schaft geradezu paradigmatisch wider in der Entwicklung
der Auffassungen vom Grundeigentum und der Grund-
rente von den Physiokraten bis Ricardo, d. h. von der
Auffassung der Grundrente als einziger Form des Mehr-
werts bis zu Ricardos Leugnung der absoluten Rente, also
praktisch der theoretischen Leugnung des Grundeigen-
tums als Schranke für die freie Anlage von Kapital auf
Grund und Boden überhaupt.
Der dritte Abschnitt befaßt sich dann mit Marx’ Darstel-
lung der Grundrente im vierten Abschnitt des 3. Bandes
des „Kapitals”, d. h. mit den Erscheinungsformen der
Grundrente in der entwickelten kapitalistischen Gesell-
schaft, wobei das „begriffene Wesen‘‘ dieser kapitalisti-
schen Gesellschaft (also die Gesamtheit des 1. Bandes)
vorausgesetzt ist. In diesem Teil werden Begriffe benutzt
werden wie Durchschnittsprofit, Produktionspreis, orga-
nische Zusammensetzung des Kapitals u. a., die vorher in
unserer Darstellung nicht entwickelt worden sind. Ein
solches Vorgehen ließ sich aber nicht vermeiden.
Hier wird die prinzipielle Schwierigkeit des Papiers beson-
ders deutlich: Einerseits läßt sich die Marxsche Entwick-
lung der Grundrente nicht nachvollziehen ohne das Spe-
zifikum der agrarischen Produktion gegenüber der indu-
striellen Produktion hinsichtlich der Bildung der Durch-
schnittsprofitrate herauszuarbeiten — dies ist aber nur
möglich auf der Grundlage des entfalteten Kapitalbegriffs,
Andererseits können wir nicht — ohne einen einschüch-
ternden oder ärgerlichen Bluff zu betreiben — beim Leser
soviel Kapital-Studium einfach voraussetzen, daß die oben
erwähnten Begriffe keiner weiteren Erläuterung mehr be-
dürften. Die Voraussetzungen dieses Papiers aber inner-
halb des Rahmens dieses Papiers darzustellen, würde uns
zu dem Unmöglichen verpflichten, dem 3. Abschnitt eine
Kurzdarstellung des Kapitalbegriffs auf der Abstraktions-
ebene des 3. Bandes des Marxschen Kapitals vorzuschal-
ten.
Wir glauben dennoch, daß wir angesichts der herrschen-
den Konfusion über den Begriff Grundrente uns mit un-
serem Papier nicht nur an einen kleinen Kreis von „Ein-
geweihten”” wenden sollten (den nämlich möglicherweise
die Zielsetzung des Papiers als Grundlage für einen
realanalytischen Ansatz nicht interessiert);
daß unsere Arbeit vielmehr eine wichtige Funktion als
Leitfaden beieiner gründlichen Erarbeitung der
Kategorie besitzen kann. Dies zeigt auch die Erfahrung
der Verbreitung des Papiers: ohne bislang einem größe-
ren Kreis über die TU hinaus zugänglich zu sein, ist es
doch über inoffizielle Vervielfältigen bereits von einer
Reihe von Gruppen in Westberlin und Westdeutschland
für Grundrente-Kurse verwendet worden. Da eine solche
gründliche Arbeit anhand des Papiers ermöglicht, an den
Stellen, an denen das Papier seine eigenen begrifflichen
Voraussetzungen nicht erklärt, über vertiefende Lektüre
ein Verständnis herzustellen, haben wir davon abgesehen,
solchen Begriffen formelhafte Kurzdefinitionen beizufügen.
1. ABSCHNITT
DIE ENTSTEHUNG DER KAPITALISTISCHEN
PRODUKTIONSWEISE UND DAS MODERNE
GRUNDEIGENTUM
1. DIE FRAGE NACH DEM HISTORISCHEN AUS—
GANGSPUNKT DES KAPITALS
In der Darstellung des Kapitals im allgemeinen im ersten
Band des „Kapital”’ erfolgt die Entwicklung des Kapital-
begriffs unmittelbar aus dem Wert. „In der Geschichte”,
schreibt Marx in den „Grundrissen der Kritik der Politi-
schen Ökonomie”, „gehn andere Systeme vor, die die
materielle Grundlage der unvollkommenen Wertentwick
lung bilden.” 3)
Mit anderen Worten: Wir müssen in der Marxschen Dar-
stellung des Kapitals zwei verschiedene Aspekte genau un:
terscheiden, Der erste dieser Aspekte ist der logische, wie
er in den beiden ersten Abschnitten des „Kapital”” entwik-
kelt ist. Marx geht hier von der erscheinenden Oberfläche
der kapitalistischen Produktionsweise, der Zirkulations-
sphäre aus, und folgt damit dem Vorgehen der bürgerlichen
Ökonomen selber, für die die Sphäre der Zirkulation, in
der nur Äquivalente getauscht werden, das Ganze der bür-
gerlichen Gesellschaft überhaupt ist. Gleichzeitig aber
macht er klar, daß das Kapital seiner Bestimmung, seinem
Trieb, „Geld zu hecken”, in der Zirkulationssphäre nur
mit Hilfe des Zufalls oder sonstiger günstiger Umstände
nachgehen kann (wie das Handels- oder Wucherkapital),
daß aber das Wesen des Kapitals als mehrwerthecken-
der Wert erst im industriellen Kapital erscheint: hier eben
liegt die Quelle des Mehrwerts nicht in der Sphäre der
Zirkulation, sondern in der „verborgenen Stätte der Pro-
duktion, an deren Schwelle zu lesen steht: No admittance
except on business.” 4)
Die Darstellung des wirklichen historischen Vorgangs nun,
die Schilderung des Entstehens der Komponenten des Ka-
pitalverhältnisses, aufgrund derer sich das industrielle Kapi-
tal erst entwickeln kann, bis es sich in der großen Industrie
die ihm adäquate Produktionsform schafft, wird erst am
Ende des ersten Bandes des „Kapital”” gegeben, nämlich
im Kapitel über die „sogenannte ursprüngliche Akkumula-
tion”. In diesem historischen Prozeß nun spielt das mo-
derne Grundeigentum eine entscheidende Rolle.
Die Fragestellung, um die es hier also geht, ist die Frage
nach dem historischen Ausgangspunkt. Ist in den voran;
gegangenen Kapiteln des ..Kapital”” in genauer logischer
3)
K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie,
Moskau 1939, S. 163.
K. Marx, Das Kapital, Bd. 1, Marx-Engels-Werke, MEW 23.
Berlin, DDR 1969.58. 189
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