Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (ab H. 28: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen) (1975, Jg. 7, H. 25-28)

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Juan Rodriguez-Lores 
WARUM BOLOGNA? 
BEMERKUNGEN ZU EINER STRATEGIE 
VON POLITISCHER PLANUNG 
I. Der allgemeine Kontext der Stadtplanung in 
Bologna 
Die Ursprünge der heutigen Planungspolitik und — 
praxis der Kommune Bologna reichen bis zum Ende der 
50er Jahre. Die rasche Industrialisierung Norditaliens 
nach dem Krieg, die Begleitprozesse der massiven Ein- 
wanderung von Arbeitskräften aus dem Süden und aus 
dem Land in die großen Städte, die unhaltsame Ver- 
städterung stellen auch die Planung in Bologna vor die 
anderenorts viel früher aufgetretenen Probleme der 
Steuerung einer scheinbar zwangsläufigen Entwicklung: 
expansive Urbanisation bei Zerstörung der herkömmli- 
chen baulichen und sozialen Strukturen und des Gleich- 
gewichts mit dem Umland, Verschärfung des Gefälles in 
der unterschiedlichen Ausstattung in den verschiedenen 
Teilen der Stadt und auf dem Land, Entfaltung und Zen- 
tralisierung der Verwaltung und Entscheidungsinstan- 
zen, Verschärfung der Wohnfrage, deren Lösung auf 
Grund der spekulativen Prozesse widersprüchlicherweise 
immer mehr an die private Initiative delegiert wird usw. 1) 
Die hier anfangs der 60er Jahre entstandene Planungs- 
politik Bolognas orientiert sich von vornherein nicht auf 
die Steuerung, sondern auf die Blockierung dieser Ent- 
wicklung und schrittweise_auf deren Umkehrung in ei- 
ner ganz anderen Richtung. Damit hebt sie den Schein 
falscher Objektivität der städtischen Prozesse auf. Die 
Grundprinzipien dieser Planungspolitik — Planung im 
Nicht-Wachstum 2), öffentlich-kommunale und von 
unten heranwachsende demokratische Kontrolle des Ob- 
jektes und der Instrumente der kommunalen Planung — 
setzen sich in der Planungspraxis der 60er Jahre nur lang- 
sam durch. Ihre erste klare Formulierung erhalten sie in 
dem „Piano per il Centro | Storico” (1969) und dem 
„Piano Regolatore Generale” (1972). * 
Da diese planungspolitischen Prinzipien nicht in der 
Natur der neuen städtischen Probleme als Problem kapi- 
talistischen Wachstums gegeben waren, mußten ihre ob- 
jektiven Realisierungsbedingungen mühsam aus den tief- 
greifenden strukturellen Veränderungen des politisch- 
ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 26 
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gesellschaftlichen italienischen Systems seit Ende der 
50er Jahre bis heute hergeleitet werden. Die politische 
Reformbewegung — auch was die Stadtplanung betrifft 
— ist nicht bei der Durchsetzung sozialreformerischer 
Gesetze (die Wohnungsbaugesetze „167” von 1962 und 
„865” von 1971), welche in den meisten Städten eher 
eine rückschlagende Wirkung gehabt haben 3), stecken 
geblieben, sondern sie hat immer breitere Schichten der 
Bevölkerung 4) und die traditionellen politischen und _ 
kulturellen Institutionen (Parteien, Gewerkschaften, in- 
nenbetriebliche Organisationen, Universität, bes. die, 
Architekturfakultäten) 9) mobilisiert und sie in die theo- 
retische und politische sowie technische Praxis der Stadt- 
‘planung eingezogen. Letztlich hat sie die strukturelle 
Verbindung zwischen dem Kampf um soziale Reformen 
in den Fabriken und in den Städten in Ansätzen.herge- 
stellt. Parallell zu dieser Reformbewegung und in eng- 
ster Abhängigkeit mit ihr haben sich Organisationsform 
wie Programm von linken Parteien wie Gewerkschaften 
weiterentwickelt. Am Ender der 50er Jahre wird die al- 
te Auseinandersetzung um die Arbeiterkontrolle, die in 
den 20er Jahren die „Ordinovisten” in der neugegründe- 
ten KPI ausgetragen hatten, neu aufgegriffen. 6) Sie hat 
nicht nur zu Spaltungen in den großen sozialistischen-und 
in der kommunistischen Partei geführt. Diese Organisa- 
tionen, die zum größten Teil politische Träger der mas- 
senhaften Reformbewegung geblieben sind, waren bald 
dem unmittelbaren Druck ihrer in den letzten Jahren 
sich intensiv vermehrenden Basisorganen, die ihre poli- 
tische Praxis wesentlich im lokalen Raum praktizieren, 
ausgesetzt; sie haben sich immer mehr den lokalen und 
außerbetrieblichen Problemen der Bevölkerung öffnen 
müssen; die verfolgte Politik der lokalen Autonomie 
(der Autonomie der Region, der Kommune, des Quar- 
tiers) fand in dieser intern veränderten Machtkonstella- 
tion der politischen Organisationen und in der sponta- 
nen Bildung von Bevölkerungsorganisationen ihren Mo- 
tor. Nicht nur die Stadtplanung konnte damit während 
der 60er Jahre eine immer zentralere Stellung in der 
Programmatik der linken Parteien und Gewerkschaften 
einnehmen; es konnte auch eine politische Strategie zur 
demokratischen Kontrolle der staatlichen Gewalt ent- 
wickelt werden, die die Kommune und die Region als 
Konfliktfeld der politischen und gesellschaftlichen Aus- 
einandersetzung bevorzugt und deren Angelpunkt die 
die neuere Stadtplanung bestimmende und zunächst als 
bürokratisches Konzept entstandene „Dezentralisierungs 
politik” ist 7). Das in diesem Bereich bereits institutio- 
nell Durchgesetzte — die regionale Reform anfangs der 
70er Jahre, die Quartiersräte in vielen Städten — und 
alles, was noch auf dem Programm der Reformen steht 
— etwa die Steuerreform —, kann keine definitive Ga- 
rantie für demokratische Kontrolle sein; es kann ledig- 
lich perspektivistisch die Durchsetzungskraft der Auto- 
nomiebewegung stützen. 
Dieser gesamtitalienische Kontext enthält weitent- 
wickelte Ansätze, um die Stadtplanung als theoretische,
	        
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