ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 26
Wenn das wirtschaftliche Wachstum — wie in den
Jahren vor 1966/67 — jeweils nur kurzfristig gebremst
wird, so sind die Auswirkungen auf Umfang und Ge-
schwindigkeit der Umstrukturierung von Innenstadt
und innenstadtnahen (Wohn-) Gebieten nur unbedeutend
und die allgemeine Entwicklungstendenz wird nicht
verändert. Der Nachfragedruck nach innerstädtischen
Laden- und Büroflächen wird nicht nachhaltig verringert,
sondern bleibt die prägende Bewegung der (Innen-)
Stadtentwicklung.
Zwar reagieren die vorwiegend mittelständischen Un-
ternehmen des Baugewerbes, die vorwiegend auf jeweils
umfangreiche und teilweise langfristig gebundene Kapi-
talinvestitionen der Baunachfrager angewiesen sind, am
empfindlichsten auf Konjunkturschwankungen 78), aber
der im Boom aufgestaute Nachfrageüberhang führt dazu,
daß diese — insbesondere bei den langen Planungs- und
Herstellungszeiten der handwerklichen Bauproduktion
— kaum als Schwankungen der (inner-) städtischen Um-
strukturierung in Erscheinung treten.
Welche Konsequenzen für die Stadtentwicklung im
allgemeinen und für die Umstrukturierung der City-
Randgebiete im besonderen sind jedoch zu erwarten,
wenn wirtschaftliche Krisen nicht nur kurze Gewitter
bei anhaltend freundlicher Großwetterlage sind, sondern
das gesamtwirtschaftliche Klima entscheidend prägen?
Verringerung der Profite, Verschlechterung zahlreicher
sonstiger Bedingungen der Kapitalverwertung bewirken
Stagnation oder gar Einschränkungen der kapitalistischen
Produktion. Die Folgen:
— Es werden Arbeitskräfte entlassen. Zuerst wird der
Bestand ausländischer Arbeiter „abgebaut ” (dies gilt
nicht notwendigerweise auf der Ebene der Einzelbe-
triebe), weil das politisch am leichtesten (und unauf-
fälligsten 79)) durchsetzbar ist.
Durch Lohn- und Gehaltssenkungen und Verringerung
der Zahl der Lohn- und Gehaltsempfänger sinkt die
Massenkaufkraft 80) und damit die Nachfrage nach
Konsumgütern und persönlichen Dienstleistungen.
Die entsprechenden Unternehmen können nicht
mehr expandieren, ein Teil geht in Konkurs.
Der schleppende Wirtschaftsgang läßt alle Unternehmen,
vor allem die kleinen und mittleren, die naturgemäß
von einer Krise am stärksten betroffen werden, vorsich-
tiger disponieren. Sie müssen Kosten sparen, ihre
Nachfrage nach Investitionsgütern (beispielsweise nach
neuen Maschinen) und Zirkulationsdienstleistungen
sinkt. Entsprechend nimmt der Flächenbedarf solcher
Unternehmen ab. Ähnliches gilt für die staatlichen Ver-
waltungen.
Eine Reihe von Ereignissen und statistischen Daten un-
termauern dies:
— Die Verringerung des Bedarfs an Laden- und Büro-
flächen wirkt sich beispielsweise in Stuttgart schon
recht deutlich aus. Eine ganze Reihe geplanter Ge-
schäfts- und Verwaltungsbauten werden nicht realisiert
oder die Planung zieht sich in die Länge. Dies trifft
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vor allem für innenstädtische „Flächensanierungen”
zu: z.B. für die Bebauung des Wulle Geländes, die Er-
stellung des Technischen Rathauses und für die Er-
stellung des „Schwabenzentrums” in Stuttgart-Mitte
und für die Bebauung an der Ecke Schwab-/Rotebühl-
straße in Stuttgart-West (vgl. Abbildung 1) 81).
Die Summe des Angebots an Laden- und Büroflächen
aus diesen Bauvorhaben übertraf allerdings auch schon
in wirtschaftlich weniger krisenhaften Zeiten den Be-
darf.
Die Stagnation bzw. Verringerung der Zuwanderung
von Ausländern wird beispielsweise in Stuttgart schon
recht deutlich erkennbar. Vor allem wirkt sich der
im Oktober 1973 erlassene Anwerbestopp für Auslän-
der aus 82) und seit neuestem auch die im April 1975
für Ballungsgebiete eingeführte Zuzugsbeschränkung
für Ausländer. Die geringe Zunahme der ausländischen
Bevölkerung erfolgte in Stuttgart schon 1974 nur
noch infolge des Geburtenüberschusses 83).
Wir können somit festhalten, daß einerseits die Nachfrage
nach innerstädtischen Laden- und Büroflächen nachläßt,
andererseits aber auch Möglichkeiten zur Vermietung
schlecht ausgestatteter Wohnungen geringer werden, vor
allem infolge geringerer Nachfrage von seiten der Aus-
länder.
Die Umnutzung innenstadtnaher Wohngebiete, die
durch das Ineinandergreifen beider Nachfragearten auf-
rechterhalten wurde, kommt ins Stocken.
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5.4 Auswirkungen der wirtschaftlichen Tendenz-
wende auf die Modernisierung innenstadtnaher
Wohngebiete
Wenn es sich bei der aktuellen wirtschaftlichen Situa-
tion nur um eine kurze Unterbrechung der Hochkon-
junktur handeln würde, so wäre keine qualitative Ände-
rung im Verhalten der Haus- und Grundeigentümer zu
erwarten. Ein als sicher angenommener zukünftiger
Boom würde die bisherige, langfristige Tendenz der Um-
strukturierung innenstadtnaher Wohngebiete aufrecht-
erhalten: Nach wie vor würde eine Vielzahl von Eigen-
tümern mittel- bis langfristig auf eine höhere Grundrente
aus der späteren Umnutzung ihrer Wohngebäude bzw.
-grundstücke spekulieren.
Handelt es sich aber um mehr als nur eine kurze
Konjunkturschwankung, erscheint der nächste Boom
nicht mehr so sicher, so heißt dies für eine Vielzahl von
Haus- und Grundeigentümern:
— Mangels Nachfrage nach Laden- und Büroflächen von
seiten der Handels- und Dienstleistungsunternehmen
sowie der Industrie- und Staatverwaltungen bleibt
ihnen nichts anderes übrig, als ihre Grundrente auch
weiterhin und auf unabsehbare Zeit durch die Ver-
mietung von Wohnraum zu erwirtschaften.
Infolge verringerter Nachfrage nach Wohnraum vor
allem seitens der Ausländer können sie schlecht aus-
gestattete Wohnungen in unwirtlichen und schlecht
versorgten Wohngebieten vorerst nicht mehr oder
nur schwer vermieten.