Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (ab H. 28: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen) (1975, Jg. 7, H. 25-28)

ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 26 
5° 
Ss 
v— 
die private Initiative und das Eigentumsrecht der Haus- 
besitzer in der fremdartigen Legalität des kollektiven Nut- 
zungsrechts von Boden und Gebäuden weitgehend beein-‘ 
trächtigt? 25) Wer die Frage so stellt kann auf sein End- 
produkt nur mit Skepsis warten, denn das Verdikt ist 
schon fällig: unter diesen Voraussetzungen wird „die Re- 
staurierung auf einem niedrigen Standard” erfolgen 26) 
ist Restaurierung eh nicht möglich, denn was nicht sein 
darf, kann auch nicht sein. Jedoch ist anscheinend der 
alte optimistische Standpunkt immer noch vertretbar. 
Denn was heißt niedriger Standard? Es wird mit Recht 
betont, daß soziale Restaurierung Vorrang vor einer bloß 
physischen haben muß, daß den Sanierungszielen genü- 
gendes Recht getan wird, wenn die Standards der restau- 
rierten Wohnungen denen der neuen Arbeiterwohnungen 
an der Peripherie entsprechen (man restauriert für die 
unteren Schichten, die sonst an die Peripherie vertrieben 
würden); außerdem war luxuriöse Restaurierung fast nie 
der Innbegriff sachgerechter Restaurierung gewesen, 
denn nach den großzügiggen Eingriffen der privaten Hand 
bleiben gewöhnlich nur die Kulissen der Vergangenheit 
(weder Menschen noch (kunst-)historische Substanz) 
übrig; außerdem beweist z.B. die (bereits praktizierte) 
Bologneser Idee der vielfältigen Nutzung der großen hi- 
storischen Gebäudekomplexe genügenden Sinn für die 
Erhöhung der sozialen und kulturellen Standards eines 
alten Quartiers — ohne großen finanziellen Aufwand 27), 
Die Legalitätsfrage? Lieber nicht in den ideologischen 
Texten der Kommune von Bologna die Antwort suchen, 
denn sie ist eine Frage des gesetzlichen Instrumentariums, 
der politischen Strategie kommunaler Bürokratie 28), 
Auch hier tut Geduld mit dem Import not. Inzwischen 
sind diese euphorischen Rezeptoren auch nicht tatenlos 
geblieben, sie haben aus Bologna ein sozialreformerisches 
Ideologiestück herausdestilliert, das den Praktikern ei- 
gentlich wenig helfen kann, das aber’bei den hiesigen Pla- 
nungsideologien und der jüngsten Modediskussion um 
das Schlagwort „„Erneuerung”” seine unterstützende Funk- 
tion sicherlich nicht verfehlt: eine verkürzte Fassung des 
politischen Weges Bolognas zu seinen stadtplanerischen 
Resultaten sieht, nach der „sozialistische Planungspoli- 
tik” (sic!) mit dem Segen der bürgerlichen Parteien be- 
trieben wird. Ein italienisches Curiosum oder ein Wegwei- 
ser im System? Für einige beides, denn sozialistisches 
Handeln fällt anscheinend mit der Ausnützung „jedes 
Handlungsspielraums des (Hervorhebung —R.-L.) Sy- 
stems” zusammen 29), und phantasiereiche, aber hinter- 
hältige südeuropäische kommunistische Politik hat bei 
der Konzipierung eines Sanierungsplans gegen das „öko- 
nomische Prinzip” das Scheitern einkalkuliert, um dabei 
„die Widersprüche des Kapitalismus heranzuziehen”30), 
Bologna also nur noch Manifestation südeuropäischer Folk- 
lore — Version von Don Camilo und Pepone für Planer 
und Architekten —, und doch auch schon in der ideolo- 
gischen Verallgemeinerung sozial-futuristischer Luxus 
des Systems, wo dieses seine Selbstüberwindungschan- 
cen zur Schau stellt. 
Die italienische Diskussion über Bologna hat die Fra- 
ge anders gestellt: Knüpft die Planung in Bologna an die 
Möglichkeiten des Systems oder an eine historische Si- 
tuation im System, die der Klassenkampf hervorgeschwo- 
ren hat, an? Dabei ändert sich dann wesentlich die „Im- 
port”-Frage (man würde sagen, sie verliert an Bedeutung 
für den Stadtplaner, der „seinen Anteil”’ sucht). Eine mo- 
derne Wissenschaft der Geschichte hat manche Leute da- 
ran gewöhnt, die Kategorie des „Zufalls”” von der Erklä- 
rung der sozialen Erscheinungen zu eliminieren und die 
sozialen Systeme als konhärente Strukturen mit einer 
eigenen Logik, die ihre Erscheinungen „rational”” macht, 
zu verstehen. Diese Logik ist historisch und konkret, d.h. 
sie ist nicht in geistigen Prinzipien zu suchen (oder zu 
bekämpfen), sondern in der menschlichen sozialen Pra- 
xis — in den Praxen, soweit die Menschen in einer ge- 
spaltenen Gesellschaft handeln. Auf diese heutigen Pra- 
xen bezogen kann „Bologna—Traumziel der Sanierer”31) 
zweierlei sein: 
— entweder ein Bluff der herrschenden Praxis des Sy- 
stems, welches dort das eigene Schaufenster (und ne- 
benbei das der dann doch „reformistischen”” KPI) 
einrichtet und daraus sogar Kapital schlägt 32) bzw. 
das eigene labile, in Italien bis zur Unerträglichkeit 
zerstörte Gleichgewicht wiederherstellt 33)- 
oder tatsächlich Versuch des Aufstands auf einer qua- 
litativ neuen Ebene: die zunächst in der Sprache des 
Betriebs- und Häuserkampfes formulierten Lösungen 
hätten durch die Sprache der Stadtplanung einen er- 
sten hegemonialen Niederschlag im staatlich-politischen 
Bereich erreicht (Praxis — veränderte Praxis). 
Die „Import”-Frage würde sich dann insofern ändern, 
als es kein städtebauliches Modell mehr zu importieren 
gäbe, sondern eine soziale Praxis und eine politische Li- 
nie im eigenen Lager zu erkennen und fördern wäre. 
IM. Ist Bologna ein „Modell””? Der ideologische 
Gebrauch des Falls „Bologna”’ 
1..Zwei Perzeptionen städtischer Probleme: „praxisbe- 
zogene” und „sachbezogene” 
Wer sich mit dem Fall Bologna beschäftigt, hat bereits 
mit zwei verschiedenen Fakten zu tun. Wenn die Bolog- 
neser nach ihren eigenen Worten und nach der Skepsis 
vieler kein städtebauliches Modell anzubieten haben, wa- 
rum und wozu wird unter einem solchen Gesichtspunkt 
über Bologna weiter geredet? (Internationales, auch deut- 
sches Faktum). Wenn in Bologna immerhin doch etwas pas- 
siert, „was westdeutsche Sanierungsexperten sich derzeit 
noch als Traumziel ausmalen”34), warum wird (kann) in 
Bologna so geplant (werden)? (Italienisches Faktum). 
Das Verbleiben beim internationalen Faktum kann 
einiges über Bologna erklären, z.B. was es nicht ist, aber 
auch warum dieses fiktive Bologna mit einer solchen Dis- 
kussion dann doch reell geworden ist.jenseits der eigenen 
geographischen Grenzen. Weiter oben ist auf zwei ver- 
schiedene Haltungen dem Phänomen gegenüber hingewie-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.