Neue Heimatkunde (2)
Modell Deutschland
Der gute Stern über Sindelfingens Stadtsäckel: die Daimler-Benz AG. Der warme Ge-
werbesteuerregen erlaubt einen großzügigen Ausbau der sozialen Infrastruktur.
Einst war Sindelfingen ein armes Textil-
städtchen — die schwäbischen Weber hat-
ten nicht mehr zu beißen als anderswo
— heute leben die Stadtväter wie im
Duck’schen Geldspeicher. Ein Blick in die
Gemeindefinanzstatistik belegt Sindel-
fingens außerordentliche Situation:
1.650 DM Gewerbesteuer (netto, also
nach Abzug der Gewerbesteuerumlage)
wurde je Einwohner 1976 eingenommen.
Keine andere deutsche Stadt, ob groß
oder klein, kommt auch nur in die Nähe
solcher Beträge. Böblingen als Kreissitz
nebenan und auch nicht gerade arm
bringt es auf 800 DM Gewerbesteuer
pro Kopf, Stuttgart auf 640 DM, Duis-
burg dagegen nur auf 200 DM. Der
Durchschnitt aller Gemeinden mit mehr
als 20.000 Einwohnern lag 1976 bei 260
DM. Und der warme Regen dauert an:
in Sindelfingens Haushalt 1978 sind wei-
tere Steigerungen bei der Gewerbesteuer
veranschlagt.
Sindelfingens Stadtväter führen ihren
Erfolg gerne auf ihre besonders weit-
blickende Wirtschaftsförderungspolitik
in der Vergangenheit zurück.
In der Tat ist Sindelfingen Nutznießer
sowohl der „zweiten”’ als auch der „‚drit-
ten” industriellen Revolution. Gemeint
sind damit die nach Einführung des In-
dustriesystems in Wellen auftretenden Um-
wälzungen der (Produktions) Technologie,
die dem Kapital jeweils neue Akkumula-
tionsfelder erschlossen und so längere Pe-
rioden der Hochkonjunktur hervorriefen.
Der letzte Innovationsschub mit der Ein-
führung der Elektronik ließ die IBM zum
Multi aufsteigen und die IBM Deutsch-
land mit rund 1 Mrd. DM zum zweit-
größten Steuerzahler der Bundesrepublik
werden. Ein Teil davon fließt nach Sindel-
fingen, wo 4.000 Beschäftigte Computer-
Alte Goldgräberstädte zeigten ihren Reich:
tum durch den Metropolen nachempfun-
denen Opernhäuser, heute ist die
„Schwimmoper” adäquates Statussvymbol.
Gepflegtes Environment: Sindelfinger
Stadthalle mit Park.
78