Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

den; eben nur ‘soweit wie möglich”, 
ohne ihr “objektiviertes Ergebnis’ wieder 
umschlagen zu lassen in ein subjektivier- 
tes, auf ein konkretes Individuum bezoge- 
nes. Die versachlichte Ästhetik wird je- 
doch einbezogen in die Erfüllung der 
Zwecke, “Schönheit” hat keinen Vorrang 
mehr: “Wir sehen, wie ‘Baukunst’ allmäh- 
lich in ‘Bauen’ übergeht’” (Mondrian 
(1922) 1967, 154) stellt Mondrian fest 
und fährt fort: ‘Der gegenwärtige Archi- 
tekt lebt in der ‘Baupraxis’ — außerhalb 
der Kunst”; und ‘die Architektur als 
Formgestaltung zu sehen, ist ..... eine 
traditionelle Auffassung‘; ‘der Nutzen, 
das Ziel, kann in der Architektur die 
Schönheit abwandeln, .. . . . die Schön- 
heit kann dadurch sogar eingeschränkt 
werden.” (Mondrian (1922) 1967, 161) 
Trotz beachtlicher Ergebnisse blieb das 
“kooperativ-objektivistische Entwurfsver- 
ständnis’” ohne große Gefolgschaft; die 
“Bewegung” zerfiel in sich 9), zerbrach 
z.T. an der “nicht-kooperativen’” Grund- 
haltung ihrer Verfechter — ‘wollte doch 
jeder ein Führer des de Stijl sein” (Does- 
burg (1927) 1967, 222) — , an der unge- 
lösten Organisationsfrage und an der dog- 
matisch gehandhabten Methodik, die zur 
Formerstarrung führte. Das ‘““kooperativ- 
objektivistische Entwurfsverständnis”” 
blieb eben nur ‘“programmatischer Vor- 
griff”. 
Wesentliche Impulse gingen lediglich 
aus auf den Städtebau durch die Arbeiten 
von van Eesteren in Amsterdam 10) und 
im C/AM. Ihm lag daran, die Stadtpla- 
nung auf ihrem Entwicklungsweg aus der 
städtebaulich-baukünstlerischen Bahn zu 
lösen und die sich allenthalben anbahnen- 
de Linie einer versachlichten Stadtent- 
wicklungsplanung, den “Urbanismus 
voranzutreiben: “Es ist die Aufgabe der 
Urbanisten, die Reorganisation unserer 
Städte und eine rationelle Bestimmung, 
Einteilung und Besiedlung des Bodens zu 
studieren und vorzubereiten” (Van 
Eestern (1927) 1967, 227). “Studieren” 
im Sinne der “Analyse” mit wissenschaft- 
licher Methodik; und ‘ vorbereiten” im 
Sinne der Erarbeitung funktionaler, nicht- 
baukünstlerischer Konzepte im Sinne der 
“Synthese” für die Auseinandersetzungen 
im Kontext kommunaler Politik, denn 
“die Praxis des Städtebaues ist ein Kampf 
um Quadratmeter; ein Kampf auf der gan- 
zen Linie zwischen Privatwirtschaft und 
Gemeinwirtschaft” (Hoenig, 1928,197). 
Hierzu bedurfte es wissenschaftlicher 
Vorbereitung und der Analyse der die 
Stadtentwicklung bestimmende Elemente 
und Beziehungen: ‘Der Städtbau teilt 
den Lebensraum der Stadtbewohner in 
Flächen scharf getrennter Zweckbestim- 
mung. Das sozial-ökonomische Ziel der 
städtebaulichen Güterproduktion ist Be- 
darfsdeckung in quantitativer und quali- 
tativer Hinsicht; der Bedarf im Städtebau 
aber ist ein vierfacher: er umfaßt 1. Wohn- 
flächen; 2. Arbeitsflächen; 3. Verkehrsflä- 
chen; und 4. Erholungsflächen” (197). 
Obwohl auch Le Corbusier ähnliche Be- 
griffe 1941 in seiner “Charta von Athen” 
verwendet, konnte es kaum eine größere 
Distanz im Entwurfsverständnis geben, als 
zwischen ihm, dem Baukünstler-Individu- 
um und den Vertretern eines versachlich- 
ten, an kommunaler Politik orientieren 
Urbanismus 11), Die Auseinandersetzung 
zwischen Le Corbusier und van Eesteren 
ist Sache einer eigenen Arbeit. 12) 
“ERFINDEN”: DAS KOLLEKTIVI—- 
STISCH—POLITISCHE ENTWURFS-— 
VERSTÄNDNIS 
Die Baukünstler gerieten bei ihrem Ent- 
rufsverständnis mit den Zwecken ins Ge- 
hege: ‘Der Künstler steht im innersten 
Widerspruch zur Form der Leistungser- 
füllung (d.h. der Zweckform, d.V.), solan- 
ge er seine Individualität nicht aufgibt; 
denn es handelt sich bei der Arbeit an der 
Form der Leistungserfüllung (d.h. dem 
funktionellen und zweckmäßigen Bau-, 
werk, d.V.) nicht um die Verwirklichung 
der Individualität des Künstlers, sondern 
um die Verwirklichung der Individualität 
eines Gebrauchsgegenstandes. Alle ‘Ein- 
zelnen’ — und je stärker sie als Persönlich- 
keiten sind und manchmal je lauter (dies 
zielt gegen Le Corbusier, Härings Intim- 
feind, d.V.), umso mehr — stehen deshalb 
der Bewegung (der gesellschaftlichen Ent- 
wicklung, d.V.) hindernd im Wege und 
die Fortschritte entstehen in der Tat ge- 
gen sie’ (Häring (1932) 1965, 30). 
Die Konstruktivsten hatten zwar die In- 
dividualität in ihrem Entwurfsverständnis 
aufgegeben, drehten sich jedoch letztlich 
bei ihrem Versuch, immer nur “sachlich 
zu bleiben”, im Kreise ihrer Methodenleh- 
re — während gleichzeitig das Bauen im- 
mer politischer wurde, politisches Han- 
deln und Parteiergreifen erforderte.: 
Wenn ‘der herrschende Baustil einer Ge- 
sellschaft der Baustil der herrschenden 
Klasse ist’” (Schwab (1930) 1973, 143) 
und in den Zwanziger Jahren ‘nicht mehr 
das individuelle Geltungsbedürfnis des 
hochgekommenen Einzelunternehmers 
die Situation bestimmt, sondern das 
Machtbewußtsein des Trustkapitals auf 
der einen Seite und der Arbeiterorganisa- 
tion auf der anderen Seite’ (145), dann 
mußten auch die Entwürfe und Bauten 
des Architekten Zeichen seines politi- 
schen Standortes sein, seiner Parteinahme 
für oder gegen die herrschenden Tenden- 
zen: ‘Wir müssen wissen, daß wir unsere 
Gesinnung offenbaren, wenn wir bauen”. 
(Häring (1925) 1965,16). Und wenn es — 
was heute lächerlich erscheinen mag — 
nur durch die Form des Daches war: 
Flachdach: sozialistisch; Steildach: kon- 
servativ. 13) 
Hannes Meyer nun war einer der weni- 
gen Architekten, die sich offen auf die 
Seite der Arbeiterorganisationen schlugen 
und dort ihre Aufgabe als Architekten 
sahen; offen polemisierte er gegen die 
Verhüllung der politischen Gegensätze 
durch die Ästhetik des Neuen Bauens: 
“Wir suchen keinen Bauhausstil und kei- 
ne Bauhausmethode; keine modisch-fla- 
che Flächenornamentik, horizontal-verti- 
kal geteilt und neoplastisch aufgepäppelt. 
Wir suchen keine geometrischen und stre- 
ometrischen Gebilde, lebensfremd und 
funktionsfeindlich”‘, (Meyer (1929) 1965, 
98). Vor allem lehnte er das Verständnis 
von “Architektur als Baukunst” ab; die 
“autoritäre Position des Architekten 
beim Bauen”; “das individuell-intuitive 
Entwurfsverständnis”: ‘Bauen ist ein 
technischer, kein ästhetischer Prozeß und 
der zweckmäßigen Funktion eines Hauses 
widerspricht die künstlerische Kompositi- 
on” (Meyer (1926) 1965, 92). Vielmehr: 
“Architektur ist eine Wissenschaft gewor- 
den! Architektur ist Bauwissenschaft!” 
(Meyer (1931) 1965, 30) 
Meyer entwickelte in Diskussionen u.a. 
mit van Doesburg, van Eesteren und be- 
einflußt von den russischen Konstruk ti- 
visten ein neues Entwurfsverständnis: wir 
nennen es hier ‘‘kollektivistisch-politisch”. 
Er vermeidet, wie die Konstruktivisten, 
das Wort ‘Entwerfen’ mit seiner bau- 
künstlerischen Vorbelastung; er verwen- 
det — wohl in Anlehnung an die russi- 
schen Konstruktivisten — das Wort “erfin- 
den” oder meist nur schlicht “bauen”: 
1) “erfinden” verweist auf die ‘kreati- 
ve” Behandlung der Probleme der Benut- 
zer von Häusern, die der Architekt zu 
bauen hat; denn auch Hannes Meyer geht 
davon aus, daß der Architekt als Fach- 
mann beim Bauen erforderlich ist — nur 
eben nicht als Baukünstler sondern als 
Baufachmann, dem in erster Linie die Ge- 
brauchswertseite des Gebäudes am Her- 
zen zu liegen hat; daß hoher Gebrauchs- 
wert als Ziel architektonischen Schaffens 
hohen Einfalisreichtum und Erfindungs- 
gabe voraussetzt, wird durch das Wort 
“erfinden” ausgedrückt; dieses Erfinden 
muß jedoch, soll der höchstmögliche Ge- 
brauchswert eines Gebäudes erreicht 
werden, gemeinsam mit den Nutzern 
vorgenommen werden; muß in einem 
kollektiven Arbeitsprozeß stattfinden. 
2) Das Wort “bauen”, wie es Hannes 
Meyer verstand, verweist auf den seiner 
Meinung als Marxist nach notwendiger- 
weise (möglichst) ungeteilten Prozeß der 
Erarbeitung des Programms, des “Erfin- 
dens” und des Realisierens — wobei dieser 
Prozeß nicht bestimmt werden darf von 
autoritären Architekten-Experten, Son- 
dern gemeinsam vom Kollektiv aus Archi- 
tekten, Nutzern, Bauhandwerkern und 
anderen Beteiligten getragen werden muß. 
Im einzelnen bedeutet dieses kollekti- 
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