ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 27
Bourgeois-Initiativen können sie auch nicht sein; sie sind
also Staatsbürger-Initiativen — eine der drei Schubladen
muß ja passen. Die politische Identität zumindest vieler
‘Bürgerinitiativen‘ kann so nicht erfaßt werden. Zum ei-
nen existieren ihre Interessen nur als gemeinsame, sie las-
sen sich nicht auf privatrechtliche Ansprüche zurückfüh-
ren und sind darum einer Interessenverbands- und Ver-
treterpolitik nicht zugänglich. Ihre Interessensartikula-
tion ist daher auch nicht über mauscheln und klüngeln
möglich, sondern nur durch die Herstellung einer auch
direkten Öffentlichkeit. Zum anderen sind ihre Interes-
sen so spezifisch und konkret, daß sie nicht in allgemein-
politische Orientierungen überhaupt und schon gar nicht in
die ungenauen, unspezifischen; allgemeinen Orientierun-
gen der „Volksparteien“ übersetzt werden können. Der
politischen Identität solcher Initiativen liegt also gerade
die Aufhebung der Scheidung von privatem und allgemei-
nen staatsbürgerlichen Interesse zugrunde und steht in
vollkommenem Gegensatz zur lobbyistischen Vertretung
privater Interessen im „politischen Raum“. Sie hierauf
zu reduzieren, ist nicht zufällig regelmäßig die Strategie
der Verwaltungen, und sie in Wählerinitiativen umzu-
funktionieren die Strategie der Parteipolitiker. Nicht zu-
fällig werden daher auch die ‘Bürgerinitiativen‘ in der po-
litologischen Partizipations-Diskussion fast ausnahmslos
von vornherein auf Staatsbürger-Initiativen reduziert.
Eine linke Kritik, welche aus kategorialem Rigorismus
eine solche Reduktion mitmacht, um dann auf die Illu-
sion der Neutralität und Autonomie der staatlichen In-
stanzen als dem Adressaten der Stadtteilinitiativen zu
verweisen, scheint uns nicht nur wissenschaftlich ihren
Gegenstand zu verfehlen, sondern auch politisch blind ge-
genüber dem realen politischen Charakter solcher basis-
demokratischer Initiativen zu sein.
‘Scheinbar eine völlig andere Position wird in den spä-
ter liegenden ARCH+-Artikeln 9) vertreten, nachdem die
reale politische Entwicklung in der BRD den voluntari-
stischen Charakter der Bildung einer Klassenpartei hier
und jetzt deutlich gemacht hatte. An die Stelle der Klas-
senpartei treten nun die Gewerkschaften, die vorher tra-
gende Reformismus-Kritik statt Staatsbürgerpolitik“ wird
ersetzt durch die (so natürlich nicht ausgesprochen) Pa-
role: ‘Gewerkschaftliche Orientierung statt Politik‘. Die
„Bürgerinitiativen‘“ werden nun nicht mehr als Staats-
bürger-Vereinigungen interpretiert, sondern als Initiati-
ven , welche im „Reproduktionsbereich‘“ — objektiv be-
trachtet — dieselbe Aufgabe wahrzunehmen suchen
wie die Gewerkschaften im Produktionsbereich, nämlich
die Verteidigung des Reproduktionsniveaus der Arbeits-
kraft. Die Arbeit von Stadtteilinitiativen erscheint so als_
‘verlängerter Lohnkampf“, womit nicht nur die soziale...
und gebrauchswertbezogene Dimension sowohl gewerk-
schaftlicher Kämpfe als auch der Stadtteilinitiativen, son-
dem eben auch die politische Dimension basisdemokra-
tischer Aktionen beiseitegeschoben wird, welche früher
unter dem Stichwort der „Sozialstaatsillusionen‘‘.—frei-
lich verkürzt aufs staatsbürgerlich-politische — den eigent-
lichen Gegenstand der Kritik dargestellt hatte.
Hier bereits zeigt sich trotz aller Unterschiede eine
erste Gemeinsamkeit mit der früheren Position: nämlich
das was wir als „Schubladen“-Kategorisierung bezeich-
net haben, nur daß eine andere Schublade gezogen wird,
nämlich die Lohnarbeiter-Kategorie.
Entsprechend wird der Entstehungsprozeß von Stadt-
teilinitiativen umstandslos aus Angriffen auf das Repro-
duktionsniveau erklärt 10) — ein Erklärungsmuster, das
schon bei spontanen Streiks offenbar versagen muß und
eben nicht erfaßt, daß derlei Aktionen und Initiativen
kollektiv eine persönliche Identität ihrer Teilnehmer
herstellen. Sie schaffen so eine politische Identität, -
die sich weder auf die des Staatsbürgers noch auf die
des Verkäufers der Arbeitskraft reduzieren läßt, und”
welche zerfällt, wenn sie sich praktisch auf eines dieser _
beiden Momente reduziert: Wenn also z.B. Helga Fassbinder
in ihrem Sozialplan-Artikel 11), die abgehobene politologi-
sche Diskussion um die staatsbürgerliche Partizipation
als am Problem vorbeigehend kritisiert, andererseits
aber als Kernproblem die soziale Sicherung und geldför-
mige Entschädigung der Sanierungsbetroffenen bezeich-
net, und die staatsbürgerliche Partizipation der rechtli-
chen Regelung von Entschädigungen sachlich und zeit-
lich nachordnet, dann dividiert sie das_politische und
das soziale Moment und damit die spezifische politische
Identität basisdemokratischer Bewegungen auseinander,
reduziert sie gemeinsame Interessen auf private Entschä-
digungsansprüche und das politische Moment direkter
Demokratie auf institutionelle Partizipationsrechte, die
sich allein auf die „Konkretion der Entschädigung“ be-
ziehen sollen. : Statt also, wenn auch nur publizistisch,
Forderungen zu formulieren, welche auf die Erweite-
rung der Aktionsmöglichkeiten basisdemokratischer Ini-
tiativen zielen, werden hier Forderungen gestellt, wel-
che solche Initiativen überflüssig machen sollen. 12)
Fragt sich, wer eine solche Verrechtlichung politisch
durchsetzen will — basisdemokratische Initiativen jeden-
falls nicht und die westdeutschen Gewerkschaften dürf-
ten derartiges an die Adresse der SPD verweisen.
Die (selber politisch motivierte) Vernachlässigung
der spezifischen, unmittelbar politischen Momente sol-
cher Initiativen, welche die Legitimität bestehender
Herrschaftsformen praktisch infragestellen, verkürzt die-
se auf ihre quasi-gewerkschaftlichen Momente. Nachdem
sie so interpretativ auf die Linie der sozialökonomischen
Hauptfront gebracht sind, von daher also eine liquidato-
rische Haltung zu ihnen nicht mehr bezogen wird, bleibt
die „klassenspezifische Organisationsform” (so die
Redaktion im Editorial zu Heft 22) und „lokale Fixie-
rung und Beschränktheit‘““ der ‘Bürgerinitiativen‘, wel-
che die „konkrete Universalität”” der Probleme, mit de-
nen sie befaßt sind, nicht einsehen (so Adalbert Evers in
Heft 20). Indem nun nachgewiesen wird, daß sich Probleme
der Produktion nicht auf den engeren Produktionsbe-
reich eingrenzen lassen (Beispiel Umweltschutz) 13) und
die „Erhaltung des (Tausch-)Werts der Arbeitskraft‘ als
die Aufgabe der Gewerkschaften postuliert wird 14),
sich diese Aufgabe aber nicht auf den Produktionsbe-