Uli Hellweg
Stadtentwicklung in der Krise
- das Beispiel des Ruhrgebietes
Teil Il: Das Dilemma der Praxis
Teil III (Schluß): Denkansätze für eine Neuorientierung
Im ersten Teil dieses Artikels (ARCH* 38)
wurde die These aufgestellt, daß die domi-
nierenden ökonomischen und politischen
— vor allem bundes- und landespolitischen —
Kräfte der Agglomerationsentwicklung auf
eine Verschärfung räumlich-sozialer und
räumlich-wirtschaftlicher Disparitäten
hinauslaufen. Der besondere Charakter die-
ser Verschärfung liegt darin, daß sie sich
nicht mehr nur zwischen ‚„‚Entwicklungs-””
und „Unterentwicklungs-”, „Aktiv-”” und
„‚Passiv-/’Räumen vollzieht — als solche ist
die Polarisation ebenso bekanntes wie un-
gelöstes Problem traditioneller Strukturpo-
litik —, sondern zunehmend die Teilräume
der Ballungsgebiete wirtschaftlich und so-
zial differenziert.
Am Beispiel des Ruhrgebietes wurde
aufgezeigt, wie sich ein vorhandenes räum-
lich-soziales und räumlich-wirtschaftliches
Gefälle zwischen dem nördlichen Teil-
raum („„Emscherzone”‘”) und dem südlichen
(„Hellwegzone”’) unter den Bedingungen
ökonomischer Krise irreversibel verschärft.
Trotz scheinbar grundsätzlich gleicher
Krisenerscheinungen im gesamten Ruhrge-
biet (Bevölkerungsverluste, Arbeitslosig-
keit, Haushaltsprobleme — um nur die
wichtigsten Krisenaspekte zu nennen)
durchlaufen die Teilräume doch eine un-
terschiedliche Entwicklung mit jeweils
unterschiedlichen wirtschaftlichen und
sozialen Perspektiven.
Diese These wird mit der unterschied-
lichen Entwicklung der ökonomischen Ba-
sis, dem industriellen und tertiären Sektor,
in der Emscher- bzw. Hellweg-Zone be-
gründet. Die Analyse des tert/ären Sektors
im Ruhrgebiet hat gezeigt, daß die Zahl
der Beschäftigten im gesamten nördlichen
Teilraum zurückgeht, während sie in den
Oberzentren der Hellwegzone noch ex-
pandiert. Die unterschiedliche Entwick-
lung erklärt sich nicht aus der allgemein
seit ca. 1973/74 rückläufigen Beschäfti-
gungsentwicklung im Tertiären Sektor,
sondern aus den unterschiedlichen inner-
regionalen Standort- bzw. Verwertungsbe-
dingungen der Tertiär-Kapitale. Auf der
Ebene der Stadtentwicklung spiegelt sich
die Verschlechterung der Verwertungsbe-”
dingungen im nördlichen Teilraum der
Region in sinkenden Bodenpreisen in in-
nerstädtischen Lagen, in nachlassendem
Spekulations- und Verdrängungsdruck,
aber auch in der Schließung von Filialen
großer Warenhäuser, fehlendem Ansied-
lungsinteresse usw.
Unterstützt von einer entsprechend ein-
seitigen Struktur- und Regionalpolitik des
Landes konzentrieren sich die Tertiärkapi-
tale sowie die wichtigen öffentlichen In-
frastruktureinrichtungen (z.B. Hochschu-
len) zunehmend in den Großstädten des
Südens. Ansätze einer die räumlichen Dis-
paritäten korrigierenden Landesplanung
bzw. Investitionspolitik des Landes sind
nicht erkennbar. Die einschlägigen Förde-
rungsprogramme (‚‚Gemeinschaftsaufgabe
Regionale Wirtschaftsförderung’’, Landes-
förderungsprogramme) haben keine raum-
wirksame arbeitnehmer-, sozial- oder öko-
logisch orientierte Bedeutung; sie finden
bei der einzelunternehmerischen Ent-
scheidung über Ansiedlung oder Verlage-
rung „nur am Rande Beachtung”! .
Dies gilt ebenso für die Kapitale des
2. Sektors, von denen sich besonders
die Stagnationsindustrien oder die mit
extrem hohen Emissionen verbundenen
{Energie- und Chemie-)Branchen in der
Emscherzone konzentrieren. Freilich
geht die Anpassung der Landesplanu ng
an die Standortansprüche der monopo-
listischen Industrien so weit, daß — wie
das Beispiel des LEP VI zeigt — selbst
die bereits benachteiligte Position des
nördlichen Teilraumes von weiteren Ar-
beitsplatzverlusten bedroht ist, wenn die
Flächenintensiven und emissionsreichen
Großanlagen der Chemie- und Energie-
wirtschaft in die weniger belastete — und
als Naherholungsgebiet dienende — Bal-
lungsrandzone bzw. in die ländlichen
Gebiete verlagern wollen.
Unter diesen — Bedingungen scheint
eine arbeitnehmer- und sozialorientierte
Stadtentwicklungsplanung mehr denn je
als illusorisch. Ohnmächtig gegenüber ein-
zelunternehmerischen Standortentschei-
dungen, geknebelt durch einen bis an die
Grenze ausgeschöpften fiskalischen Spiel-
raum und politisch wie finanziell abhän-
gig von bundes- und landespolitischen
Vorgaben lassen sich auf der kommuna-
len Ebene weniger als auf jeder anderen
staatlichen Ebene noch Hoffnu ngen und
Illusionen einer sozialstaatsgerechten Ent-
wicklungspolitik und -planung aufrecht er-
halten.
Wenn in diesem Artikel dennoch mehr
geleistet werden soll, als das Dilemma kom-
munaler Entwicklungsplanung zu beschrei-
ben, sondern nach Ansätzen einer Neu-
orientierung gefragt werden soll, dann aus
folgenden Gründen:
— wenn die Kommune auch nicht qua In-
stitution das Subjekt einer Neuorientie-
rung städtischer Entwicklung sein kann,
so ist sie räumlich doch der Ort, wo die
Konflikte um Arbeitsplätze und Lebensqua-
lität auftreten und wo in der Bundesrepu-
blik aktuell die entwickeltsten Ansätze
einer politisch-sozialen Bewegung für eine
sozial-, ökologisch- und arbeitnehmerorien:
tierte räumliche Entwicklung existieren;
— ausgehend von politischen Initiativen
für eine alternative kommunale Politik,
z.B. in bezug auf Jugendarbeitslosigkeit,
Umweltschutz, Wohnungspolitik, Stadt-
sanierung u.a. kann untersucht werden,
welche instrumentellen (finanziellen und
rechtlichen) Möglichkeiten der Kommune
zur Unterstützung solcher Ansätze noch
zur Verfügung stehen;
— trotz der Skylla-Charybdis-Lage der
Kommunen zwischen*Staat und Einzelka-
pitalen ist Kommunalpolitik immer auch
noch Politik divergierender politischer, so-
zialer und ökonomischer Interessen mit
jeweils unterschiedlichen institutionellen,
personellen und informellen Durchsetzungs:
möglichkeiten; die Erfolge der Bürgerinitia-
tiven der letzten Jahre haben gezeigt, daß
keineswegs jede Verschlechterung der Le-
bens- und Arbeitssituation mit außerhalb
der kommunalen Einflußsphäre liegenden
politischen oder ökonomischen Sach-
zwängen erklärt bzw. legitimiert werden
kann. Die Frage nach den Ansätzen und
Möglichkeiten einer Neuorientierung kom-
munaler Entwicklungspolitik ist also gleich-
zeitig die Frage nach den kommunalpoliti-
schen Machtverhältnissen, nach den Trä-
gern und Allianzen für eine solche alterna-
tive Politik. Solange und je mehr diese
Träger als politisch-soziale Bewegung
existieren, solange ist die Frage nach einer
Neuorientierung kommunaler Politik auf
soziale, ökologische und arbeitsplatzpoli-
tische Interessen hin realistisch und sinn-
voll.
Aufgabe dieses Artikels ist es also: er-
stens die materiellen und politischen Ent-
wicklungstendenzen der Teilregionen im
Ruhrgebiet aufzuzeigen (Teil | in ARCH*
38), zweitens die sich auf die Krise bezie-
hende kommunale Politik und Planung zu
skizzieren und drittens die Diskussion einer
arbeitnehmer-, sozial- und ökologisch orien-
tierten Stadtentwicklung anzuregen.
STADTENTWICKLUNGSPLANUNG IN
DER KRISE ALS KRISE DER STADT-
ENTWICKLUNGSPLANUNG
Die Stadtentwicklungsplanung ist auf den
Hund gekommen. Ohne in eine idealisie-
rende Nostalgie hinsichtlich der Leistun-
gen der STEP in der „‚Reformphase” der
frühen siebziger Jahre verfallen zu wollen
— STEP war bis auf wenige Ausnahmen
(vielleicht Wiesbaden und teilweise Mün-
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