Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

hatten, im Quartiersbüro des Auslobers 
die dort ausliegenden Arbeiten zu lesen. 
So verließ sich die Projektkommission 
auf das Urteil der Vorprüfung — para- 
doxerweise, obwohl sie diesem mißtrau- 
te — und nur diejenigen Arbeiten wurden 
nicht ausgeschieden, die einen einflußrei- 
chen Advokaten in der Projektkommis- 
sion fanden (allerdings genügte zu Anfang 
eine Stimme, um die Arbeit im Wettbe- 
werb zu lassen, bzw. später ein Drittel 
der Stimmen). 
Die Mängel dieses Verfahrens waren Oof- 
fensichtlich, zumal seine „Opfer’’ häufig 
die nicht wettbewerbsfähigen Arbeiten 
von Bürgern aus dem Quartier waren. In 
der Projektkommission wie in der Vorbe- 
reitungsgruppe breitete sich ein immer 
stärkeres Unbehagen über dieses Verfah- 
ren aus. Zwar wuchs das Vertrauen der 
Projektkommission in die Vorbereitungs- 
gruppe, da diese keine Versuche unter- 
nahm, ihre Informationen zu monopoli- 
sieren und die Projektkommission So zu 
manipulieren. Dem Selbstverständnis der 
Projektkommission entsprach diese Ab- 
hängigkeit von der Vorbereitungsgruppe 
jedoch keineswegs und so suchte man 
nach Aushilfen: 
- Der Auslober wurde aufgefordert, die Ar- 
beiten herauszugeben, damit die Mitglieder 
der Projektkommission diese auch zu Hau- 
se lesen konnten. Der vom Auslober einge- 
setzte Koordinator des Wettbewerbs wei- 
gerte sich zunächst, diese Forderung zu er- 
füllen, Er sah die Gefahr, die von den GRW 
geforderte Vertrauenspflicht bei der Be- 
handlung der Arbeiten könnte hier verletzt 
werden. 
Die oben erwähnte „Vorschlagsliste wurde 
eingeführt, damit insbesondere die Vorschlä- 
ge der Bürger nicht verloren gingen. 
Die Vorbereitungsgruppe ging dazu über, je- 
nen Mitgliedern der Projektkommission, 
die, um die Arbeiten zu lesen, ins Quartier- 
büro kamen, nicht nur jene Arbeiten, die 
bei der nächsten Sitzung ‚‚dran‘” waren, son- 
dern auch solche vorzulegen, die sie als 
grundsätzlich wettbewerbsfähig ansah. So 
konnte sich jedes Mitglied selbst ein Bild 
davon machen, wie die von der Vorberei- 
tungsgruppe entwickelten und von der Pro- 
jektkommission beschlossenen Auswahlkri- 
terien in der Praxis angewandt wurden, oh- 
ne daß jedes Mitglied jede Arbeit gelesen 
haben mußte. 
Die Auseinandersetzung über die Heraus 
gabe der Arbeiten war eine erste Kraftpro- 
be zwischen der Projektkommission und 
dem Vertreter des Auslobers. Besonders 
für die Bürgervertreter war diese Forderung 
substantiell, um den Anforderungen des 
Wettbewerbs nachkommen zu können. 
Unter Hinweis auf die Ungewöhnlichkeit 
des Wettbewerbs (Bürger in der Jury, Um- 
fang und inhaltliche Heterogenität der Ar- 
beiten) und mit entsprechendem Druck 
(Brief an den Senator für Bau- und Woh- 
nungswesen) gelang es den Bürgervertre- 
tern schließlich, ihre Forderung durchzu- 
setzen. 
Von der neuen Regelung waren aller- 
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An 
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dings die Vertreter der Verwaltung ausge- 
nommen, da angenommen wurde, daß für 
diese die Arbeit in der Projektkommission 
weitgehend in die Dienstzeit fiel. Diese 
Entscheidung stieß aber bis zum Schluß 
des Verfahrens ständig auf Kritik bei den 
Verwaltungsvertretern, da diese faktisch 
wie die Bürger einen großen Teil ihrer 
Freizeit der Arbeit in der Projektkommis- 
sion opfern mußten. Die Regelung trug 
allerdings dem Umstand Rechnung, daß 
in einem Verfahren mit Bürgerbeteiligung 
nicht grundsätzlich von einer formalen 
Gleichbehandlung der Teilnehmer auszu- 
gehen ist, sondern den Bürgern zusätzlich 
Vorteile einzuräumen sind, um das In- 
formationsdefizit gegenüber der Verwal- 
tung zumindest ansatzweise auszugleichen. 
Auswahl der „‚besten” Arbeiten 
(1) Das Auswahlverfahren 
Der Auswahl der besten Arbeiten kam 
nicht nur zugute, daß nun die Arbeiten 
ausgeliehen und somit abends und an den 
Wochenenden bearbeitet werden konnten, 
sondern es wurden noch folgende neue 
Instrumente zur Intensivierung der Ar- 
beit eingesetzt: 
Lesezirkel wurden auf Vorschlag der Vorbe- 
reitungsgruppe eingerichtet. Diese wurden gut 
besucht, weil die Projektkommission inzwi- 
schen erfahren hatte, daß sie ihrer Aufgabe nur 
dann gerecht zu werden vermochte, wenn sie 
sich den Inhalt der Wettbewerbsbeiträge inten- 
siv erarbeitete. In den Lesezirkeln wurde ge- 
meinsam gelesen und bestimmte Probleme zu- 
sammen mit der Vorbereitungsgruppe disku- 
tiert. 
Statt wie zuvor nur einmal die Woche zu 
tagen, wurde auf Vorschlag der Vorbereitungs: 
gruppe beschlossen, die für die Endrunde ver- 
bleibenden 47 Arbeiten an zwei Wochenenden 
zu erörtern. Die Projektkommission teilte sich 
in 5 Ausschüsse auf (wobei der im Plenum gel- 
tende Proporz gewahrt blieb), die jeweils 9 bzw 
10 Arbeiten hauptgutachtlich diskutieren und 
zu einer gleichen Anzahl von Arbeiten als 
Kontrollausschuß Stellung nehmen sollten. Je- 
der Ausschuß sollte diejenigen Arbeiten be- 
nennen, die seiner Ansicht nach für eine Auf- 
tragsvergabe in Frage kamen. Stimmten der fe- 
derführende Ausschuß und der Kontrollaus- 
schuß überein, stimmte das Plenum entspre- 
chend ab. War dies nicht der Fall, wurde noch 
einmal im Plenum beraten. So blieben für die 
Endauswahl schließlich 22 Arbeiten übrig, 
von denen in weiteren Plenardebatten insge- 
samt 11 für die 2. Wettbewerbsphase ausge- 
sucht wurden, wofür die Mehrheit der abgege- 
benen Stimmen genügte. 
Zusätzliche Fachleute wurden zu den Be- 
ratungen hinzugezogen, um die Finanzierungs- 
modelle für Modernisierung und Instandsetzung 
beurteilen zu können. Außerdem standen der 
Projektkommission in der Endphase ein Mit- 
glied des Abgeordnetenhauses von Berlin und 
der Sanierungsbeauftragte von Hamburg-Otten- 
sen zur Beratung zur Verfügung. 
(2) Charakteristika dieser Runde 
Eine wichtige Rolle_spielten diejeni- 
gen Vertreter der Bürger und Aktivgrup- 
pen, die fast sämtliche Arbeiten gelesen 
hatten, aktiv am „Stammtisch”’ (vgl. un- 
ten) teilnahmen und Diskussionen in der 
Projektkommission vorstrukturierten. Der 
Verwaltung, die derartige Anstrengungen 
zur Vereinheitlichung der Positionen of- 
fensichtlich nicht unternahm, standen so 
Bürger gegenüber, die wußten, was sie 
wollten und sich auch artikulieren konn- 
ten. Die Auswahl der prämierten Arbei- 
ten und die sich daraus abzeichnende Ge- 
samtstrategie für SO 36 ist wesentlich auf 
das Engagement dieser Bürgervertreter zu- 
rückzuführen. 
Die Rolle dieser opinion-leader führte 
aber nicht dazu, daß sich die übrigen Kom: 
missionsmitglieder völlig abstinent verhiel- 
ten: Wortmeldungsstatistiken der letzten 
Beurteilungsrunde zeigen, daß sich fast 
alle Mitglieder zu Wort gemeldet haben 
und so auch kritische Punkte sehr gut be- 
werteter Arbeiten diskutiert und ange- 
merkt wurden. 
Die Möglichkeit zur verhältnismäßig of- 
fenen Diskussion in der Projektkommis- 
sion wurde auch durch die fehlenden 
Planungsvorstellungen von seiten des Se- 
nats und des Bezirksamtes gegeben. Es 
stand niemand unter dem Druck, seine 
bereits vorhandenen Vorstellungen für 
das Gebiet verteidigen oder alternative 
Konzepte abwehren zu müssen. Nur so 
lassen sich auch die Abstimmungsergeb- 
nisse über die letzten Arbeiten erklären. 
Es bildeten sich niemals Fronten zwi- 
schen Bürgern und Verwiltung (sei es 
Bezirksamt oder Senat). 
(3) Auswahlkriterien 
Obwohl die Vorbr reitungsgruppe für 
die Endauswahl der Nettbewerbsbeiträ- 
ge einen Kriterienk' talog aus den übrig- 
gebliebenen Arbeit :n entwarf, wurde 
dieser Entwurf vo ı der Projektkommis- 
sion nicht mehr «‚iskutiert und verabschie- 
det. Es blieb vie mehr den Ausschüssen 
überlassen, ob sie diesen Katalog anwen- 
den wollten oder nicht. Auch in den 
folgenden Plenardebatten entwickelten 
sich die Kriterien eher aus der Diskus- 
sion und dem Vergleich der Arbeiten 
untereinander als aus einem vorformu- 
lierten Kriterienkatalog. Folgende Maß- 
stäbe bestimmten dabei das Urteil der 
Proiektkommission: 
allgemeine Kriterien: 
Die Projektkommission war sich darin e 
einig, daß für die letzten 11 Arbeiten nur die- 
jenigen in Betracht kommen, die sich nicht 
in langatmigen theroetischen Erwägungen er- 
gehen, die nicht nur allgemeine GesellschaftS- 
analyse betreiben, sondern die realisierbare 
Strategien für Kreuzberg liefern. Als realisier- 
bar hatten dabei vor allem jene Arbeiten ZU 
gelten, die sich der Konfliktmöglichkeiten be- 
wußt waren und hierfür Lösungsmöglichkeiten 
anzubieten hatten, die die Träger von Maßnah- 
men benennen konnten, die im Rahmen der
	        

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