II. DIE DIFFERENTIALRENTE
Der allgemeine Begriff der Differentialrente
„Das Eigentümliche (der Grundrente, d. Verf.) ist, daß
mit den Bedingungen, worin sich die Agrikulturprodukte
als Werte (Waren) entwickeln, und mit den Bedingungen
der Realisation ihrer Werte auch die Macht des Grundei-
gentums sich entwickelt, einen wachsenden Teil dieser
ohne sein Zutun geschaffenen Werte sich anzueignen, ein
wachsender Teil des Mehrwerts sich in Grundrente ver-
wandelt.” 50)
Unter den Bedingungen entwickelter kapitalistischer Pro-
duktionsverhältnisse werden die Werte der Waren zu Pro-
duktionspreisen ausgeglichen, und die Produktionspreise
regulieren die Marktpreise der betreffenden Waren; (Der
Produktionspreis setzt sich zusammen aus den Kostenele-
menten konstantes und variables Kapital, d. h. dem Kost-
preis der Ware, und aus dem Durchschnittsprofit). Die
durchschnittlichen Marktpreise der Waren sind also gleich
ihren Produktionspreisen. Man muß nun annehmen, daß
dies auch für Produkte gilt, die über ihren Durchschnitts-
profit hinaus noch eine Rente abwerfen, wie zum Bei-
spiel Boden- und Berwerksprodukte.
„Es fragt sich dann, wie unter dieser Voraussetzung sich
eine Grundrente entwickeln, d. h. ein Teil des Profits sich
in Grundrente verwandeln, daher ein Teil des Warenprei-
ses dem Grundeigentümer anheimfallen kann.” 51)
Marx macht dies an einem Beispiel klar: Nehmen wir an, in
einem Lande würde die überwiegende Mehrzahl von Fa-
briken mit Dampfmaschinen betrieben, einige wenige je-
doch durch natürliche Wasserfälle. Da Dampfmaschinen
und Kohlen als bereits vergegenständlichte Arbeit höhe-
ren Aufwand an Kapital erfordern, als die Anwendung des
von Natur vorhandenen Wasserfalls, können diese wenigen
Fabriken billiger produzieren als die Mehrzahl. Sie würden
aber genauso teuer verkaufen wie jene, denn der Markt-
preis wird reguliert vom durchschnittlichen Produktions-
preis unter durchschnittlichen Produktionsbedingungen.
Unser individueller Kapitalist, dessen Kapital unter aus-
nahmsweise günstigen Bedingungen fungiert, verkauft die
Waren zum allgemeinen Produktionspreis, der höher liegt
als sein individueller. Die Differenz ist für den Kapita-
listen zusätzlicher, also Surplusprofit, denn der allgemeine
oder Durchschnittsprofit ist im allgemeinen Produktions-
preis bereits enthalten.
Gesetzt, der Kapitalist ist nicht selbst Eigentümer des Was-
serfalls, und der Besitzer dieser Naturkraft fordert den auf
sie zurückgehenden Surplusprofit für sich als Rente, so ist
es klar, „daß diese Rente immer Differentialrente ist.
50) a.a.0., 5.6532.
51) a.a.0., S. 653.
denn sie geht nicht bestimmend ein in den allgemeinen
Produktionspreis der Ware, sondern setzt ihn voraus. Sie
entspringt stets aus der Differenz zwischen dem individu-
ellen Produktionspreis des Einzelkapitals, dem die mono-
polisierte Naturkraft zur Verfügung steht, und dem allge-
meinen Produktionspreis des in der fraglichen Produktions-
sphäre überhaupt angelegten Kapitals.” 52)
Diese Differenz ist begrenzt einerseits durch den allgemei-
nen Produktionspreis, andrerseits durch den individuellen
Kostpreis: Bei Anwendung des Wasserfalls kann das Pro-
dukt mit weniger Arbeit hergestellt werden, es hat weniger
Wert, oder anders herum: Eine gleiche Menge Arbeit er-
zeugt größeres Produkt. Die Produktivkraft der Arbeit ist
gestiegen.
Für den Einzelkapitalisten stellt sich dies dar als ein Sin-
ken seines Kostpreises und damit des Produktionspreises.
Die andere Grenze bildet der allgemeine Produktionspreis.
Würde er fallen, weil in unserem Beispiel möglicherweise
Kohlen für die Dampfmaschinen billiger zu haben wären,
so müßte die Differenz,folglich auch der Surplusprofit
sinken. Würde gar der allgemeine Produktionspreis auf
das Niveau des vorher begünstigten fallen, so verschwände
der Surplusprofit ganz. „Diese Grundrente entspringt
nicht aus der absoluten Erhöhung der Produktivkraft
des angewandten Kapitals, resp. der von ihm angewende-
ten Arbeit, die überhaupt nur den Wert der Waren vermin-
dern kann, sondern aus der größeren relativen Fruchtbar-
keit bestimmter, in einer Produktionssphäre angelegter
Einzelkapitale, verglichen mit den Kapitalanlagen, die von
diesen ausnahmsweisen, naturgeschaffenen Gunstbedingun
gen der Produktivkraft ausgeschlossen sind.” 53)
Der Surplusprofit in unserem Beispiel unterscheidet sich
von der allgemeinen Art des Surplusprofits in einem we-
sentlichen Punkt: Die Bedingung, die ihn ermöglicht, ist
eine Naturkraft besonderer Ausprägung. Selbstverständlich
benutzt das Kapital überall in der Industrie Naturkräfte
{vgl. den Dampf in der Dampfmaschine), um den Kost-
preis der Produkte zu verringern. Hier entspringt jedoch
der Surplusprofit aus der Tätigkeit des Kapitals selbst. Da
diese Tätigkeit aber allem Kapital freisteht, wird der an-
fängliche Surplusprofit eines Einzelkapitals bei allgemei-
ner Anwendung auf den Durchschnittsprofit gekürzt. Der
allgemeine Produktionspreis ist dann gesunken, entspre-
chend der Marktpreis, die Ware ist also billiger geworden.
Bei Anwendung der Naturkraft Wasserfall gilt dies jedoch
nicht. Der Surplusprofit entspringt hier nicht der Tätig-
keit des Kapitals, sondern der größeren „naturwüchsigen”
Produktivkraft der Arbeit, gebunden an die Benutzung
einer Naturkraft, die dem Kapital als ganzem nicht zur
Verfügung steht. „Die Naturkraft ist nicht die Quelle des
Surplusprofits, sondern nur eine Naturbasis desselben,
weil die Naturbasis der ausnahmsweise erhöhten Produk-
tivkraft der Arbeit.” 54)
52) a3.a.0., 5.659.
53) 2.8.0., 5. 659.
54) a.a.0., 5. 659 £.
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