Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (ab H. 28: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen) (1975, Jg. 7, H. 25-28)

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bares handelt. Und er ist daran gescheitert, daß bereits 
er sich selbst als rational mißverstanden hat: er hat wi- 
der Willen Kunst getrieben. 
Auf den ersten Vorwurf läuft die ernsthafte Kritik 
des Funktionalismus im Grunde hinaus, und es ist nur 
schade, daß sie dabei an den zweiten Vorwurf nicht ge- 
dacht hat, der dem ersten zu widersprechen scheint 
und ihn doch nur ergänzt. Betrachten wir trotzdem zum 
Abschluß den ersten Vorwurf isoliert. Er ist, und ich 
meine zu recht, in die Formel gefaßt worden, daß der 
Funktionalismus eindimensional gedacht habe. 
Die bedeutendste Kritik, die mir bekannt ist, ist die 
von Alfred Lorenzer, die Kritik von seiten der Psycho- 
analyse. Lorenzer stellt fest, daß ein jedes Gebäude, daß 
der Plan, der Plan der Stadt im besonderen, Symbole 
schafft, in denen der Einzelne sich wiederfindet und 
zwar als Glied der Gemeinschaft. 
Dem kann ich nur voll zustimmen. Es genügt nie- 
mals, daß ein Gebäude oder ein Plan seinen Zweck er- 
fülle. Es genügt auch nicht, daß man ihm das ansieht, 
obwohl dies erheblich wichtiger ist, als die Zweckerfül- 
lung selbst. Nicht den erfüllten Zweck allein muß man 
der Verwirklichung ansehen können, sondern die Men- 
schenart, die Lebensart, in welcher der Zweck gilt. Es 
handelt sich, auch hier hat Lorenzer ohne Zweifel recht, 
um die Transzendierung der Funktionen in ein gesell- 
schaftlich bestimmtes Symbol: ein gesellschaftlich be- 
stimmtes Symbol. Das Symbol ist also abhängig vom 
Selbstverständnis der Gesellschaft. Und ich glaube, man 
muß sehr ernsthaft an Lorenzer die Frage stellen, ob 
die gegenwärtige Gesellschaft imstande ist, Symbole zu 
schaffen. Der Funktionalismus hat für niemanden ge- 
baut. Ich erinnere an Gropius’ gleichartige Bedürfnisse. 
Ich erinnere auch an die unglückseligen Besitzer von Vil: 
len Le Corbusiers, an jene Madame Savoye, die das Ge- 
dicht nie bewohnt hat, welches Le Corbusier für sie ge- 
dichtet hat. Sie hat es aber mit Möbeln eigenen Ent- 
wurfs geschändet; an jenen Stein, der meinte, sein Haus 
in Garches zu lieben und Möbel hineinstellte, welche Le 
Corbusier verhindert haben, die Räume jemals zu pho- 
tographieren. 
Sehen Sie: Muthesius‘ Landhäuser halten ganz gewiß 
den Vergleich mit denen von Le Corbusier nicht aus; 
aber sie überzeugen, weil man ihnen ansieht, für wen sie 
gebaut wurden, für welche Gesellschaftsschicht, meine 
ich. Der Funktionalismus bereits fand eine solche 
Schicht nicht mehr vor. Er hat für niemanden gebaut. 
Und keiner wird leugnen, daß die heutige Gesellschaft 
noch unbeschreiblicher geworden ist, als die der späten 
zwanziger Jahre. Darum stehe ich der von Lorenzer im- 
plizierten Möglichkeit, daß ein echter Städtebauer auch 
heute symbolisch planen könne, zweifelnd gegenüber. 
Wir haben aber für die gegenwärtige Gesellschaft zu 
planen und zu bauen. Können wir für dieses Vorhaben 
etwas aus dem Scheitern des Funktionalismus lernen? 
Ich glaube wohl. 
Der Funktionalismus ist daran gescheitert, daß er zu 
wenig gefragt hat und die Lücke in den Grundlagen 
ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 27 
dann jedesmal durch den Kurzschluß zur Kunst über- 
sprungen hat. Er hat es versäumt, den nächsten Schritt 
zu tun. Man darf ihm das nicht vorwerfen: jede Genera- 
tion geht nur einen Schritt nach vorn. Der Funktionalis- 
mus hat einen sehr großen Schritt gemacht. An uns ist es, 
den nächsten Schritt zu tun. Da wir erkannt haben, daß 
ein Bau, daß jeder Plan einem unauflösbaren Syndrom 
von Bedingungen genügen muß, so werden wir ihm krea- 
tiv begegnen müssen. Das heißt aber nicht, daß wir die 
wenigen Fragen, die der Funktionalismus gestellt hat, 
unsererseits gar nicht erst stellen. Das wäre ganz gewiss del 
Kurzschluß zur Kunst. Und wenn Sie die gegenwärtige 
Architektur ein wenig genauer betrachten, so werden | 
Sie finden, daß dieser Kurzschluß allenthalben gemacht 
wird. Sie werden es dann bald aufgeben, diese Architek- 
tur als zweckrational zu bezeichnen. Auch sie ist es 
nicht. Ich wünschte, sie wäre es! Sie hat vom Funktiona- 
lismus auch dies geerbt: daß ihre Werke nicht funktionie: 
ren. Wir werden nicht weniger fragen müssen, als der 
Funktionalismus, sondern viel mehr. Tun wir das, sehen 
wir wirklich wie Luther gesagt hat, den Leuten aufs 
Maul, um zu erfahren, wie sie wirklich sprechen, was sie 
wirklich wollen, wessen sie wirklich bedürfen, so werden; 
wir am Ende Annehmbares herstellen können: keine Syn} 
bole: Annehmbares. Ich leugne nicht, daß das Symbol 
als Ausnahme auch heute noch möglich ist. Wir besitzen 
immerhin die Philharmonie. Aber lassen wir uns von zu 
hohen Hoffnungen nicht blenden. Versuchen wir, dem 
Alltäglichen ehrlich, genau, treu, gerecht zu werden. Was 
darüber ist, steht — beinah hätte ich gesagt in Gottes 
Hand. Versuchen wir, dem Alltag gerecht zu werden. 
Nicht,-das möchte ich am Schluß sagen, ohne ein Wort 
des Dankes an den Funktionalismus.
	        

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