Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (1973, Jg. 5, H. 17-20)

den Agglomerationsvorteile räumlich begrenzter Mono- 
funktionsbereiche entgegen. Es lassen sich daher kaum 
privatkapitalistische Tendenzen zur Durchsetzung 
einer verkehrsarmen, verflochtenen Stadtstruktur finden. 
Im Gegenteil: Der Zirkulationsraum im Mittelpunkt 
der Region wird ausgeweitet, die Anzahl der City-Arbeits- 
plätze vermehrt und weiterer Verkehr erzeugt. 
Der Bau von Untergrundbahnen in München, Nürnberg, 
Stuttgart, Fraunkfurt und Hannover, der Bau von Stadt- 
bahnen im München, Frankfurt und dem Ruhrgebiet, 
der Ausbau der vorhandenen Anlagen in Hamburg und 
Berlin, mit denen ein Schritt zur Realisierung des Konzepts 
getan wird, wird die Funktionsentflechtung und Verkehrs- 
erzeugung weiter vorantreiben. So konnte schon jetzt 
der Eigner eines großen europäischen City-Warenhaus- 
konzerns feststellen, daß die Innenstadt wieder begonnen 
hat, ein bevorzugtes Ladenviertel zu werden 48), In den 
zwei Jahren bis 1974 wird die Zahl der Einkaufszentren 
in den Innenstädten der Großstädte verdreifacht (+ 22 
Zentren) werden, während sie in den außerörtlichen 
Hauptverkehrslagen nur um die Hälfte (+ 6) zunimmt. 49) 
Das Konzept zur Herstellung der großräumlichen Mobili- 
tät der Arbeitskräfte in den westdeutschen Stadtregionen 
wird nicht nur durch die Bedürfnisse des in der City 
konzentrierten Kapitals, sondern auch in der allgemein 
mangelhaften Zuordnung vorhandener und zukünf- 
tiger Standorte der Arbeitsplätze und der Standorte 
der Wohnungen der Arbeitskräfte. Die räumliche Anar- 
chie soll durch die Steigerung der Mobilität der Arbeits- 
kräfte 50) mit großem Kostenaufwand ausgeglichen 
werden. Faktisch soll jeder beliebige Arbeitsplatz im 
regionalen Siedlungsraum von jeder Wohnung aus 
erreichbar sein. 51) 
Optimale Zirkulationsbedingungen der Arbeitskräfte 
fordern nicht nur die Kapitale, sondern auch die Ge- 
werkschaften, um den Arbeitskräften eine Auswahl 
an Arbeitsplätzen zu ermöglichen und sie nicht in 
die Abhängigkeit eines marktbeherrschenden lohn- 
48)Dreesmann, Rückkehr in die City? ,‚ Frankfurter Allgemeine 
Zeitung 20.5.72. 
49),.City immer mehr bevorzugt‘, Frankfurter Rundschau 
vom 17.5.72. 
50)Verkehrsbericht der Bundesregierung 1970, Bonn 1970 und 
Städtebaubericht der Bundesregierung, a.a.O. 
51)August, Standortkriterien kommunaler Verkehrsplanung: 
in: Archiv für Kommunalwissenschaften, 9 Jg., 1970, 1. Halb- 
band, Stuttgart, Köln 1970, S. 267 
drückenden Unternehmers zu bringen. Dies ermöglicht 
wiederum den Unternehmen die Auswahl der geeignet- 
sten Arbeitskräfte aus dem regionalen Angebot. Die 
zu schaffende räumliche Mobilität der „einheitlichen, 
großräumigen Wohn-, Arbeits- und Marktbereiche“ 52) 
sichert denn auch die Verfügbarkeit der jährlich in 
der Bundesrepublik durch Rationalisierung freigesetzten 
800 000 bis 900 000 Arbeitskräfte 53) an anderen, vom 
Kapital verfügten Arbeitsplätzen. 
Das verkehrspolitische Ziel der Verringerung des Zirku- 
lationszwanges durch Verflechtung der städtischen 
Funktionen ist um so weniger realiserbar, als die räum- 
liche Trennung und Ausweitung der Funktionsbereiche 
vorangetrieben wird. Neben der nicht durchsetzbaren 
Planung einer verkehrsmindernden Zuordnung der 
Funktionen zugunsten der Arbeitskräfte sind die Ar- 
beitskräfte selbst nicht in der Lage, ihren Wohnort ver- 
kehrsgünstig zu verlegen und in die vorhandenen Woh- 
nungen in Nähe des Arbeitsplatzes zu wechseln. Ob- 
gleich sie eine verkehrsgünstige Zuordnung wünschen, 
können sie dieses Bedürfnis angesichts der Immobilität 
des Wohnungsmarktes, vor allem durch anhaltende 
Wohnungsknappheit und hohe Mietzinsdifferenzen, 
nicht realisieren. 
Als Beispiel für verkehrsmindernde Standortentscheidun- 
gen sei hier die Diskussion um den Standort des Europä- 
ischen Patentamtes 54) angeführt, für dessen Errichtung 
in der Münchener Altstadt 800 Bewohner des Museums- 
viertels ihre Wohnungen räumen müßten. Die Bewohner 
dagegen schlagen vor, das Patentamt dort zu errichten, 
wo die im Patentamt Beschäftigten wohnen werden, in 
der bereits fertiggestellten, monostrukturierten Neubau- 
siedlung München-Perlach. Das Patentamt selbst wünscht 
den Standort in räumlicher Nähe des Deutschen Patent- 
amtes und der Münchener City. Es lehnt den Standort 
Perlach mit der Drohung ab, nach Den Haag zu gehen. 
Der Standort Perlach hingegen entspricht den Interessen 
der Bewohner des Museumsviertels, die an den Stadtrand 
52)Weyl u.a., Ein Rahmenprogramm für die Infrastruktur im 
Großraum Hannover; in: Stadtbauwelt, Heft 19 (1969) 
Ss. 1428 
53)Schätzungen des Rationalisierungskuratoriums der Deutschen 
Wirtschaft (RKW) e.V., in: Wirtschaftliche und soziale Aspek- 
te des technischen Wandels in der Bundesrepublik Deutsch- 
land, Frankfurt/M., 1970, S. 34. 
54)Die Diskussion ist für den Zeitraum vom März 1971 bis 
Februar 1972 dokumentiert in: tendenzen 82/72, München 
1972,58. 10 - 12. 
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