originären Kern der modernen, nicht den
Wohnbau betreffenden Bautypologie spre-
chen. Dieser Prozeß der Charakterisierung
findet seine architektonischen Bezüge in
dem, was im Laufe des 18. Jh. als z/vi/e
Architektur bezeichnet worden ist. Die
Veränderungen und die neuen Aufgaben
der Architektur entwickeln sich genau
innerhalb der neuen Inhalte, die das Kon-
zept der zivilen Architektur ausdrückt.
Zu Beginn und während dieses Jahrhun-
derts ist die zivile Architektur in der Tat
einer der Teile, in die sich die architekto-
nische Aktivität unterteilt (in zivile, mili-
tärische Architektur und den Wasserbau;
Milizia fügt auch noch den Schiffsbau hin-
zu); die zivile Architektur ist vor allem
das Anwendungsfeld der fünf architekto-
nischen Ordnungen, die von den klassi-
schen Theoretikern überliefert worden
sind; somit liegt das Interesse auf jenen
allgemeinen Regeln, die für jedes zu
bauende Gebäude Gültigkeit besitzen, da
sie sich auf die Architektursprache als
solche und im besonderen auf deren Ele-
mente beziehen. Wir finden folglich Re-
geln der Symmetrie, der Proportionalität,
der Harmonie usw.
Bei Francesco Milizia findet sich eine
erste grobe Einteilung der Gebäude bezüg-
lich ihrer Nutzung, und zwar in private
und öffentliche, und eine Klassifizierung
der öffentlichen Gebäude nach ihrer Be-
stimmung. Diese werden nämlich unter-
teilt in: Gebäude Öffentlicher Sicherheit
(Kasernen, Gefängnisse, Arsenale, Häfen,
Leuchttürme usw.), Gebäude öffentlichen
Nutzens (Universitäten, Bibliotheken,
Kunstakademien, Kollege (Erziehungsan-
Stalten)), öffentliche Gebäude (Gericht,
Börse, Münzstätte), Gebäude öffentlicher
Versorgung (Plätze, Schlachthöfe, Back-
häuser), Gebäude für Gesundheit und öf-
Fentliche Bedürfnisse (Krankenhäuser, La-
Zarette, Friedhöfe, Bäder), Gebäude öf-
fentlicher Pracht (Triumpfbögen, Obeliske,
Säulen), Gebäude für Öffentliche Veranstal-
tungen (Zirkus, Theater), Gebäude größerer
Erhabenheit (d.h. Kirchen)3). Diese Be-
schreibung der verschiedenen Bedürfnisse
konkretisiert sich nicht in Prototypen, son-
dern zeigt die Möglichkeit einer Typolo-
gie an, die, indem sie in Werken realisiert
wird, dazu neigt, die wesentlichen Eigen-
schaften der Beschreibung zu wiederholen.
Nichtsdestoweniger ist es interessant zu
beobachten, daß man für den größten Teil
der aufgeführten Bauten eine im wesent-
lichen originäre Anordnung vorsieht; diese
Bauten werden in der Tat nicht nur als eine
Gelegenheit gesehen, d/e Stadt in einem ge-
nerellen Sinne zu erweitern, sondern auch
als eine Möglichkeit begriffen, neue Para-
meter in die Stadt einzuführen, die, zuein-
ander in Beziehung gesetzt, ihr eine unter-
schiedliche und vollkommen neue Form
geben. So sieht man zum Beispiel für die
öffentlichen Gebäude vor, daß sie „nicht
weit vom Zentrum der Stadt gelegen und
um einen großartigen gemeinsamen Platz
herum verteilt seien”. Eine Beziehung zu
der existierenden städtischen Struktur,
wenn auch modifiziert durch die Eingrif-
fe, die man sich vornimmt, ist auch in den
Vorschlägen der Architekten der Aufklä-
rung gegenwärtig.
Bei der Vorstellung seines Projektes
einer Börse analysiert Claude Nicolas Le-
doux das, was wir heute als „Funktionen”
bezeichnen würden, d.h. die sich im Ge-
bäude abspielenden Aktivitäten und ihre
notwendigen Beziehungen; aber er befaßt
sich auch, wenn auch nur kurz und ge-
drängt, mit dem Standort des Projekts
und seiner möglichen „Darstellung".
„Welches ist die generelle Anordnung dieses Ge-
bäudes? Das ist sie: Es ist notwendig, daß es,
von allem Überflüssigen befreit, in das Zentrum
der Stadt gestellt wird. Es sind ein großer Saal
für Versammlungen und kleinere Säle, um dort
private Interessen zu diskutieren, Entscheidun-
gen zu fassen und Sendungen lenken zu kön-
nen; man braucht überdeckte Portiken, die vor
den Launen des Wetters geschützte Diskussio-
nen. ermöglichen ... 4)
Ebenso schlägt Louis Boullee seine
Oper innerhalb der schon bestehenden
städtischen Struktur, zwischen dem Lou-
vre und den Tuillerien, als zentralen Platz
vor, um gleichzeitig die Möglichkeit zu
haben, einen repräsentativen Teil der
Stadt formal zu vollenden®), Diese Vor-
stellungen setzen sich wenig später auch
politisch durch. Denn Napoleon antwor-
tete auf den Vorschlag des ‘Conseil des
Batiments’, die neue Börse auf dem Ge-
lände des Klosters der ‘Filles de Saint-
Thomas’ zu bauen, mit der Vorstellung,
daß es seine Absicht sei, eine Börse zu
errichten, die der Bedeutung der Haupt-
stadt und der Anzahl der Geschäfte, die
eines Tages in der Börse vollzogen werden
sollten, entspreche: „Schlagt mir eine ge-
eignete Umgebung vor. Es ist notwendig,
daß sie geräumig ist, um somit Promena-
den um die Börse herum zu haben. Ich
möchte eine isolierte Anordnung.”
Der Bezug zu den Architekten der Auf-
klärung ist deshalb nicht zufällig: Sie ga-
ben zum ersten Mal Gebäuden eine konkre-
te Form, welche, ex novo erfunden und in
einer präzisen formalen Sprache entwickelt,
Aktivitäten sich entfalten ließen und stei-
gerten, die zum Teil schon in der damali-
gen Gesellschaft vorhanden waren; aber
durch diese bauliche Bestätigung wurden
sie allen bekannt (dieser Begriff in seinen
geschichtlichen Klassengrenzen verstanden);
d.h. es wurde möglich, die Präsenz und
den Gebrauch dieser Aktivitäten auf alle
Gesellschaften gleicher Art auszudehnen.
Und es handelt sich nicht nur darum, sich
repräsentative Bauten vorzustellen, sondern
es handelt sich auch darum, der ganzen
Reihe von Aktivitäten Form zu geben, die
schon vorhanden waren oder in der neuen
Gesellschaft möglich geworden sind; und
zwar, indem man diese Aktivitäten diffe-
renziert, um deren Begründung zu systema-
tisieren, und ihre neuen Inhalte bereichert,
dadurch, daß man sie genau durch die Ge-
bäude, die sie darstellen, typisch werden
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