ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 27
verfällt dem schon oben aufgezeigten Fehler, die Konsti-
tuierung politischen Bewußtseins unmittelbar aus der ob-
jektiven ökonomischen Lage abzuleiten. Auch wenn die
beschriebene Politisierung der Architekten nur eine „ra:
dikalisierte Variante der Berufsideologie‘“ 19) darstellen
mag und deren ökonomische Basis die Fortexistenz klei-
ner Büros selbständiger Warenproduzenten ist, so hat dies
für die ideologische Krise des Kapitalismus auf diesem
Sektor eine weit größere Bedeutung gehabt, als sie eine
gewerkschaftliche Organisierung der Architekten allein
zumindest in mittelfristiger Sicht je haben könnte. Um
Mißverständnisse zu vermeiden: wir kritisieren auch hier
nicht die Propagierung einer gewerkschaflichen Organi-
sierung, welche in der Tat auf der Tagesordnung steht.
Wir kritisieren die Ausschließlichkeit einer gewerkschaft-
lichen Orientierung, die explizite Wendung gegen die Zu-
sammen- oder Zuarbeit von Architekten mit bzw. für
‚'Stadtteilinitiativen 20),.den Verzicht auf eine politische
Diskussion und Argumentation, welche gerade auch an C
den fachlichen Inhalten anknüpfen muß. Das politisch-
soziale Engagement der genossenschaftlich organisierten
Büros etwa scheint uns nichtsdestotrotz ein wichtiger
Faktor in der politischen Auseinandersetzung zu sein,
auch wenn deren Mitglieder Unternehmer sind und sich
berufsständische Privilegien in neuer progressiver Form
bewahren möchten. Auch hier verlaufen die „Frontlinien..
„der Auseinandersetzung nicht längs der sozialökonomi-,
„schen Hauptfront zwischen Arbeiter- und Kapitalisten-
„Klasse und schon gar nicht ist diese Auseinandersetzung
erst dann zu führen, wenn diese Hauptfront ihrerseits
jene heutige Frontlinie erreicht haben wird, also auch
die noch in kleinen Büros Beschäftigten reell subsumier-
te Lohnarbeiter geworden sind.
3. Zur Beurteilung der „gewerkschaftlichen Orientierung“
als allgemeiner Situations- und Strategiebestimmung
Die beiden politischen Argumentationsstränge zu den
Themenbereichen ‘Bürgerinitiativen‘ und gewerkschaftli-
che Organisierung von Architekten sind gewissermaßen
nur bereichspezifische Anwendungsfälle einer allgemei-
nen Situations- und Strategiebestimmung von Teilen ins-
besondere der nicht-organisierten und insbesondere auch
der akademischen Linken: eben der „gewerkschaftlichen
Orientierung“. Sie ist eine Reaktion auf die Zersplitterung
und Selbstisolierung der aus der außerparlamentarischen
Opposition hervorgegangenen Intellektuellenbewegung,
und soll so etwas wie eine Rückzugs- und Auffanglinie
darstellen. Sie wird in der Regel als realistische Alternati-
ve zur Sackgasse der ‘Studentenparteien‘, aber zugleich
auch als eigentlich richtige ‘proletarische Orientierung‘
verstanden.
In groben Zügen läßt sich diese Linie so beschreiben:
Die Arbeiterklasse der BRD fühlt sich nach wie vor vor
allem materiell, nicht aber politisch bedroht. Die einzige
Organisation, die in der Lage ist, dieser materiellen Be-
drohung zu begegnen, sind die Gewerkschaften. Sie sind
in der BRD die einzige Massenorganisation der Klasse und
die politische Hauptkonfliktlinie verläuft im Kapitalis-
mus immer zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse.
Eine Verbindung zwischen der linken Intellektuellenbe-
wegung und der Arbeiterklasse ist ein untergeordnetes
Problem und nur insoweit möglich, als die intellektuel-
len Berufe eine Proletarisierung erfahren und so eine Ein-
heit im Abwehrkampf gegen die materielle Bedrohung ge-
funden werden kann.
Eine solche Strategie hat im Geiste schon die Reste
der Intellektuellenbewegung liquidiert — und zwar nicht
aufgrund einer historisch-konkret begründeten Einschät-
zung ihrer gegenwärtigen Ohnmacht oder dgl., sondern
aus prinzipiellen Gründen: wie sich aus der Marxschen
Analyse des „Kapitals im allgemeinen“ zweifelsfrei er-
gibt, sind nicht etwa irgendwelche sozialistische Intellek-
tuelle, sondern die Arbeiterklasse das „historische Subjekt“
welche aufgrund der den Kapitalismus kennzeichnen-
den Subjekt—-Objekt—Verkehrung freilich zugleich Ob-
jekt des Kapitals ist und welche in einem politischen
Sinne „historisches Subjekt‘ erst werden muß, indem
sie ihre Objektrolle selbst aufhebt — und das kann sie in
der Tat nur selber tun.
Da dieser revolutionäre Prozeß gegenwärtig nicht auf
der Tagesordnung steht, kann es dieser Position zufolge
nur darum gehen, die Leiden des Objekt-Daseins zu mil-
der und das heißt vor allem anderen, der immer wieder-
kehrenden materiellen Bedrohung zu begegnen, bis end-
lich entweder die Erfahrungen solcher Kämpfe oder eine
Tiefe ökonomische Krise des Kapitalismus und einige
aufklärerische Hilfsdienste geschulter Marxisten (ÖTV-
Kollegen allesamt!) der Arbeiterklasse die Augen öff-
nen und diese zur politischen Tat schreitet.
Die enorme Spannung, die hier zwischen der ‚histori-
schen Bestimmung‘ der Arbeiterklasse und ihrer realen,
vermeintlich bloß ökonomistischen Bewegung konstru-
iert wird, läßt diese Position blind werden gegenüber den
hier und jetzt politischen Momenten dieser realen Arbei-
terklassenbewegung. Indem sie zugleich „konkrete“ Stra-.
tegien direkt aus der der allgemeinen Kapitalanalyse ab-
leitet und daher reale politische Bewegungen nur gelten _
lassen will, wenn sie in dieser Analyse ihren festen Ort ___
haben, führt diese Position zu einer liquidatorischen.Hal-
tung gegenüber allen politischen Bewegungen und Initia-
tiven, welche durchaus getragen von real antikapitalisti-_
schen Zielen an aktuellen Frontlinien kämpfen, die aber
nicht zusammenfallen mit der sozialökonomischen Haupt-
front, der zwischen Arbeiter- und Kapitalistenklasse. Indem
sie einen voluntaristischen Aktionismus vermeiden will_ver-
fällt diese Position einem ebenso-fatalen.abstrakten. Vo:
funtarismus. Sie verfällt zugleich, indem sie in vermeint-
lich realistischer Einschätzung der realen Arbeiterklassen-
bewegung auf die Verteidigung ökonomischer Interessen
rekurriert, einem ökonomistisch begründeten Defätismus
“der freiwillig, um der Wahrung abstrakter Prinzipien wil- —
len, den politischen Rückzug antritt, indem er den ‘poli-
tischen Kampf’ dem ‘ökonomischen Kampf” auch zeitlich
nachgfordnet. .