hatten, im Quartiersbüro des Auslobers
die dort ausliegenden Arbeiten zu lesen.
So verließ sich die Projektkommission
auf das Urteil der Vorprüfung — para-
doxerweise, obwohl sie diesem mißtrau-
te — und nur diejenigen Arbeiten wurden
nicht ausgeschieden, die einen einflußrei-
chen Advokaten in der Projektkommis-
sion fanden (allerdings genügte zu Anfang
eine Stimme, um die Arbeit im Wettbe-
werb zu lassen, bzw. später ein Drittel
der Stimmen).
Die Mängel dieses Verfahrens waren Oof-
fensichtlich, zumal seine „Opfer’’ häufig
die nicht wettbewerbsfähigen Arbeiten
von Bürgern aus dem Quartier waren. In
der Projektkommission wie in der Vorbe-
reitungsgruppe breitete sich ein immer
stärkeres Unbehagen über dieses Verfah-
ren aus. Zwar wuchs das Vertrauen der
Projektkommission in die Vorbereitungs-
gruppe, da diese keine Versuche unter-
nahm, ihre Informationen zu monopoli-
sieren und die Projektkommission So zu
manipulieren. Dem Selbstverständnis der
Projektkommission entsprach diese Ab-
hängigkeit von der Vorbereitungsgruppe
jedoch keineswegs und so suchte man
nach Aushilfen:
- Der Auslober wurde aufgefordert, die Ar-
beiten herauszugeben, damit die Mitglieder
der Projektkommission diese auch zu Hau-
se lesen konnten. Der vom Auslober einge-
setzte Koordinator des Wettbewerbs wei-
gerte sich zunächst, diese Forderung zu er-
füllen, Er sah die Gefahr, die von den GRW
geforderte Vertrauenspflicht bei der Be-
handlung der Arbeiten könnte hier verletzt
werden.
Die oben erwähnte „Vorschlagsliste wurde
eingeführt, damit insbesondere die Vorschlä-
ge der Bürger nicht verloren gingen.
Die Vorbereitungsgruppe ging dazu über, je-
nen Mitgliedern der Projektkommission,
die, um die Arbeiten zu lesen, ins Quartier-
büro kamen, nicht nur jene Arbeiten, die
bei der nächsten Sitzung ‚‚dran‘” waren, son-
dern auch solche vorzulegen, die sie als
grundsätzlich wettbewerbsfähig ansah. So
konnte sich jedes Mitglied selbst ein Bild
davon machen, wie die von der Vorberei-
tungsgruppe entwickelten und von der Pro-
jektkommission beschlossenen Auswahlkri-
terien in der Praxis angewandt wurden, oh-
ne daß jedes Mitglied jede Arbeit gelesen
haben mußte.
Die Auseinandersetzung über die Heraus
gabe der Arbeiten war eine erste Kraftpro-
be zwischen der Projektkommission und
dem Vertreter des Auslobers. Besonders
für die Bürgervertreter war diese Forderung
substantiell, um den Anforderungen des
Wettbewerbs nachkommen zu können.
Unter Hinweis auf die Ungewöhnlichkeit
des Wettbewerbs (Bürger in der Jury, Um-
fang und inhaltliche Heterogenität der Ar-
beiten) und mit entsprechendem Druck
(Brief an den Senator für Bau- und Woh-
nungswesen) gelang es den Bürgervertre-
tern schließlich, ihre Forderung durchzu-
setzen.
Von der neuen Regelung waren aller-
m
An
3:
dings die Vertreter der Verwaltung ausge-
nommen, da angenommen wurde, daß für
diese die Arbeit in der Projektkommission
weitgehend in die Dienstzeit fiel. Diese
Entscheidung stieß aber bis zum Schluß
des Verfahrens ständig auf Kritik bei den
Verwaltungsvertretern, da diese faktisch
wie die Bürger einen großen Teil ihrer
Freizeit der Arbeit in der Projektkommis-
sion opfern mußten. Die Regelung trug
allerdings dem Umstand Rechnung, daß
in einem Verfahren mit Bürgerbeteiligung
nicht grundsätzlich von einer formalen
Gleichbehandlung der Teilnehmer auszu-
gehen ist, sondern den Bürgern zusätzlich
Vorteile einzuräumen sind, um das In-
formationsdefizit gegenüber der Verwal-
tung zumindest ansatzweise auszugleichen.
Auswahl der „‚besten” Arbeiten
(1) Das Auswahlverfahren
Der Auswahl der besten Arbeiten kam
nicht nur zugute, daß nun die Arbeiten
ausgeliehen und somit abends und an den
Wochenenden bearbeitet werden konnten,
sondern es wurden noch folgende neue
Instrumente zur Intensivierung der Ar-
beit eingesetzt:
Lesezirkel wurden auf Vorschlag der Vorbe-
reitungsgruppe eingerichtet. Diese wurden gut
besucht, weil die Projektkommission inzwi-
schen erfahren hatte, daß sie ihrer Aufgabe nur
dann gerecht zu werden vermochte, wenn sie
sich den Inhalt der Wettbewerbsbeiträge inten-
siv erarbeitete. In den Lesezirkeln wurde ge-
meinsam gelesen und bestimmte Probleme zu-
sammen mit der Vorbereitungsgruppe disku-
tiert.
Statt wie zuvor nur einmal die Woche zu
tagen, wurde auf Vorschlag der Vorbereitungs:
gruppe beschlossen, die für die Endrunde ver-
bleibenden 47 Arbeiten an zwei Wochenenden
zu erörtern. Die Projektkommission teilte sich
in 5 Ausschüsse auf (wobei der im Plenum gel-
tende Proporz gewahrt blieb), die jeweils 9 bzw
10 Arbeiten hauptgutachtlich diskutieren und
zu einer gleichen Anzahl von Arbeiten als
Kontrollausschuß Stellung nehmen sollten. Je-
der Ausschuß sollte diejenigen Arbeiten be-
nennen, die seiner Ansicht nach für eine Auf-
tragsvergabe in Frage kamen. Stimmten der fe-
derführende Ausschuß und der Kontrollaus-
schuß überein, stimmte das Plenum entspre-
chend ab. War dies nicht der Fall, wurde noch
einmal im Plenum beraten. So blieben für die
Endauswahl schließlich 22 Arbeiten übrig,
von denen in weiteren Plenardebatten insge-
samt 11 für die 2. Wettbewerbsphase ausge-
sucht wurden, wofür die Mehrheit der abgege-
benen Stimmen genügte.
Zusätzliche Fachleute wurden zu den Be-
ratungen hinzugezogen, um die Finanzierungs-
modelle für Modernisierung und Instandsetzung
beurteilen zu können. Außerdem standen der
Projektkommission in der Endphase ein Mit-
glied des Abgeordnetenhauses von Berlin und
der Sanierungsbeauftragte von Hamburg-Otten-
sen zur Beratung zur Verfügung.
(2) Charakteristika dieser Runde
Eine wichtige Rolle_spielten diejeni-
gen Vertreter der Bürger und Aktivgrup-
pen, die fast sämtliche Arbeiten gelesen
hatten, aktiv am „Stammtisch”’ (vgl. un-
ten) teilnahmen und Diskussionen in der
Projektkommission vorstrukturierten. Der
Verwaltung, die derartige Anstrengungen
zur Vereinheitlichung der Positionen of-
fensichtlich nicht unternahm, standen so
Bürger gegenüber, die wußten, was sie
wollten und sich auch artikulieren konn-
ten. Die Auswahl der prämierten Arbei-
ten und die sich daraus abzeichnende Ge-
samtstrategie für SO 36 ist wesentlich auf
das Engagement dieser Bürgervertreter zu-
rückzuführen.
Die Rolle dieser opinion-leader führte
aber nicht dazu, daß sich die übrigen Kom:
missionsmitglieder völlig abstinent verhiel-
ten: Wortmeldungsstatistiken der letzten
Beurteilungsrunde zeigen, daß sich fast
alle Mitglieder zu Wort gemeldet haben
und so auch kritische Punkte sehr gut be-
werteter Arbeiten diskutiert und ange-
merkt wurden.
Die Möglichkeit zur verhältnismäßig of-
fenen Diskussion in der Projektkommis-
sion wurde auch durch die fehlenden
Planungsvorstellungen von seiten des Se-
nats und des Bezirksamtes gegeben. Es
stand niemand unter dem Druck, seine
bereits vorhandenen Vorstellungen für
das Gebiet verteidigen oder alternative
Konzepte abwehren zu müssen. Nur so
lassen sich auch die Abstimmungsergeb-
nisse über die letzten Arbeiten erklären.
Es bildeten sich niemals Fronten zwi-
schen Bürgern und Verwiltung (sei es
Bezirksamt oder Senat).
(3) Auswahlkriterien
Obwohl die Vorbr reitungsgruppe für
die Endauswahl der Nettbewerbsbeiträ-
ge einen Kriterienk' talog aus den übrig-
gebliebenen Arbeit :n entwarf, wurde
dieser Entwurf vo ı der Projektkommis-
sion nicht mehr «‚iskutiert und verabschie-
det. Es blieb vie mehr den Ausschüssen
überlassen, ob sie diesen Katalog anwen-
den wollten oder nicht. Auch in den
folgenden Plenardebatten entwickelten
sich die Kriterien eher aus der Diskus-
sion und dem Vergleich der Arbeiten
untereinander als aus einem vorformu-
lierten Kriterienkatalog. Folgende Maß-
stäbe bestimmten dabei das Urteil der
Proiektkommission:
allgemeine Kriterien:
Die Projektkommission war sich darin e
einig, daß für die letzten 11 Arbeiten nur die-
jenigen in Betracht kommen, die sich nicht
in langatmigen theroetischen Erwägungen er-
gehen, die nicht nur allgemeine GesellschaftS-
analyse betreiben, sondern die realisierbare
Strategien für Kreuzberg liefern. Als realisier-
bar hatten dabei vor allem jene Arbeiten ZU
gelten, die sich der Konfliktmöglichkeiten be-
wußt waren und hierfür Lösungsmöglichkeiten
anzubieten hatten, die die Träger von Maßnah-
men benennen konnten, die im Rahmen der