Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (ab H. 28: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen) (1975, Jg. 7, H. 25-28)

Saite 6 
Zum Thema Stadtautobahn: ll d ı 
in Poll erfolgen. Zwangsläufig 
wird linksrheinisch mit Auf- und 
Abfahrten in Bayenthal die Brücke 
im Vorgebirgspark mit der verlän- 
gerten Autobahn Köln-Bonn zu eine 
Verteilerknoten zusammengeführt. 
Zwangsläufig wird dann schließlich 
auch das noch fehlende Mittelstück 
des Autobahnringes zwischen Vor- 
gebirgspark und Herkulesstraße 
quer durch den Grüngürtel gebaut 
werden "müssen", So sehen jeden: 
falls die Zwangsvorstellungen der 
Planer aus, 
Bis das verwirklicht wird, soll 
die Innere KanalStr. , Universitäts 
straße bis zur Vorgebirgstraßee 
durchgehend auf 6 Spuren ausge- 
baut werden und den Verkehrsstrom 
aufnehmen, Ob als Ersatz- oder 
UVbergangslösung, darüber‘ wird im 
Rat noch diskutiert 
Die kölner Vepkehrsplaner blasen 
zum Angriff auf den 50 Jahre alten 
Grüngürtel: Mitten hindurch wollen 
sie 13 Kilometer sechsspurige Au- 
tobahn legen. Wie general- 
stabsmäßig sie dabei vorgehen, 
zeigen Operationen, die schon "er- 
folgreichH'gelaufen sind und als so- 
genannte Sachzwänge weitere Tat- 
sachen erzwingen sollen. 
Tatsachen fallen nicht vom Himme) 
auch keine Stadtautobahnen. Sie 
werden nüchtern erplant und ge- 
schickt verpackt dem Bürger ser- 
viert. Besonders viel Mühe gibt man 
sich damit, ein plausibles Ziel 
für solche Planungen zu finden, 
Bei der Autobahnplanung um die 
Innenstadt herum soll für die Öf- 
fentlichkeit das Ziel im Vorder- 
grund stehen, das Zentrum von 
stinkenden Blechlawinen zu befrei- 
en. Aber man möchte natürlich 
nicht alle Autos aus der Innenstadt 
entfernen, sondern nur ganz be- 
stimmte. City-Verweis soll haupt- 
sächlich der Durchgangsverkehr 
bekommen, also die Leute, die 
weder in der Innenstadt wohnen 
oder arbeiten, noch hier in den 
großen Kaufhäusern einkaufen wol: 
len. Von diesem Verkehr möchte 
man die Innenstadt entlasten. Dann 
wird mehr Platz frei für den Käu- 
ferstrom in den Einkaufszentren 
der Innenstadt, für den die Kassen- 
glocken klingen sollen, So nennt, 
man, "Umweltschutz" und "Ar- 
beitsplatzbeschaffung" auf den Lip- 
pen, die Gewinne der Einkaufs- 
zentren im Hinterkopf, die geplante 
Stadtautobahn nicht etwa Kaufför- 
derungsallee, sondern Innenstadt- 
Entlastungstangente. Man will den 
Bürger in seinem Grüngürtelrös- 
chenschlaf nicht aufwecken. 
Stadtzerstörung - 
ein unaufhaltsamer "Fortschritt"? 
Die kölner Verkehrsplaner machen 
es umgekehrt: Sie nehmen es als 
normal hin, daß die Menschen aus 
der Stadt ins Grüne ziehen und 
zum Arbeiten und Einkaufen in die 
Stadt fahren müssen, Sie rech- 
nen damit, daß‘ das immer so wei- 
ter geht ("Trend" nennen sie das) 
und finden so heraus, daß der Au- 
toverkehr zwangsläufig zunehmen 
muß, 
Das Schlimme ist, daß die Planer 
mit ihren Planungen für diesen 
Trand sorgen, daß also tatsächlich 
der Verkehr zunimmt. Dieser Teu- 
felskreis entsteht folgendermaßen: 
Die Planer erwarten Verkehrs- 
ströme und planen daraufhin zum 
Beispiel eine Stadtautobahn. Durch 
die Stadtautobahn bekommt die Um- 
gegend eine sehr günstige Verkehrs 
lage und entsprechend hohe Boden- 
preise. Also setzen sich haupt- 
sächlich große Firmen in den neu- 
en "guten Lagen" fest, Schon heute 
entstehen in direkter Nachbar 
schaft zur Inneren KanalStr. gi- 
gantische Büropaläste:zum Beispie? 
von Siemens, Dr. Rüger oder dem 
Verfassungsschutz. Und die Behör- 
den stehen ihnen nichts nach. Auch 
der neue teure Fernsehturm wird 
direkt im Grüngürtel gebaut. Er 
wird nicht allein stehen bleiben und 
nassenhaft Verkehr anziehen, 
Mit den Büro- und Industriebau- 
‚en kommt Berufs- Liefer- und 
Kundenverkehr. Die Verkehrs- 
ströme werden größer, bis eines 
unschönen Tages die Stadtautobahn 
wieder zu klein ist. Dann sind die 
Verkehrsplaner wieder an der 
Reihe und alles geht von vorne 
08. 
seneralverkehrsplan 
Alles, was die Kölner Verkehrs- 
planer sich ausdenken, beruht auf 
Verkehrsprofessor Wehner's "Ge- 
neralverkehrsplan der Stadt Köln 
von 1956" , der 1973 überarbei- 
tet wurde, Das Kernstück dieses 
Planes ist die Stadtautobahn. Sie 
soll den erwarteten Autoverkehr 
an die Innenstadt heran und um sie 
herum führen, Wieviel Verkehr in 
Zukunft zu erwarten ist, haben die 
Planer mit einer Milchmädchen- 
rechnung herausgefunden. Als der 
Plan erarbeitet wurde, erwartete 
man, daß Köln bis 1972 um 40 000 
Einwohner wachsen würde, Also 
musste auch der Autoverkehr ent- 
sprechend mehr werden. 
Tatsächlich sinkt die Zahl der 
kölner Einwohner aber jedes Jahr 
um 10 000, Das 
"re den Gene- 
ralplaner bei de: 
Neuauflage von 
1973 allerdings 
venig. Entschei: 
iende Veränderu 
gen im Verkehrs 
konzept hielt er 
nicht für nötig, 
Das Planungszie 
werde eben erst 
später erreicht, 
hieß es, 
Nicht nur wegen 
dieser wirklich- 
keitsfremden Berechnungen sind di: 
Vorschläge des Wehner-Gutachtens 
mit Vorsicht zu genießen. Der 
Pferdefuß an der Planung ist, daß 
sie allein von der Menge des Ver- 
kehrs ausgeht. Überlegungen, wie 
sich der Verkehr aus dem ergibt, 
was sich in den einzelnen Stadt- 
teilen tut, werden gar nicht erst 
angestellt. Ein "Großmarkt" in 
einem Wohngebiet zieht natürlich 
viel Verkehr an. Aber anstatt eine 
Autobahn durch die Häuser zu 
schlagen, könnte man ja auch die 
Großmarkthallen als Güterum- 
Schlagplatz an den Stadtrand legen 
Das ist für die Viertelbewohner 
angenehm und insgesamt nicht so 
teuer wie die neue Autobahn samt 
Häuserabreißen 
Bei diesem scheinbar unaufhalt- 
baren Fortschritt bleiben die Vier- 
tel in der Nähe der Autobahn auf 
der Strecke. Die Bürgersteige 
der Straßen, die nahe an den neu- 
en Bürobauten liegen, werden 
überschwemmt mit parkenden Au- 
tos. Spätestens, wenn die ersten 
Kinder beim Spielen totgefahren 
werden, beginnt der Auszug der 
Familien mit Kindern, Zurück 
bleiben die Alten, die die Mieten 
in Bocklemünd oder Chorweiler 
nicht bezahlen können und an ihrem 
Viertel hängen. In die leeren Woh- 
nungen ziehen Alleinstehende, 
Studenten und ausländische Arbei- 
ter. Weil es kaum noch (deutsche) 
Kinder gibt, werden keine Kinder- 
gärten, Spielplätze und Schulen 
mehr gebaut. Die Wohnungen wer- 
den nicht mehr renoviert und wei- 
chen am Ende den Bürobauten, 
Die Hausbesitzer können gar nicht 
anders, Weil der Boden in der 
verkehrsgünstigen Lage so be- 
gehrt ist, steigen die Bodenpreise 
Geschäftshäuser verdrängen Wohn- 
häuser. Nach einigen Jahren ist 
aus dem Wohnviert el ein reines 
Büro- oder Industrieviertel ge- 
worden, das abends verödet. 
Das ist aber nicht das einzige 
Problem der Kölner Stadt- und 
Verkehrsplanung 
Während sich die Ratsleute noch 
Scheingefechte um das Für und 
Wider der Stadtautobahn liefern, 
ist die Verwaltung längst aktiv. 
Allen voran Tiefbaudezernent 
Braun. Unter seinem Kommando 
schieben sich die Bautrupps schon 
jetzt von einem Autobahnteilstück 
zum anderen vor.‘ Dabei benutzen 
die Verkehrsstrategen die Sach- 
zwangargumentation. Zuerst lässt 
man ein Teilstück fertigstellen. 
Dann wird soviel Verkehr durch da: 
neue Stück geleitet, bis der Ver- 
kehrsstau an.den Zu und Abfahrten 
eine weitere Ausbaustufe "not- 
wendig" macht. So wurde nach dem 
Anschluss der Autobahnstrecke 
Olpe-Köln an den rechtsrheinischen 
Ring und die Zoobrücke soviel Ver- 
kehr auf das "autobahnähnliche" 
Teilstück der inneren Kanalstraße 
gepumpt, daß sich die Planer dem 
Zwang nicht entziehen konnten, ei- 
nen weiteren Ausbau zu beschließer 
So s0ll in einer ersten Ausbau- 
stufe zwischen Eisstadion und Kre- 
felderstraße die Stadtautobahn 
nördlich der Inneren Kanalstraße 
unter Niehler+- und NeußerStr. hin- 
durchgeführt werden und vor der 
Eisenbahnunterführung wieder auf 
die verbreiterte Innere KanalStr, 
stoßen, Damit will man 1976 begin- 
nen. In einem zweiten Bauabschnitt 
will man die Zuglinien untertunneln 
und kurz vor dem Herkuleshaus auf 
die dann schon ausgebaute Anbind 
ung an die Köln-Neußer Autobahn 
treffen. In einer Zangenbewegung 
soll dann von einem zweiten Brücke 
kopf aus über eine weitere Auto- 
bahnbrücke im Süden parallell zur 
Eisenbahn-Südbrücke , der Auto- 
bahnring um die Innenstadt geschlos 
sen werden. 
Steht erst einmal die neue Süd- 
brücke für 160 Millionen, dann wird 
rechtsrheinisch der Anschluss an 
die Flughafenlinie und den Cityring | 
Der Verkehr fällt 
nicht vom Himmel 
Wieviel Verkehr von einem be- 
stimmten Stadtbereich ausgeht, 
richtet sich nicht bloß danach, 
wieviele Menschen dort wohnen. 
im Severinsviertel wohnen mehr 
Leute als in der Nordstadt, Trotz- 
diem geht vom Severinsviertel we- 
‚7/8 
Aur 775 
> 
Die Stadtautobahn macht 
den Grüngürtel kaputt 
Die Stadtautobahn, so wie sie in 
Köln geplant ist, zerstört lebens- 
wichtiges Grün und Naherholungs- 
gebiete für die Innenstadt, In Nip- 
pes wird den Kindern eine der we- 
nigen grünen Spielflächen genom- 
men, ganze Kleingartensiedlungen 
werden planiert und mit Beton auf- 
gegossen. Allein im südlichen Be- 
reich sind 20 Hektar (das ist etwa 
soviel Fläche wie die von 40 Fuß- 
ballplätzen) citynahes, begrünbare: 
Brachland betroffen (7 km Auto- 
bahn, Im Innenstadtbereich sind 
das bei 6 km Länge 17 Hektar 
(34 Fußballplätze) Grünfläche 
bzw begrünbare Fläche, Der ge- 
samte Innere Grüngürtel wird für 
die Erholung unbrauchbar. Selbst 
FDP-Ampel-Meyer gibt zu, daß 
65 % des Grüngürtels verloren- 
gehen, Alles, was an die Auto- 
bahn angrenzt, kann wegen Lärm- 
und Abgasbelästigung nicht mehr 
benützt werden, Die Grünflächen 
innerhalb der riesigen Betonschle: 
fen der Ab- und Zufahrten sind 
für Menschen sowieso unerreich- 
bar. Sie werden, wie schon jetzt 
zum Beispiel an der. Zoobrücke 
zu beobachten, zu Reservaten für 
Tausende von Karnickeln (Kning) 
oder fotografierende Verkehrs- 
wachtmeister (Klack). Durch die 
indirekte Zerstörung, das Unbe- 
nutzbarmachen von Grün, sind 
zusätzlich etwa 120 Hektar (240 
Fußballplätze) betroffen. 
Wie wichtig dieses Grün für die 
Innenstadt-Bevölkerung ıst, zeigt 
sich daran, daß die durchschnitt- 
liche Grünfläche pro Einwohner 
in der‘ Innenstadt nur 15 qm (wie 
ein Kinderzimmer) beträgt, gegen- 
über 76 qm, berechnet auf die Ge- 
samtstadt 
Weiterhin: Für den Bau der Stadt- 
autobahn wird guterhaltener Wohn- 
raum mit noch annehmbaren Mie- 
ten geopfert. So wird die Autobahn 
in Poll zum Beispiel mitten durch 
den alten Ortskern geplant. Sehr 
mutig wird eine Bresche durch 
Wohngebiet geschlagen, der ganze 
Häuserzeilen weichen müssen, 
wie ' Ar den Maien}Und Tiefbaude- 
zernent Braun weiß auch zu be- 
gründen , warum die Brücke nicht 
südlicher gebaut wird: weil dort 
ohnehin eine weitere Brücke ge- 
Plant ist. Und so weichen denn in 
Nippes die Schrebergartenhäuser, 
in Poll die Wohnsiedlungen und 
entlang der westlichen. Bahnlinie 
ganze Häuserzeilen, 
Was dann noch stennbleibt an der 
Autobahn, muss mit Lärm und Ab- 
gas leben, Schließlich kann man 
ja nicht rechts und links der Fahr- 
bahn, wie bei Neuplanungen, einen 
200 Meter breiten Streifen von 
Wohnungen freihalten, Wenn man 
vom Verkehrsaufkommen des Weh- 
ner-Gutachtens ausgeht, wird der 
Mindestwert des Dauerschallpegels 
in 25 m Entfernung der Fahrbahn- 
achse 75 Phon betragen, nach den 
Leitsätzen des Deutschen Arbeits- 
ringes für Lärmbekämpfung soll 
der Lärm in Wobnungen 45 Phon 
tagsüber und 30 Phon nachts nicht 
überschreiten. 
Bei den von Wehner vorausgese- 
henen 83 000 PKW-"Einheiten" pro 
Tag werden insgesamt 45 Tonnen 
Kohlenmonoxyd, 5,5 Tonnen Koh- 
lenwasserstoff, 1,8 Tonnen Stick- 
oxyde, 136 Kilo Schwefeldioxyd 
und ein Kilo Blei täglich auf die 
Anwohner niedergehen, Auf die 
Dauer wird es desbalb zum gewohn- 
ten Bild des Alltags gehären, daß 
alte Leute auf der Straße wegen 
Atemnot zusammenbrechen und die 
Bäume nicht mehr grün werden 
wollen, 
Den Professor mag das nicht mehr 
stören, Er hat sich inzwischen zu- 
rückgezogen auf eine der größten 
zusammenhängenden städtischen 
Grünflächen, ungestört von Lärm 
und Abgas, auf das letzte, für 
Autos verbotene Terrain, auf den 
Friedhof, Wo ihm doch ein Begräb- 
nis unter bebender Betonplatte ei- 
ner bundesdeutschen Autobahn 
weit eher angestanden hätte, 
Aachener Weiher: Wo heute die 
Leute in der Sonne sitzen, kommt 
eine Autobahn- Auffahrt hin.
	        
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