ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 27
der Hoffnung, damit an Lesern zu gewinnen, was an
anderer Stelle verloren gehen mag
die sozialistische Ausrichtung der Zeitschrift weiter so
zu intellektualisieren, daß die aktuelle politische Re-
alität unterhalb des Abstraktionscharakters der Bei-
träge bleibt, oder aber die politischen Aussagen —
wenn auch mit spitzer Kritik garniert — sich in den
Rahmen dessen zurücknehmen, was jedes landläufige
Gewerkschaftsblatt politisch auch verkünden darf.
Im ersten Fall müßte der politische Anspruch der Zeit-
schrift gestrichen werden: im anderen Fall würde auf ei-
ner falsch aufgebauten Front, eben der zwischen Lohn-
arbeit und Kapital der weitere Rückzog vollzogen. ARCH+
wird in der gewandelten Realität vielmehr gezwungen
sein, sich an all den Potentialen zu orientieren, die unter
den neuen Bedingungen einer — wie Negt es ausdrückt —
„zweiten Restauration“ weiter kämpfen oder die diese
zweite Restauration gegen sich selbst auf den Plan ruft.
Widerstand, Desintegration, Kampf und Autanomie
geht dabei heute nicht allein von Sozialisten aus, sowe-
nig wie sie allein diejenigen sind, die angegriffen werden;
— diejenigen Architekten, die weiter auf einer an den In-
teressen der Bewohner orientierten Wohnplanung
oder Modernisierung festhalten und entsprechende
Reformen forden
Stadtplaner und Architekten in genossenschaftlichen
Büros, die versuchen in der Kooperation mit Basisini-
tiativen ihr fachliches und technisches Wissen an ei-
nen anderen Adressaten zu richten
Studenten, die einen Rückfall in eine autoritäre,
fremdbestimmte Ausbildung an den realen Problemen
vorbei und die permanente Produktion von Studienar-
beiten für den Papierkorb nicht hinzunehmen bereit
sind,
Basisinitiativen, die in einer politisch radikalen Form
ihre materiellen Interessen vertreten.
Sie alle und andere müssen sich nicht als sozialistisch be-
greifen, stehen jedoch real einem gemeinsamen Gegner ge-
genüber. Wenn ARCH+ also Berichte über Ansätze genos-
senschaftlicher Organisierung, Beiträge zu einer kritischen
Architekturdiskussion, von und über Stadtteilinitiativen
bringt oder bringen wird, dann geschieht das aus einer grund-
legenden politischen Einschätzung und in der Erwägung, daß
derjenige, der sich praktisch wehrt, heute wichtiger ist als
derjenige, der sich mit dem Blick auf theoretische Him-
mel der praktischen Auseinandersetzung, der Reflexion
über das, was jetzt ansteht, de facto entzieht.
ARCH nicht allein als Zeitschrift von Sozialisten für
Sozialisten, sondern als Zeitschrift all der praktischen
und theoretischen Kritik, die sich dagegen sperrt, sich in
die Verhältnisse zu fügen. Auf der Basis der Gemein-
schaft, die Kapital und Staat in der gegenwärtigen politi-
schen und ökonomischen Repression den Angegriffenen
geradezu aufzwingen , wird sich im einzelnen eine gegen-
über den bisherigen Konzept breitere Pluralität der Mei-
nungen und Standpunkte ergeben, eine Pluralität jedoch,
die sich nicht pragmatisch, sondern politisch begründet
und ‚sich darum auch an politisch begründeten Schwer-
C
punkten festmachen muß.
Ebenso wird sich auch die bislang dominierende Aus-
richtung der Zeitschrift auf ein akademisches Leserpub-
likum zugunsten der breiteren Orientierung abschwächen
müssen, da sich auch die Schauplätze und Teil-,,Öffent-
lichkeiten“ praktischer und theoretischer Auseinander-
setzung vervielfacht haben. War schon die bisherige Adres-
satengruppe heterogen genug, differenziert in Studenten
und Berufstätige, Selbständige und Angestellte usw., Ar-
chitekten, Planer, Sozialwissenschaftler, so wird sich künf-
tig die Pluralität der Adressaten noch vermehren: im Aus-
bildungsbereich spielen die Sozialarbeiter, Studenten,
Fachhochschüler und Gewerbelehrer einschlägiger fachli-
cher Orientierung eine zunehmend wichtige Rolle. Mit
der stärkeren Orientierung an bereits berufstätigen Archi-
tekten, Planern usw. werden auch etwa die Diskussionen
in Berufsverbänden, Tagungen usw. bedeutsam, Ausein-
andersetzungen, welche wir für eine breitere oder andere Öf-
fentlichkeit durchsichtig und damit gegebenenfalls kriti-
sierbar machen möchten. Schließlich gibt es neben der
Diskussion über „Bürgerinitiativen‘“ auch Diskussionen in
Bürgerinitiativen, die zu dokumentieren, aufzuarbeiten
und zueinander zu vermitteln wären. Auf der lokalen
und regionalen Ebene versuchen dies basisdemokratische
Initiativen selbst mit Zeitungen wie dem „Kölner Volks-
blatt‘, dem „Ruhr-Volksblatt‘‘ und deren Aachener Ent-
sprechung, dem „Klenkes‘“. Für Teilbereiche könnte
ARCHt versuchen, hier als Multiplikator über die lokale
_Ebene hinaus und an die Hochschulen zurück zu wirken.
Eine breitere Pluralität der Meinungen ebenso wie der
Adressaten wird künftig die Heterogenität der Beiträge.
in ARCH+ eher noch steigern. Deren Nachteile sollen
nicht verschwiegen werden: eine vielfältigere Stufung
mehr theoretischer, mehr empirisch oder praktisch orien-
tierter Beiträge. Die breitere Streuung der Sach- und In-
teressengebiete wird noch stärker als bisher dazu führen,
daß die verschiedenen Adressatengruppen jeweils einige
Artikel des Hefts werden „in Kauf nehmen” müssen.
Trotz alledem: Will man auf die theoretische Fundie-
rung praktischer Tätigkeit nicht verzichten, soll umge-
kehrt in ein und demselben Diskussionsforum der prak-
tisch-politische Wert analytischer Überlegungen nachprüf-
bar sein, soll verhindert werden, daß ohne gemeinsame
fachbezogene politische Fragen die Diskussionen von Pla-
ner, Architekten, Sozialarbeitern, wissenschaftlich Ar-
beitenden fachlich zerfasern und auseinanderlaufen,
dann scheint uns eine derartige Heterogenität notwendig.
Wie sich solche Heterogenitätsprobleme, Probleme der
Umsetzung der anvisierten Publikationsstrategie in die Re-
daktionsarbeit und Heftgestaltung umsetzen lassen, ist in
der Redaktion noch nicht ausdiskutiert. Einige Vorschlä-
ge hierzu laufen darauf hinaus, die Hefte in jeweils drei
Komplexe zu gliedern: erstehs Beiträge zu kontinuierlich
über mehrere. Heftnummern laufenden Diskussionen über
denselben Problemgegenstand („Schwerlinien“‘‘); zweitens
einen heftspezifischen thematischen Schwerpunkt („„Fo-
kus“), drittens einen Komplex, der jeweils verschiedene
Adressatengruppen ansprechen soll („Varia‘‘).