| Focus: Standpunkte zur Umweltfrage
Peter Willers
Zur Position der BBU in der Energie-
und Umweltschutzpolitik
Vortrag im difu-Seminar „Umweltschutz und Öffentlichkeit im Rahmen der Energiepolitik”, Berlin am 29. Mai 1978
Vorbemerkung
Die Bewegung der Bürgerinitiativen ist in
der letzten Zeit oft analysiert worden.
Kaum eine Analyse aber ist dem Phäno-
men gerecht geworden. Das ist auch gut
so, denn es hat eine Befriedung und Ver-
einnahmung durch das System erschwert.
Auch dieser Beitrag soll keine Hinweise
zur politischen Operationalisierung der
Bürgerinitiativen geben. Ich möchte mit
ihm Verständnis für uns und unsere An-
liegen wecken und an Sie appellieren, die
von uns angesprochenen Probleme ernst
zu nehmen.
... und eine Begriffsbestimmung
„Umwelt”, dieser vielstrapazierte Begriff,
wird je nach Interessens- oder Bewußt-
seinslage für die verschiedensten Bereiche
verwandt. Den Bürgerinitiativen wird oft
vorgeworfen, ihn zu eng zu fassen, mit
ihm gewissermaßen nur ihre. eigenen par-
tikularen Interessen zu umschreiben. Die-
ser Vorwurf trifft heute nicht mehr zu.
Es ist zwar immer noch richtig, daß sich
Menschen aus dem Gefühl der Betroffen-
heit über bestimmte Fehlentwicklungen
in unserer Gesellschaft in Bürgerinitiativen
engagieren, aber die Einzelprobleme wer-
den heute schneller als noch vor einigen
Jahren als Teil einer wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Gesamtsituation be-
griffen.
Mit anderen Worten: die Bürgerinitiativ-
bewegung ist politischer geworden.
Der Ökologiebegriff, über den ich rede,
ist also umfassend. Er bezieht die Arbeits-
welt ebenso ein, wie unser gesamtes sozia-
/es Gefüge.
Über den Zustand unserer Umwelt wird
viel debattiert. Es gibt inzwischen Bücher-
schränke voller Literatur zum Thema. Dort
aber, wo aus den mittlerweile auf der Hand
liegenden Erkenntnissen praktische Folge-
rungen zur Veränderung von Politiken ge-
zogen werden müßten, findet nicht mehr
als verbale Kraftmeierei statt. Dort scheint
es nur nach dem Motto „‚immer davon re-
den, nie daran denken” zu gehen. Es er-
übrigt sich eigentlich, angesichts der lau-
fenden Debatte und der Legion von Ana-
Iysen hier eine weitere zu geben. Ich will
es trotzdem kurz und in Stichworten tun,
um eine Grundlage für die folgende Dis-
kussion zu geben.
Ökologische Verelendung
Die Vermarktung der menschlichen
Beziehungen und Bedürfnisse ist nahezu
total-.geworden. Die Wünsche der Men-
schen werden durch den Markt und nicht
durch selbständige Tätigkeiten einzelner
oder von Gruppen definiert und befrie-
digt. Die Möglichkeiten zur Entfaltung
der Persönlichkeit werden immer weiter-
gehend eingeschränkt. Individualismus ist
nicht kalkulierbar und daher nicht er-
wünscht.
Die anfangs positiven Effekte unserer
technischen und ökonomischen Entwick-
lung, die Erleichterung der körperlichen
Arbeit, die ausreichende Versorgung mit
materiellen Gütern, zeitigen bei ihrer wei-
teren Entwicklung immer mehr negative
Auswirkungen.
Der Verbrauch allgemeiner Güter wie
Luft, Wasser und Boden nimmt rapide
zu, ebenso der Gesundheitsverschleiß. Die
Lebenserwartung geht zurück. Zivilisa-
tionskrankheiten und psychische Erkran-
kungen nehmen zu.
Zentralisation und steigende Komplexi-
tät von Organisation, Kapital und Macht,
die fortschreitende Arbeits- und Funktio-
nenteilung in unserer Gesellschaft verrin-
gern die Anpassungsfähigkeit der sozialen
Systeme.
Die technologischen Entwicklungen
lassen die Zeitspanne zwischen dem Ver-
ursachen und Erkennen von Schadens-
auswirkungen anwachsen.
Der Mensch verliert Einsichts- und
Einflußmöglichkeiten. Apathie, Anpas-
sung und Selbstentfremdung sind die Fol-
gen.
Diese hier nur kurz angedeutete Situa-
tion ist vielen Menschen am Problem der
Energiepolitik deutlich geworden. Betrof-
fen von direkt erfahrenen Entwicklungen
haben viele erkannt, daß die Energie als
zentraler Wirtschaftsfaktor die Spitze des
Eisbergs einer wirtschaftlichen und gesell-
schaftlichen Fehlentwicklung ist, gegen
die der Kampf aufaenommen werden muß.
Energiepolitik
Ernstzunehmende Wirtschaftswissen-
schaftler geben heute zu, vor einem
Trümmerhaufen ökonomischer Theorien
zu stehen. Keine der traditionellen Theo
rien ist heute in der Lage, Hilfestellung
bei der po/itischen Bewältigung der Zu-
kunftsprobleme zu geben. Neue, alterna-
tive Theorien sind nicht in Sicht.
Unsere Wirtschaftspolitik entwickelt
sich so ohne längerfristige Anhaltspunk-
te, ohne Möglichkeit politischer Einfluß-
nahme, einzig von fragwürdigen Eigen-
gesetzlichkeiten des Marktes getrieben.
Wie fragwürdig diese Marktmecha-
nismen sind, läßt sich an der Entwick-
lung der Energiepolitik der letzten Jahre
leicht ablesen. Noch vor drei Jahren ver-
suchte man uns von dem allseits bedauer-
ten, aber angeblich unausweichlichen
Sachzwang zu überzeugen, daß sich der
Strombedarf jährlich um etwa 7% stei-
gere, also in 10 Jahren verdoppele. Mit
diesem Argument wurde alles gerecht-
fertigt; auch die geplanten Ausbauraten
des Atomprogramms.
Inzwischen sind wir klüger. [ach
vorübergehendem Nullwachstum schei-
nen sich die Energiewachstumsraten
für die nächsten Jahre bei weniger als
der Hälfte der prognostizierten 7% ein-
zupendeln. Das Energieprogramm der
BRD wurde in kürzester Zeit mehrfach
nach unten berichtigt. Die Trendrech-
nungen stellten sich als das heraus, was
sie waren: Unseriöse Wunschvorstellun-
gen der Industrie.
Die Aufnahmefähigkeit des Marktes
wurde überschätzt. Das Prinzip: Wenn
kein Bedarf da ist, muß er eben geschaf-
fen werden, scheint an Grenzen zu Sto-
ßen. Der Vorgang machte die ganze
Abhängigkeit der Politik von der Wirt-
schaft überdeutlich.
Die Atomenergie
Zentraler Punkt der Auseinanderset-
zung ist die Atomenergie. An ihr ent-
zündete sich weit mehr als ein Streit um
die Frage, welche Schadstoffabgaben zU
welchen Wirkungen führen. Diese Aus-
einandersetzung war die Initialzündung
für eine Bürgerbewegung, die heute Fra
gen stellt, die über das eigentliche The-
ma hinausgehen. Das ist kein Zufall.
Der Entscheid zur sogenannten ‘fried-
lichen Nutzung der Kernenergie’ wurde
geboren aus einer unkritischen Wissen-
schaftseuphorie und den Gewinnerwar-
tungen der Industrie, die sich mit dieser
neuen Technologie verbanden.
Nirgends auf der Welt, auch nicht bel
uns, lag dem Entscheid eine demokra-
tisch legitimierte, politische Willensbil-
dung zugrunde. Niemand war in den ent-
scheidenden 50er Jahren — als die Wel-
chen gestellt wurden — in der Lage, die
Folgen abzusehen.
UV