Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

‘Schwerpunkt 
Manfredo Tafuri 
Die Kritik der Architektursprache und 
die Sprache der Architekturkritik 
(L’Architecture dans le Boudoir) 
Tafuri’s Essay geht auf einen Vortrag mit 
dem Titel “ L ‘Architecture dans le Bou- 
doir: II linguaggio della critica e la critica 
del linguaggio” zurück, gehalten an der 
Princeton University (USA) im April 
1974. Er wurde zuerst in der von Peter 
Eisenman ‚ Kenneth Frampton, Mario 
Gandelsonas herausgegeben, amerkani- 
schen Zeitschrift OPPOSITIONS Mai 
1974 veröffentlicht und erscheint hier 
zum ersten Mal in deutscher Sprache. 
Die Verarbeitung von Restmaterialien, 
Abfallprodukten und Weggeworfenem ist 
ein integraler Bestandteil der Tradition der 
modernen Kunst, so als geschähe eine ma- 
gische Verwandlung der Dinge in qualita- 
tiv wertvolle, dadurch, daß der Künstler 
in eine Beziehung zu der Welt der Dinge 
tritt. Kein Wunder, daß heute, wenn es um 
die Rettung der architekturbezogenen Wer- 
te geht und wenn in dieser Aufgabe das we- 
sentliche Anliegen der Architektur erkannt 
wird, das einzige Mittel in der Verwendung 
von ““Kriegsüberresten‘, bzw. in der Ver- 
wendung dessen gesehen wird, was nach 
der Niederlage der Modernen Bewegung 
auf dem Schlachtfeld zurückgeblieben ist. 
So treten die neuen ‘Ritter des Purismus” 
mit den Fragmenten einer Utopie in die 
Debatte ein, einer Utopie aber, die sie selbst 
nicht mehr erkennen können. 
Derjenige, der der Architektur heute wie- 
der zum sprechen verhelfen will, ist ge- 
zwungen, jede Architekturideologie, alle 
Träume von sozialen Funktionen und jeden 
Rest einer Utopie auszutilgen. In seinen 
Händen werden die Elemente aus der Tra-. 
dition der modernen Architektur zu rätsel- 
haften Fragmenten reduziert, zu stummen 
Zeichen einer Sprache ohne Code, deren 
Bedeutung nach Belieben über die Weite 
der Geschichte verstreut ist. 
Jene Architekten, die seit Ende der 50er 
Jahre bis heute versucht haben, einen ge- 
meinsamen Diskurs für ihre Disziplin neu 
herzustellen, haben auch die Notwendig- 
keit für die Herstellung eines neuen Sinnzu- 
sammenhanges empfunden. Ihr Purismus 
oder ihre Rigorosität erinnert jedoch an 
eine Verzweiflungstat, die ihre Rechtfer- 
tigung nur in sich selbst finden kann. Die 
Wörter ihres Vokabulars sind zusammenge- 
sucht in der desolaten Landschaft, die ih- 
nen nach der Zerstörung ihrer großen II- 
lusionen verblieben ist; sie liegen gefähr- 
lich auf der geneigten Ebene, zwischen der 
Wirklichkeit und dem magischen Zirkel 
der Sprache. Genau diese Art von Rettungs- 
aktion der Architektur ist es, die wir mit 
der Kritik der Sprache konfrontieren wol- 
len: demnach bedeutet die bewußte Ein- 
ordnung solcher antihistorischen Versuche 
in den historischen Zusammenhang nichts 
anderes als eine zielstrebige Rekonstrukti- 
on des Systems methaphorischer Doppel- 
deutigkeiten, die allzu offensichtlich zu 
problematisch sind, um sie weiter als ‘be- 
unruhigende Wesen” isoliert für sich zu 
stehen zu lassen. 
Wir müssen den Leser jedoch davor war- 
nen, daß wir nicht die Absicht haben, hier 
eine Übersicht über die neueren architekto: 
nischen Richtungen zu geben. Stattdessen 
möchten wir die Aufmerksamkeit auf eini- 
ge besonders wichtige Grundhaltungen 
richten, wobei wir uns fragen wollen, wel- 
che Rolle die Kritik einzunehmen hat. 
fan 
James Stirling mit Leon Krier: Entwurf für das Bürgerzentrum in Derby ‚1970 
Frank Lioyd Wright: Bürogebäude der S.C. Johnson & Son Company, 
1936, Brücke aus Pyrex-Säulen über der Einfahrt
	        

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