsraum im Mittelpunkt
der Region wird ausgeweitet, die Anzahl der City-Arbeits-
plätze vermehrt und weiterer Verkehr erzeugt.
Der Bau von Untergrundbahnen in München, Nürnberg,
Stuttgart, Fraunkfurt und Hannover, der Bau von Stadt-
bahnen im München, Frankfurt und dem Ruhrgebiet,
der Ausbau der vorhandenen Anlagen in Hamburg und
Berlin, mit denen ein Schritt zur Realisierung des Konzepts
getan wird, wird die Funktionsentflechtung und Verkehrs-
erzeugung weiter vorantreiben. So konnte schon jetzt
der Eigner eines großen europäischen City-Warenhaus-
konzerns feststellen, daß die Innenstadt wieder begonnen
hat, ein bevorzugtes Ladenviertel zu werden 48), In den
zwei Jahren bis 1974 wird die Zahl der Einkaufszentren
in den Innenstädten der Großstädte verdreifacht (+ 22
Zentren) werden, während sie in den außerörtlichen
Hauptverkehrslagen nur um die Hälfte (+ 6) zunimmt. 49)
Das Konzept zur Herstellung der großräumlichen Mobili-
tät der Arbeitskräfte in den westdeutschen Stadtregionen
wird nicht nur durch die Bedürfnisse des in der City
konzentrierten Kapitals, sondern auch in der allgemein
mangelhaften Zuordnung vorhandener und zukünf-
tiger Standorte der Arbeitsplätze und der Standorte
der Wohnungen der Arbeitskräfte. Die räumliche Anar-
chie soll durch die Steigerung der Mobilität der Arbeits-
kräfte 50) mit großem Kostenaufwand ausgeglichen
werden. Faktisch soll jeder beliebige Arbeitsplatz im
regionalen Siedlungsraum von jeder Wohnung aus
erreichbar sein. 51)
Optimale Zirkulationsbedingungen der Arbeitskräfte
fordern nicht nur die Kapitale, sondern auch die Ge-
werkschaften, um den Arbeitskräften eine Auswahl
an Arbeitsplätzen zu ermöglichen und sie nicht in
die Abhängigkeit eines marktbeherrschenden lohn-
48)Dreesmann, Rückkehr in die City? ,‚ Frankfurter Allgemeine
Zeitung 20.5.72.
49),.City immer mehr bevorzugt‘, Frankfurter Rundschau
vom 17.5.72.
50)Verkehrsbericht der Bundesregierung 1970, Bonn 1970 und
Städtebaubericht der Bundesregierung, a.a.O.
51)August, Standortkriterien kommunaler Verkehrsplanung:
in: Archiv für Kommunalwissenschaften, 9 Jg., 1970, 1. Halb-
band, Stuttgart, Köln 1970, S. 267
drückenden Unternehmers zu bringen. Dies ermöglicht
wiederum den Unternehmen die Auswahl der geeignet-
sten Arbeitskräfte aus dem regionalen Angebot. Die
zu schaffende räumliche Mobilität der „einheitlichen,
großräumigen Wohn-, Arbeits- und Marktbereiche“ 52)
sichert denn auch die Verfügbarkeit der jährlich in
der Bundesrepublik durch Rationalisierung freigesetzten
800 000 bis 900 000 Arbeitskräfte 53) an anderen, vom
Kapital verfügten Arbeitsplätzen.
Das verkehrspolitische Ziel der Verringerung des Zirku-
lationszwanges durch Verflechtung der städtischen
Funktionen ist um so weniger realiserbar, als die räum-
liche Trennung und Ausweitung der Funktionsbereiche
vorangetrieben wird. Neben der nicht durchsetzbaren
Planung einer verkehrsmindernden Zuordnung der
Funktionen zugunsten der Arbeitskräfte sind die Ar-
beitskräfte selbst nicht in der Lage, ihren Wohnort ver-
kehrsgünstig zu verlegen und in die vorhandenen Woh-
nungen in Nähe des Arbeitsplatzes zu wechseln. Ob-
gleich sie eine verkehrsgünstige Zuordnung wünschen,
können sie dieses Bedürfnis angesichts der Immobilität
des Wohnungsmarktes, vor allem durch anhaltende
Wohnungsknappheit und hohe Mietzinsdifferenzen,
nicht realisieren.
Als Beispiel für verkehrsmindernde Standortentscheidun-
gen sei hier die Diskussion um den Standort des Europä-
ischen Patentamtes 54) angeführt, für dessen Errichtung
in der Münchener Altstadt 800 Bewohner des Museums-
viertels ihre Wohnungen räumen müßten. Die Bewohner
dagegen schlagen vor, das Patentamt dort zu errichten,
wo die im Patentamt Beschäftigten wohnen werden, in
der bereits fertiggestellten, monostrukturierten Neubau-
siedlung München-Perlach. Das Patentamt selbst wünscht
den Standort in räumlicher Nähe des Deutschen Patent-
amtes und der Münchener City. Es lehnt den Standort
Perlach mit der Drohung ab, nach Den Haag zu gehen.
Der Standort Perlach hingegen entspricht den Interessen
der Bewohner des Museumsviertels, die an den Stadtrand
52)Weyl u.a., Ein Rahmenprogramm für die Infrastruktur im
Großraum Hannover; in: Stadtbauwelt, Heft 19 (1969)
Ss. 1428
53)Schätzungen des Rationalisierungskuratoriums der Deutschen
Wirtschaft (RKW) e.V., in: Wirtschaftliche und soziale Aspek-
te des technischen Wandels in der Bundesrepublik Deutsch-
land, Frankfurt/M., 1970, S. 34.
54)Die Diskussion ist für den Zeitraum vom März 1971 bis
Februar 1972 dokumentiert in: tendenzen 82/72, München
1972,58. 10 - 12.
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