ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 26
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die private Initiative und das Eigentumsrecht der Haus-
besitzer in der fremdartigen Legalität des kollektiven Nut-
zungsrechts von Boden und Gebäuden weitgehend beein-‘
trächtigt? 25) Wer die Frage so stellt kann auf sein End-
produkt nur mit Skepsis warten, denn das Verdikt ist
schon fällig: unter diesen Voraussetzungen wird „die Re-
staurierung auf einem niedrigen Standard” erfolgen 26)
ist Restaurierung eh nicht möglich, denn was nicht sein
darf, kann auch nicht sein. Jedoch ist anscheinend der
alte optimistische Standpunkt immer noch vertretbar.
Denn was heißt niedriger Standard? Es wird mit Recht
betont, daß soziale Restaurierung Vorrang vor einer bloß
physischen haben muß, daß den Sanierungszielen genü-
gendes Recht getan wird, wenn die Standards der restau-
rierten Wohnungen denen der neuen Arbeiterwohnungen
an der Peripherie entsprechen (man restauriert für die
unteren Schichten, die sonst an die Peripherie vertrieben
würden); außerdem war luxuriöse Restaurierung fast nie
der Innbegriff sachgerechter Restaurierung gewesen,
denn nach den großzügiggen Eingriffen der privaten Hand
bleiben gewöhnlich nur die Kulissen der Vergangenheit
(weder Menschen noch (kunst-)historische Substanz)
übrig; außerdem beweist z.B. die (bereits praktizierte)
Bologneser Idee der vielfältigen Nutzung der großen hi-
storischen Gebäudekomplexe genügenden Sinn für die
Erhöhung der sozialen und kulturellen Standards eines
alten Quartiers — ohne großen finanziellen Aufwand 27),
Die Legalitätsfrage? Lieber nicht in den ideologischen
Texten der Kommune von Bologna die Antwort suchen,
denn sie ist eine Frage des gesetzlichen Instrumentariums,
der politischen Strategie kommunaler Bürokratie 28),
Auch hier tut Geduld mit dem Import not. Inzwischen
sind diese euphorischen Rezeptoren auch nicht tatenlos
geblieben, sie haben aus Bologna ein sozialreformerisches
Ideologiestück herausdestilliert, das den Praktikern ei-
gentlich wenig helfen kann, das aber’bei den hiesigen Pla-
nungsideologien und der jüngsten Modediskussion um
das Schlagwort „„Erneuerung”” seine unterstützende Funk-
tion sicherlich nicht verfehlt: eine verkürzte Fassung des
politischen Weges Bolognas zu seinen stadtplanerischen
Resultaten sieht, nach der „sozialistische Planungspoli-
tik” (sic!) mit dem Segen der bürgerlichen Parteien be-
trieben wird. Ein italienisches Curiosum oder ein Wegwei-
ser im System? Für einige beides, denn sozialistisches
Handeln fällt anscheinend mit der Ausnützung „jedes
Handlungsspielraums des (Hervorhebung —R.-L.) Sy-
stems” zusammen 29), und phantasiereiche, aber hinter-
hältige südeuropäische kommunistische Politik hat bei
der Konzipierung eines Sanierungsplans gegen das „öko-
nomische Prinzip” das Scheitern einkalkuliert, um dabei
„die Widersprüche des Kapitalismus heranzuziehen”30),
Bologna also nur noch Manifestation südeuropäischer Folk-
lore — Version von Don Camilo und Pepone für Planer
und Architekten —, und doch auch schon in der ideolo-
gischen Verallgemeinerung sozial-futuristischer Luxus
des Systems, wo dieses seine Selbstüberwindungschan-
cen zur Schau stellt.
Die italienische Diskussion über Bologna hat die Fra-
ge anders gestellt: Knüpft die Planung in Bologna an die
Möglichkeiten des Systems oder an eine historische Si-
tuation im System, die der Klassenkampf hervorgeschwo-
ren hat, an? Dabei ändert sich dann wesentlich die „Im-
port”-Frage (man würde sagen, sie verliert an Bedeutung
für den Stadtplaner, der „seinen Anteil”’ sucht). Eine mo-
derne Wissenschaft der Geschichte hat manche Leute da-
ran gewöhnt, die Kategorie des „Zufalls”” von der Erklä-
rung der sozialen Erscheinungen zu eliminieren und die
sozialen Systeme als konhärente Strukturen mit einer
eigenen Logik, die ihre Erscheinungen „rational”” macht,
zu verstehen. Diese Logik ist historisch und konkret, d.h.
sie ist nicht in geistigen Prinzipien zu suchen (oder zu
bekämpfen), sondern in der menschlichen sozialen Pra-
xis — in den Praxen, soweit die Menschen in einer ge-
spaltenen Gesellschaft handeln. Auf diese heutigen Pra-
xen bezogen kann „Bologna—Traumziel der Sanierer”31)
zweierlei sein:
— entweder ein Bluff der herrschenden Praxis des Sy-
stems, welches dort das eigene Schaufenster (und ne-
benbei das der dann doch „reformistischen”” KPI)
einrichtet und daraus sogar Kapital schlägt 32) bzw.
das eigene labile, in Italien bis zur Unerträglichkeit
zerstörte Gleichgewicht wiederherstellt 33)-
oder tatsächlich Versuch des Aufstands auf einer qua-
litativ neuen Ebene: die zunächst in der Sprache des
Betriebs- und Häuserkampfes formulierten Lösungen
hätten durch die Sprache der Stadtplanung einen er-
sten hegemonialen Niederschlag im staatlich-politischen
Bereich erreicht (Praxis — veränderte Praxis).
Die „Import”-Frage würde sich dann insofern ändern,
als es kein städtebauliches Modell mehr zu importieren
gäbe, sondern eine soziale Praxis und eine politische Li-
nie im eigenen Lager zu erkennen und fördern wäre.
IM. Ist Bologna ein „Modell””? Der ideologische
Gebrauch des Falls „Bologna”’
1..Zwei Perzeptionen städtischer Probleme: „praxisbe-
zogene” und „sachbezogene”
Wer sich mit dem Fall Bologna beschäftigt, hat bereits
mit zwei verschiedenen Fakten zu tun. Wenn die Bolog-
neser nach ihren eigenen Worten und nach der Skepsis
vieler kein städtebauliches Modell anzubieten haben, wa-
rum und wozu wird unter einem solchen Gesichtspunkt
über Bologna weiter geredet? (Internationales, auch deut-
sches Faktum). Wenn in Bologna immerhin doch etwas pas-
siert, „was westdeutsche Sanierungsexperten sich derzeit
noch als Traumziel ausmalen”34), warum wird (kann) in
Bologna so geplant (werden)? (Italienisches Faktum).
Das Verbleiben beim internationalen Faktum kann
einiges über Bologna erklären, z.B. was es nicht ist, aber
auch warum dieses fiktive Bologna mit einer solchen Dis-
kussion dann doch reell geworden ist.jenseits der eigenen
geographischen Grenzen. Weiter oben ist auf zwei ver-
schiedene Haltungen dem Phänomen gegenüber hingewie-