Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

tigen wirtschaftlichen Bedingungen aus 
zwei Gründen „neue Qualität”: 
Zum einen kann nicht länger der 
Eindruck aufrecht erhalten werden, 
als sei die Krisenentwicklung eine 
vorübergehende, ‚„‚konjunkturbedingte” 
Angelegenheit, die auf ein. bald ein- 
setzendes weiteres Wachstum der 
Städte und Regionen hoffen ließe 
— womit dann freilich wieder die 
Überzentralisationskonflikte der 
„Krise der Stadt’” auftreten würden. 
Vielmehr zeigt nicht nur die reale 
Entwicklung sondern auch die sich 
zunehmend darauf einstellende 
Bundes- und Landesplanung, daß es 
nicht um den Abbau räumlicher Dis- 
paritäten und sozio-ökonomischer 
Entwicklungsunterschiede geht, son- 
dern um eine Fixierung der räumli- 
chen Polarisation. 
Mit dieser Determination der un- 
terschiedlichen Entwicklung der (Teil-) 
Räume und Städte gewinnt zum ande- 
ren die Beibehaltung der traditionellen , 
im Prinzip überall gleichen STEP-Instru- 
mente und Ziele fast absurden Charak- 
ter. Die Städte mit der geringsten 
Chance, sich selbst aus ihrem Entwick- 
tungsdilemma zu befreien, kaprizieren 
sich heute am energischsten auf Infra- 
strukturvorleistungen; angesichts der 
real schwindenden Erfolgschancen die- 
ser Projekte führt eine solche Planung 
nur zu einer sinnlosen Verschärfung 
innerregionaler Konkurrenz und damit 
zu erhöhter „Erpreßbarkeit’” der Kom- 
munen. Die Landesplanung versucht 
diesen Konflikt autoritär zu lösen, in- 
dem sie den Gemeinden zunehmend 
die Entscheidungskompetenz in diesen 
Fragen entzieht (z.B. Kommunaireform, 
LEP !/1l und VI); damit ist die Entwick 
lung zur Unterentwicklung dann admi- 
nistrativ verordnet (während sie sich 
im ruinösen Konkurrenzkampf eher 
„‚naturwüchsig” einstellen würde). 
Eine Abkehr von den traditioneilen 
Zielen und Methoden der STEP ist da- 
gegen höchstens in Ansätzen erkennbar 
(vgl. Teil 11); vor allem fehlt die Er- 
kenntnis der teilweise durchaus ambi- 
valenten Wirkung bestimmter Rück- 
zugstendenzen von Kapitalien, die 
zwar noch lange keine Lösung der Kri- 
se für die Städte herbeiführt, die aber 
immerhin auch alternative Entwick - 
lungsmöglichkeiten eröffnet, die unter 
den Bedingungen expandierender Kapi- 
talakkumulation nicht denkbar gewesen 
wären. 
(Fortsetzung ARCH+ Nr. 39) 
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1) Parole des Deutschen Städtetages aus dem 
Jahr 1971 
Helfert, M.: Rationalisierung, Beschäfti- 
gung, Wirtschaftspolitik, in: Gewerkschaft- 
liche Monatshefte 7/77, S. 430 
ebd. 
Peschel, P.; Scheibe-Lange, I.: Zu den 
Beschäftigungsperspektiven des Dienst: 
leistungssektors, in: WSI Mitteilungen 
5/77,5. 325 
„Durch Rationalisierung wurden im 
Einzelhandel zwsichen 1970 und 1975 
über 100.000 Volilarbeitsplätze ‘wegra- 
2) 
31 
6) 
7) 
8) 
9) 
10) 
41) 
12) 
13) 
tionalisiert‘.”” (Glaubitz, J.; Marth, K.-H.* 
Strukturberichterstattung a.a.O., S.730) 
Schmidt, J.; Vesper, D.: Konsolidierung 
der öffentlichen Haushalte erschwert 
Abbau der Arbeitslosigkeit, in: Wochen- 
bericht des DIW 18/1977 S. 152 
Schäfer, C.: Mögliche und tatsächliche 
Beschäftigungseffekte öffentlicher Aus- 
gabepolitik, in: WSI Mitteilungen 6/1977. 
Ss. 360 
ebda., S. 361 
ebda. 
Der Begriff „‚Wachstumsindustrie”” ist ideo- 
'ogisch problematisch und inhaltlich dif- 
fus. Zunächst ist die Frage, wie ‚,‚Wachs- 
tum” definiert wird: Umsatzwachstum, 15) 
Profitwachstum, Beschäftigtenzu- bzw. 
Abnahme, Produktivitätszunahme ...? 
Geht man nach der Zahl der Beschäftig- 
ten, gibt es heute praktisch nur noch 
„‚Schrumpfungsindustrien”” unterschied- 16) 
licher Intensität. Dann: Wie wird der 
Wachstumsbegriff qualitativ bestimmt? 
Dies gilt nicht nur für die expandierende 
Rüstungs- oder Kernenergiewirtschaft, 17) 
sondern für jeden ganz normalen Betrieb, 
in dessen betriebswirtschaftlicher Kosten- 18) 
kalkulation keine „externen Effekte’” 
bzw. „social costs’” auftauchen. Weitere 
Variablen sind die weltmarktpolitischen 
oder technologischen Veränderungen, 
die eine Wachstumsbranche von gestern 
zu einer Schrumpfungsbranche von heu- 
te werden“lassen (z.B. Textilindustrie, 
Papier- und Druckindustrie); wesentlich 19) 
sind auch die regionalen oder lokalen 20) 
Standortunterschiede: im Saarland war 21) 
die Stahlindustrie bereits eine äußerst 22) 
gefährdete Schrumpfungsbranche als sie 
im Duisburger Raum noch florierte. Be- 
zogen auf den Bundesdurchschnitt gelten 
heute vor allem folgende Industriegrup- 
pen als Wachstumsindustrien (gemessen 
an der Veränderung der Anteile der ein- 
zelnen Gruppen am Gesamtumsatz der 
Industrie): Kunststoffverarbeitung (Rück- 
gang der Beschäftigtenzahlen von 1972 
bis 1976: 4,1%), Mineralölverarbeitung 
(Rückgang der Beschäftigten 1972—1976: 
44,2%), Elektrotechnik (Rückgang: 11,6 
%), Chemie (Rückgang: 7,2%) und Stra- 
Benfahrzeugbau (Rückgang der Beschäf- 
tigten 1972—1976: 4,9%). „Demnach 
verzeichneten selbst diese, gemessen an 
der Umsatzentwicklung expansiven In- 
dustriezweige ... zwischen 1972 und 
1976 ein Beschäftigungsdefizit von 
216.000.” (Glaubitz, J.; Marth, K.-H.: 
Strukturberichterstattung: Wirtschaft- 
liche Entwicklung als ein „,Lern- und 
Entdeckungsprozeß”, in: WSI-Mitteilun- 26) 
gen 12/1977, S. 715ff). 
Die unter 10) angeführten kritischen Ein- 
wände gegen den Begriff ‚„‚Wachstumsin- 27) 
dustrien‘” gelten entsprechend für sein 
Gegenteil: den Begriff der „Schrump- 
fungsindustrien‘. Vor allem muß be- 28) 
tont werden, daß eine an der Entwick- 
lung des Gesamtumsatzes oder der Pro- 
duktivität gemessene Qualifizierung als 
„Schrumpfungsindustrie’” keineswegs un- 
mittelbar eine erhöhte Freisetzung von 29) 
Arbeitskräften zu bedeuten braucht; die 
expansive Beschäftigungsentwicklung des 
Tertiären Sektors bis in die 70er Jahre 
war gerade eine Folge der unterdurch- 
schnittlichen Produktivitätsentwicklung 
in diesem Sektor! 
Dieser Schluß entspricht nicht nur der 
praktischen stadtplanerischen Erfahrung , 
sondern wurde für den Ballungsraum Bre- 
men in einer exemplarischen Analyse in- 
dustrieller Standortfaktoren und ihrer 
räumlichen Wirkung nachgewiesen. (Vgl. 
Dohrmann, J.: Methoden und Ergebnisse 
einer exemplarischen Analyse der industri 
ellen Standortfaktoren und ihrer räumli- 
chen Wirkung, in: WSI-Mitteilungen 11/ 
1977, S. 687/88) 
Vgl. zur Analyse und Kritik der staatli- 
chen Raumordnungs- und Regionalpla- 
nung: Evers, A.: Fragen an eine korrigier- 32) 
te Raumordnungspolitik — das Bundes- 
raumordnungsprogramm verheißt unglei- 
che Entwicklung und Abhängigkeit, in: 
Stadtbauwelt 47/1975, S. 172; Bohr- 
mann, J., a.a.0. 
„1976 wurden ungewöhnlich hohe Pro- 
duktivitätssteigerungen in fast allen Be- 
reichen der Industrie erzielt. Sie haben 
wesentlich mit dazu beigetragen, daß 
sich der Bedarf an zusätzlichen Arbeits- 
kräften trotz der steigenden Güternach- 
frage noch (!) in,engen Grenzen hielt.” 
(Landesentwicklungsbericht 1976, Heft 
39 der Schriftenreihe ‚,Landesentwick- 
lung‘ des Ministerpräsidenten des Lan- 
des NW, Düsseldorf 1977, S. 42) 
Vgl. Mandel, E.: Krise und Aufschwung 
der kapitalistischen Weltwirtschaft 1974 
— 1977, in: Mandel, E.; Wolf, W.: Ende 
der Krise oder Krise ohne Ende, Berlin 
1978, S. 64 
Selbst im Boom-Jahr 1976 betrug die 
Kapazitätsauslastung der Industrie nur 
83% (vgl. Landesentwicklungsbericht 
a.a.O., S. 42; Mandel, E. a.a.O., S. 21) 
Vgl. Landesentwicklungsbericht, a.a.O., 
Ss... 136 
„Allein in den Jahren 1973—1976 wurden 
20 Mrd. DM im Ausland investiert, der 
Kapitalexport in diesem Zeitraum liegt 
damit so hoch wie derjenige der 10 Jahre 
von 1961—1971 zusammen.” (Wolf, W.: 
Westdeutsche Wirtschaftskrise 1974/75 
und Aufschwung 1976/77, in: Mandel, 
E.; Wolf, W., a.a.0., S. 152) 
Vgl. Mandel, E., a.a.O0., S. 17 
ebd., S. 30ff 
ebd., S. 12 
Der Gesamtindex der Weltrohstoffpreise 
stieg von 1971 bis 1976 um rund das drei: 
fache (vgl. !fo-Schnelldienst 4/77 S. 11), 
während er von 1950 bis 1970 in etwa 
konstant blieb. 
Vgl.: Zur Wirtschaftsentwicklung in der 
Bundesrepublik Deutschland in den Jah- 
ren 1977/1978, WSI-Mitteilungen 11/1977 
S. 653ff; ebenso: Mandel, E., a.a.O0., 
S. 24ff 
Als strukturelle Arbeitslosigkeit wird hier 
der Anteil an der Gesamtarbeitslosigkeit 
verstanden, der nicht durch konjunkturelle 
Schwankungen sondern durch sektorale 
Krisenentwicklung und das Fehlen eines 
der Qualifikationsstruktur der Arbeitskräf- 
te entsprechenden Arbeitsplatzangebotes 
entsteht. 
Hierunter werden die in den Fußnoten 26 
und 27 genannten 15 Städte in ihren Gren: 
zen vor der kommunalen Neugliederung 
oder 13 Städte in den Grenzen nach der 
Kommunalreform 1975 verstanden. 
Hellweg-Zone: Dortmund, Witten, Essen, 
Bochum und Wattenscheid, Mülheim a.d.R. 
Duisburg. 
Emscher-Zone: Oberhausen, Bottrop, 
Gladbeck, Gelsenkirchen, Recklinghausen, 
Herne und Wanne-Eickel, Castrop-Rauxel. 
Westliches Ruhrgebiet: Landkreis Dinsla- 
ken, Duisburg, Oberhausen und Mülheim 
a.d.R.; östliches Ruhrgebiet: Landkreis 
Unna, Hamm, Dortmund, Lünen (vor 
kommunaler Neugliederung) 
Lippe-Zone: Landkreis Dinslaken, Land- 
kreis Recklinghausen, Lünen, Hamm, 
Landkreis Unna (vor kommunaler Neu- 
gliederung) 
Charakteristisch hierfür ist die Auseinan- 
dersetzung um den Standort des im LEP 
VI ausgewiesenen Kohlekraftwerkes Dor 
sten/Marl. Hierin wird von den Emscher- 
städten eine Konkurrenz gegenüber den 
traditionellen Standorten in ihrem Ge- 
biet gesehen. 
Landesentwicklungsplan VI — Entwurf 
(Stand 18.1.1977): „Festlegung von 
Gebieten für flächenintensive Großvor- 
haben (einschließlich Standorte für die 
Energieerzeugung), die für die Wirt- 
schaftsstruktur des Landes von besonde- 
rer Bedeutung sind, Landesplanungsbe- 
hörde (I! A 3 — 50.15 (VI) 
Ausnahme: Kohlekraftwerk Castrop- 
Rauxel. 
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