Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

Uli Hellweg 
Stadtentwicklung in der Krise 
- das Beispiel des Ruhrgebietes 
Teil Il: Das Dilemma der Praxis 
Teil III (Schluß): Denkansätze für eine Neuorientierung 
Im ersten Teil dieses Artikels (ARCH* 38) 
wurde die These aufgestellt, daß die domi- 
nierenden ökonomischen und politischen 
— vor allem bundes- und landespolitischen — 
Kräfte der Agglomerationsentwicklung auf 
eine Verschärfung räumlich-sozialer und 
räumlich-wirtschaftlicher Disparitäten 
hinauslaufen. Der besondere Charakter die- 
ser Verschärfung liegt darin, daß sie sich 
nicht mehr nur zwischen ‚„‚Entwicklungs-”” 
und „Unterentwicklungs-”, „Aktiv-”” und 
„‚Passiv-/’Räumen vollzieht — als solche ist 
die Polarisation ebenso bekanntes wie un- 
gelöstes Problem traditioneller Strukturpo- 
litik —, sondern zunehmend die Teilräume 
der Ballungsgebiete wirtschaftlich und so- 
zial differenziert. 
Am Beispiel des Ruhrgebietes wurde 
aufgezeigt, wie sich ein vorhandenes räum- 
lich-soziales und räumlich-wirtschaftliches 
Gefälle zwischen dem nördlichen Teil- 
raum („„Emscherzone”‘”) und dem südlichen 
(„Hellwegzone”’) unter den Bedingungen 
ökonomischer Krise irreversibel verschärft. 
Trotz scheinbar grundsätzlich gleicher 
Krisenerscheinungen im gesamten Ruhrge- 
biet (Bevölkerungsverluste, Arbeitslosig- 
keit, Haushaltsprobleme — um nur die 
wichtigsten Krisenaspekte zu nennen) 
durchlaufen die Teilräume doch eine un- 
terschiedliche Entwicklung mit jeweils 
unterschiedlichen wirtschaftlichen und 
sozialen Perspektiven. 
Diese These wird mit der unterschied- 
lichen Entwicklung der ökonomischen Ba- 
sis, dem industriellen und tertiären Sektor, 
in der Emscher- bzw. Hellweg-Zone be- 
gründet. Die Analyse des tert/ären Sektors 
im Ruhrgebiet hat gezeigt, daß die Zahl 
der Beschäftigten im gesamten nördlichen 
Teilraum zurückgeht, während sie in den 
Oberzentren der Hellwegzone noch ex- 
pandiert. Die unterschiedliche Entwick- 
lung erklärt sich nicht aus der allgemein 
seit ca. 1973/74 rückläufigen Beschäfti- 
gungsentwicklung im Tertiären Sektor, 
sondern aus den unterschiedlichen inner- 
regionalen Standort- bzw. Verwertungsbe- 
dingungen der Tertiär-Kapitale. Auf der 
Ebene der Stadtentwicklung spiegelt sich 
die Verschlechterung der Verwertungsbe-” 
dingungen im nördlichen Teilraum der 
Region in sinkenden Bodenpreisen in in- 
nerstädtischen Lagen, in nachlassendem 
Spekulations- und Verdrängungsdruck, 
aber auch in der Schließung von Filialen 
großer Warenhäuser, fehlendem Ansied- 
lungsinteresse usw. 
Unterstützt von einer entsprechend ein- 
seitigen Struktur- und Regionalpolitik des 
Landes konzentrieren sich die Tertiärkapi- 
tale sowie die wichtigen öffentlichen In- 
frastruktureinrichtungen (z.B. Hochschu- 
len) zunehmend in den Großstädten des 
Südens. Ansätze einer die räumlichen Dis- 
paritäten korrigierenden Landesplanung 
bzw. Investitionspolitik des Landes sind 
nicht erkennbar. Die einschlägigen Förde- 
rungsprogramme (‚‚Gemeinschaftsaufgabe 
Regionale Wirtschaftsförderung’’, Landes- 
förderungsprogramme) haben keine raum- 
wirksame arbeitnehmer-, sozial- oder öko- 
logisch orientierte Bedeutung; sie finden 
bei der einzelunternehmerischen Ent- 
scheidung über Ansiedlung oder Verlage- 
rung „nur am Rande Beachtung”! . 
Dies gilt ebenso für die Kapitale des 
2. Sektors, von denen sich besonders 
die Stagnationsindustrien oder die mit 
extrem hohen Emissionen verbundenen 
{Energie- und Chemie-)Branchen in der 
Emscherzone konzentrieren. Freilich 
geht die Anpassung der Landesplanu ng 
an die Standortansprüche der monopo- 
listischen Industrien so weit, daß — wie 
das Beispiel des LEP VI zeigt — selbst 
die bereits benachteiligte Position des 
nördlichen Teilraumes von weiteren Ar- 
beitsplatzverlusten bedroht ist, wenn die 
Flächenintensiven und emissionsreichen 
Großanlagen der Chemie- und Energie- 
wirtschaft in die weniger belastete — und 
als Naherholungsgebiet dienende — Bal- 
lungsrandzone bzw. in die ländlichen 
Gebiete verlagern wollen. 
Unter diesen — Bedingungen scheint 
eine arbeitnehmer- und sozialorientierte 
Stadtentwicklungsplanung mehr denn je 
als illusorisch. Ohnmächtig gegenüber ein- 
zelunternehmerischen Standortentschei- 
dungen, geknebelt durch einen bis an die 
Grenze ausgeschöpften fiskalischen Spiel- 
raum und politisch wie finanziell abhän- 
gig von bundes- und landespolitischen 
Vorgaben lassen sich auf der kommuna- 
len Ebene weniger als auf jeder anderen 
staatlichen Ebene noch Hoffnu ngen und 
Illusionen einer sozialstaatsgerechten Ent- 
wicklungspolitik und -planung aufrecht er- 
halten. 
Wenn in diesem Artikel dennoch mehr 
geleistet werden soll, als das Dilemma kom- 
munaler Entwicklungsplanung zu beschrei- 
ben, sondern nach Ansätzen einer Neu- 
orientierung gefragt werden soll, dann aus 
folgenden Gründen: 
— wenn die Kommune auch nicht qua In- 
stitution das Subjekt einer Neuorientie- 
rung städtischer Entwicklung sein kann, 
so ist sie räumlich doch der Ort, wo die 
Konflikte um Arbeitsplätze und Lebensqua- 
lität auftreten und wo in der Bundesrepu- 
blik aktuell die entwickeltsten Ansätze 
einer politisch-sozialen Bewegung für eine 
sozial-, ökologisch- und arbeitnehmerorien: 
tierte räumliche Entwicklung existieren; 
— ausgehend von politischen Initiativen 
für eine alternative kommunale Politik, 
z.B. in bezug auf Jugendarbeitslosigkeit, 
Umweltschutz, Wohnungspolitik, Stadt- 
sanierung u.a. kann untersucht werden, 
welche instrumentellen (finanziellen und 
rechtlichen) Möglichkeiten der Kommune 
zur Unterstützung solcher Ansätze noch 
zur Verfügung stehen; 
— trotz der Skylla-Charybdis-Lage der 
Kommunen zwischen*Staat und Einzelka- 
pitalen ist Kommunalpolitik immer auch 
noch Politik divergierender politischer, so- 
zialer und ökonomischer Interessen mit 
jeweils unterschiedlichen institutionellen, 
personellen und informellen Durchsetzungs: 
möglichkeiten; die Erfolge der Bürgerinitia- 
tiven der letzten Jahre haben gezeigt, daß 
keineswegs jede Verschlechterung der Le- 
bens- und Arbeitssituation mit außerhalb 
der kommunalen Einflußsphäre liegenden 
politischen oder ökonomischen Sach- 
zwängen erklärt bzw. legitimiert werden 
kann. Die Frage nach den Ansätzen und 
Möglichkeiten einer Neuorientierung kom- 
munaler Entwicklungspolitik ist also gleich- 
zeitig die Frage nach den kommunalpoliti- 
schen Machtverhältnissen, nach den Trä- 
gern und Allianzen für eine solche alterna- 
tive Politik. Solange und je mehr diese 
Träger als politisch-soziale Bewegung 
existieren, solange ist die Frage nach einer 
Neuorientierung kommunaler Politik auf 
soziale, ökologische und arbeitsplatzpoli- 
tische Interessen hin realistisch und sinn- 
voll. 
Aufgabe dieses Artikels ist es also: er- 
stens die materiellen und politischen Ent- 
wicklungstendenzen der Teilregionen im 
Ruhrgebiet aufzuzeigen (Teil | in ARCH* 
38), zweitens die sich auf die Krise bezie- 
hende kommunale Politik und Planung zu 
skizzieren und drittens die Diskussion einer 
arbeitnehmer-, sozial- und ökologisch orien- 
tierten Stadtentwicklung anzuregen. 
STADTENTWICKLUNGSPLANUNG IN 
DER KRISE ALS KRISE DER STADT- 
ENTWICKLUNGSPLANUNG 
Die Stadtentwicklungsplanung ist auf den 
Hund gekommen. Ohne in eine idealisie- 
rende Nostalgie hinsichtlich der Leistun- 
gen der STEP in der „‚Reformphase” der 
frühen siebziger Jahre verfallen zu wollen 
— STEP war bis auf wenige Ausnahmen 
(vielleicht Wiesbaden und teilweise Mün- 
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