ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 26
wohnern — also fast ein Sechstel — Ausländer. Allein
zwischen dem 31.12.70 und dem 30.6.74 stieg ihre An-
zahl um 19 739. Fast 60% von ihnen wurden in den 5
inneren Stadtbezirken (vgl. Abbildung 1) untergebracht,
der Rest vor allem in den Industrievororten 17). Vor
allem wurden sie in den Gebieten mit dem modernisie-
rungsbedürftigsten Wohnungsbestand konzentriert:
In einigen der vom Stadtplanungsamt Stuttgart —
nach Maßgabe der Modernisierungsrichtlinien — vorge-
schlagenen 23 Modernisierungszonen (vgl. Abbildung 1) 18)
stieg der Ausländeranteil zwischen dem 1.1.72 und dem
30.6.74 um etwa 100%. In einigen dieser Zonen betrug er
am 30.6.74 bereits nahezu 30% 19). Diese Konzentration
von Ausländern mit der Tendenz zur Ghettobildung, die
Herausbildung einer räumlich isolierten und sozial deklas-
sierten Schicht, stellt die öffentlichen Hände vor neue
„ordnungspolitische” Probleme 20), Sie müssen diese
Ghettobildung steuern und ihr teilweise entgegenwirken.
Modernisierung der mangelhaft ausgestatteten oder
vom Verfall bedrohten Wohnungen ist dafür ein mögliches
Instrument. Die teureren, modernisierten Wohnungen
bleiben in der Regel der einheimischen Bevölkerung vor-
behalten und es kann u.U. vermieden werden, daß zusam-
menhängende Gebiete mit mangelhaften Altbau- bzw.
Einfachstwohnungen ausschließlich mit Ausländern be-
legt werden.
1.2.2 Innerstädtische und regionale Wanderungen ent-
leeren bestehende Wohngebiete
Von Mai 1970 bis Oktober 1974 verließen 26 000 Einwoh-
ner die 5 inneren Stadtbezirke (vgl. Abbildung 1) der Stadt
Stuttgart, entweder weil sie durch Umnutzung bzw. Zweck-
entfremdung oder Zerstörung von Wohnungen verdrängt
wurden oder weil sich die Wohlverhältnisse dort so kata-
strophal entwickelten, daß sie abwanderten. 14 000 von
ihnen fanden eine neue Wohnung in den äußeren Stadtbe-
zirken. 21)
Das bedeutet, daß ein großer Teil der öffentlichen und
privaten Investitionen in den neuen Wohngebieten am Stutt
garter Stadtrand lediglich Ersatz schufen für den verloren-
gegangenen innerstädtischen Wohnraum und auch für die
teilweise überflüssig gewordene innerstädtische Wohn-
folgeeinrichtungen. Die bis zu Beginn der 70er Jahre
ständig steigende Zahl von Baufertigstellungen im Woh-
nungsbau und die Konzentration von kommunalen Sozial-
investitionen gerade auf die Randbezirke der Stadt 22)
dienten im wesentlichen nur der Erhaltung des Status quo
hinsichtlich des Wohnungsbestandes und seiner Versorgung
mit Wohnfolgeeinrichtungen. Angesichts der angespannten
Finanzlage der Gemeinden ist ein solcher Raubbbau hin-
sichtlich der ökonomischen Ressourcen in Zukunft nicht
mehr möglich.
In fast allen Stadtregionen werden die sozialen und
ökonomischen Wirkungen der innerstädtischen Wanderun-
gen noch weit übertroffen von den regionalen Wanderun-
gen. Das Bevölkerungswachstum hat sich von den Kerstäd-
ten der Stadtregionen hin zu den Außenzonen verlagert.
Wichtigster Wachstumsfaktor für die Außenzonen ist die
Abwanderung aus den Kernstädten, weniger die weitere
Entleerung der ländlichen Siedlungsgebiete.
Im Zeitraum von 1962 bis 1972 verlor die Stadt Stutt-
gart 86 000 deutsche Einwohner, davon über 73 000 allein
an die 5 Nachbarkreise Esslingen, Böblingen, Leon-
berg, Ludwigsburg und Waiblingen (vor der Gemeinde-
reform). Dieser Verlust von deutschen Einwohnern
wurde zu zwei Dritteln durch die Zuwanderung von
Ausländern (vgl. Abbildung 2) und obendrein durch
den Geburtenüberschuß ausgeglichen, so daß Stuttgart
von 1962 bis 1972 per Saldo nur etwa 11.000 Einwoh-
ner verlor 23).
Abbildung _2
Entwicklung der Wohnbevölkerung in Stuttgart
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Quelle: Stadt Stuttgart: Statistischer Jahresrückblick 1973
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Derzeit steigt der Einwohnerverlust rapide an: „Allein
in den ersten Monaten des Jahres 1974 ging die Wohn-
bevölkerung um 6 210 Personen zurück, weil — wie in
den vorangegangenen Jahren — der starke Rückgang der
Deutschen von der Zunahme der Ausländer verdeckt
wurde” 24) und weil es keinen Geburtenüberschuß mehr
bei der deutschen Einwohnerschaft gab.
Wie stark das Wachstum der Außenzonen auf Abwan-
derung aus der Kernstadt zurückgeführt werden kann,
wird aus folgender Zahl deutlich: Von je 20 Personen,
um die zwischen 1966 und 1972 die deutsche Bevölkerung
in den neun Landkreisen des Mittleren Neckarraumes
durch Zuwanderung zunahm, stammen 15 aus Stuttgart. 25)
Stellt man eine pessimistische Modellrechnung auf,
bei der davon ausgegangen wird, daß die bisherigen Wan-
derungsverluste und Sterbeüberschüsse anhalten, so ver-
ringert sich die Einwohnerzahl Stuttgarts bis zum Jahr
2020 auf 450 000. (30.6.74: 618 244) 26) Eine solche
Entwicklung ist für jede Stadt mindestens finanziell rui-
nös, vor allem wenn gleichzeitig auch die Zahl der Ar-
beitsplätze — wie in Stuttgart — eine Tendenz zur Ab-
nahme zeigt. Doch selbst dann, wenn der Verringerung
der Stuttgarter Wohnbevölkerung eine Vermehrung der
Stuttgarter Arbeitsplätze gegenüberstünde, hätte dies
finanzielle Einbußen für den städtischen Haushalt zur
Folge 27).