Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (1973, Jg. 5, H. 17-20)

mengesetzt ist, entspricht einer Stufe nicht voll entfalte- 
ter gesellschaftlicher Produktivkraft der Arbeit mit entspre- 
chend relativ geringem Konzentrationsgrad des Kapitals 
und einer entsprechend geringen gesellschaftlichen Ar- 
beitsteilung. 
These II 
Mit weiterer Entwicklung der kapitalistischen Produktions- 
weise differenziert und verselbständigt sich die beim Archi- 
tekten zusammengefaßte Arbeit in eine Reihe gesonderter 
Produktions- und Leitungsfunktionen. Der Architekten- 
beruf wird somit von der Entfaltung der Produktivkraft 
des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens ebenso liquidiert 
wie ehedem Berufe wie Wagenbauer von der Arbeitstei- 
lung der Fabrikproduktion liquidiert wurden. 
Wenn wir im folgenden diese Thesen in groben Linien 
ableiten wollen, so soll damit insbesondere das methodi- 
sche Vorgehen demonstriert werden, das u.E. erforderlich 
ist, um den Wust von Irrationalität, Wunschdenken und 
hilfloser kurzfristiger Anpassung an den Bedarf des Ar- 
beitsmarktes, wodurch der Architektenberuf gegenwärtig 
gekennzeichnet ist, einer rationalen Analyse zugänglich 
zu machen,und damit eine grundlegende Neudefinition 
von Arbeitsfeldern im Bereich der Bauplanung zu ermög- 
lichen. 
Wir gehen davon aus, daß das Selbstverständnis einer 
Berufsgruppe und ihr gesellschaftliches Image Ausdruck 
ihrer jeweiligen historischen Funktion im Entwicklungs- 
prozeß der arbeitsteiligen gesellschaftlichen Produktion 
ist. Um zu zeigen, daß sich im Architektenbild ein be- 
stimmtes ideologisches Selbstverständnis von seiner mate- 
riellen Basis im gesamtgesellschaftlichen Produktionspro- 
zeß losgelöst hat, werden wir zunächst die der vorherr- 
schenden Architektenideologie historisch entsprechende 
materielle Basis in der Bauproduktion herausarbeiten, 
die sich als eine bestimmte Stufe im Entwicklungsprozeß 
der Bauproduktion als Teil der gesellschaftlichen Gesamt- 
produktion analysieren läßt. In einem zweiten Schritt 
werden wir dann einer solchen Bauproduktion die gegen- 
wärtig fortgeschrittensten Erscheinungen in diesem Sek- 
tor, soweit sie sich bereits als bestimmende Tendenzen 
erwiesen haben, gegenüberstellen, um sie von daher als 
im großen ganzen historisch überwunden zu kennzeichnen 
wir unsere Untersuchung auf die Phase der kapitalistischen 
Warenproduktion und den in ihr erscheinenden Formen 
des Architektenberufs beschränken. Denn erst mit der 
beginnenden kapitalistischen Produktionsweise und der 
damit sich durchsetzenden Trennung von Ökonomie 
und Politik, von privater Produktion und ihren gesell- 
schaftlichen Voraussetzungen, entfalten sich, wie wir 
zeigen werden, diejenigen Funktionen des Architekten, 
die dem skizzierten ideologischen Selbstverständnis zu- 
grunde liegen. Zwar tritt bereits in der vorkapitalistischen 
bürgerlichen Produktion, etwa beim Bau spätmittelalter- 
licher und barocker Bürgerhäuser der Architekt mit den- 
selben Funktionen und derselben gesellschaftlichen 
Stellung als unabhängiger, lediglich für das spezifische 
Bauvorhaben in Dienst genommener Planer und Koordi- 
nator des Bauprozesses auf. Dies bleibt jedoch, ebenso 
wie die vorkapitalistische bürgerliche Produktion selbst, 
vereinzelte Erscheinung, quasi Anzeichen der heraufdäm- 
mernden neuen Epoche der kapitalistischen Produktions- 
weise. 
In der Regel stand der Architekt im Mittelalter und im Ab: 
solutimus im Dienst eines Feudalherren und war mit den 
Planungs- und Leitungsfunktionen sämtlicher anfallender 
Bautätigkeiten betraut, sei es Palastbau, fürstlicher Sakral- 
bau, der Bau von Verteidigungsanlagen oder der Bau ganzer 
Städte samt ihrer einzelnen Gebäude. Da in den Feudal- 
herren die besitzende Klasse — i.e. Grund und Boden, das 
Produktionsmittel der feudalen Produktionsweise, besitzen- 
de — mit der politisch herrschenden Klasse unmittelbar in 
personeller Identität zusammenfiel, stand der materielle 
Reichtum auch zur unmittelbaren gesellschaftlichen Dispo- 
sition, so daß die Fülle der anfallenden, gesellschaftlich 
notwendigen Bauaufgaben zwar arbeitsteilig, aber unter 
dem Kommando eines Bauherren, des Feudalherren in 
einem kontinuierlichen Arbeitsprozeß ausgeführt werden 
konnte. Die kontinuierliche Bauproduktion erforderte 
naturgemäß die-kontinuierliche Wahrnehmung von Funk 
tionen der konstruktiven und ästhetischen Planung und 
der Organisation und Aufsicht ihrer adäquaten Verwirk- 
lichung, die vom dafür in Dienst genommenen Architek- 
ten ausgefüllt werden konnten; denn die wissenschaftliche 
Grundlage der Bauproduktion war noch nicht so weit 
entwickelt, daß in Arbeitsteilung diese Funktionen auf 
verschiedene Spezialisten hätte aufgespalten werden 
müssen. 
Arbeitsfelder des Architekten in den vor- 
kapitalistischen Produktionsweisen 
Herausbildung der spezifischen Architektentätig- 
keit in der Frühphase des Kapitalismus 
Eingang in die Geschichtsschreibung hat der Architekt 
bereits im frühen Alterum mit Imhotep, dem legendären 
Erbauer der Cheopspyramide, gefunden. Vitruv und die 
großen Baumeister der Dombauhütten, die sich selbst 
ausdrücklich als Architectus bezeichneten, bilden die 
nächsten Höhepunkte der ruhmreichen Berufsgeschichte. 
Wenn wir jedoch von den eingangs genannten Charakteri- 
stica des heutigen Architektenbildes ausgehen, als deren 
wichtigstes ‘“Unabhängigkeit‘ genannt wurde. so können 
Mit der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionswei- 
se verselbständigten sich die Planungsfunktionen der gesell- 
schaftlichen Bauleistungen wie Straßenbau, Brückenbau, 
Verteidigungsanlagen etc. Denn die kapitalistische Produk 
tionsweise differenzierte die Bereiche der Bautätigkeit in 
öffentlich betriebene, deren Hauptinhalte die Schaffung 
von materieller Infrastruktur in Form von Kommunika-
	        

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