Klaus Novy
Der Wiener Gemeindewohnungsbau:
„Sozialisierung von unten“
Oder: Zur verdrängten Dimension der Gemeinwirtschaft als Gegenökonomie
1. Von Niederlage zu Niederlage — das Di-
lemma gesamtwirtschaftlicher Reform-
versuche
Die strategische Bedeutung gemeinwirt-
schaftlicher Inseln — vom „Roten Wien”
zum „Roten Österreich”
Die Demontage eines Modells — der
wunderliche Mythos eines gescheiterten
Weges
Das „Rote Wien” — erfolgreichstes Bei-
spiel reformsozialistischer Politik
5. Die „revolutionäre’” Ökonomie der Wie-
ner Wohnungspolitik
5.1 Mietstop und Inflation — das
Ende eines Marktes
5.2 Das Wohnungsangebot — von der
Ware zur kommunalen Dienst-
leistung
Revolution in der Finanzierung
— über 60.000 Wohnungen ohne
Kreditaufnahme
Die „Nullifizierung der Grund-
und Hausherrnrente””
Die Wohnungsproduktion als
kommunales Arbeitsbeschaf-
fungsprogramm
„Weniger ist mehr” — Exkurs
zum volkswirtschaftlichen Sinn
eines politisch verlangsamten
Einsatzes von technischem
Fortschritt
Innergemeinwirtschaftliche Kreis-
läufe — Ansätze zur „vertikalen
Sozialisierung”
Marktgesetze im Dienste der Wirt-
schaftsreform — Bodenpreisbil-
dung und Bodenpolitik der
Gemeinde
5.9 Die „Politisierung” schafft „‚neue”
Probleme
6. Die Grenzen der Ökonomie und Sozial-
politik — Reformen als soziale Bewegung
6.1 Von der individuellen zur gemein-
schaftlichen Versorgung — die Or-
ganisationsangebote der Gemeinde
6.2 Von der passiven zur aktiven Be-
dürfnisbefriedigung — die Organi-
sationen der Arbeiterbewegung
7. Das Ende — Selbstvergessenheit des Re-
formsozialismus
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1. VON NIEDERLAGE ZU NIEDERLA-
GE — DAS DILEMMA GESAMT-
WIRTSCHAFTLICHER WIRT-
SCHAFTSREFORMVERSUCHE
Die Geschichte sozialreformerisch moti-
vierter, gesamtwirtschaftlicher Reformver-
suche ist eine Geschichte von Niederla-
gen. Die Gefahr, programmlos überrascht
zu werden — wie 1918 in Deutschland
und Österreich — ist zweifellos überwun-
den. Doch der rein quantitative Umfang
von Wirtschaftsreformprogrammen bürgt
allein nicht für Erfola1. Und so gerieten
Fuchsenfeldhof, erbaut 1922/24 (1085 Wohnungen)
die Mehrzahl der zentralstaatlichen Re-
formversuche eher zur Belastung ihrer po-
litischen Träger. Die von der SPD 1919
durchgesetzte „industrielle Selbstverwal-
tung” in der Kohle-, Kali- und Eisenin-
dustrie wurde zum Fiasko2, Das noch
entschieden eingriffstiefere Nationalisie-
rungsprogramm der Labour Party nach
1945 beendete bald diese historisch selte-
ne Chance einer Alleinregierung einer Ar-
beiterpartei. Dies sind nur zwei Beispiele
einer längeren Kette von Frankreich 1936
bis Portugal 1974, die alle eine eigentüm-
liche ‚Ohnmacht des Sieges’’ (Weissel)
indizieren, die in seltsamen Kontrast
zum verbreiteten Bewältigungsoptimis-
mus steht, wie er sich noch in jüngsten
Programmen (Programme Commun
1972) und in aktueller reformpolitischer
Literatur 3 findet.
Diese Machbarkeitsillusionen sind um-
so überraschender, bedenkt man, daß die
meisten Reformregierungen nicht einmal
viel schwächere Eingriffe überstanden
haben. Abläufe wie die folgenden sind
typisch:
® Erhöhung der unteren Einkommen,
Verkürzung der Arbeitszeit, Demokra-
tisierung und Humanisierung am Arbeits-
platz.
® Sollen diese reforminduzierten Leistun-
gen ihren originären Zielgruppen zu-
gute kommen, müßte eine Überwälzung
der dadurch in den Unternehmen entstan-
denen Kosten auf die Preise — und damit
auf die Konsumenten — verhindert wer-
den. Also Preiskontrolle der wichtigsten
Produktarten.
® Daraus folgt eine Gewinnkompression
in der Privatwirtschaft, die ihre In-
vestitionstätigkeit drosselt; ihr fehlen auch
die Selbstfinanzierungsmöglichkeiten.
Dem „Investitionsstreik” folgt eine Krise
der Investitionsgüterindustrie, Rückgang
des Volkseinkommens und Arbeitslosig-
keit.
® Auf der anderen Seite werden die er-
höhten Einnahmen der unteren Ein-
kommensgruppen für Konsumausgaben
verwandt: Steigerung der Konsumquote
— Sinken der Sparquote. Zunahme der
Konsumgüterimporte, da einheimische
Industrie wegen des Preisstops und der po-
litischen Unsicherheit nicht expandiert;
es auch so schnell nicht könnte.
® Die spätestens jetzt passiv werdende
Zahlungsbilanz frißt — falls vorhan-
den — die Devisenreserven auf und macht
schließlich von ausländischen Krediten
abhängig.
® Die Umschichtung der Nachfrage ge-
koppelt mit der Preiskontrolle führt
zur zunehmenden Verweigerung des Pri-
vatkapitals (Arbeitslosigkeit und Kapital-
Flucht) und erzwingt weitergehende Re-
formeingriffe (öffentliche Kontrolle, So-
zialisierung).
e Vielfach wird aber — da die meisten
Reformregierungen nur über eine außer-
ordentlich knappe und prekäre Mehrheit
verfügen — eher der Weg der Lockerung
der Preiskontrolle und der Wiederstimu-
lierung der Privatwirtschaft gegangen,
was — zusammen mit dem Wertverfall
der Währung (Kapitalflucht, passive
Zahlungsbilanz) und der damit impor-
tierten Inflation — zum Explodieren des
aufgestauten Preisdruckes führt: ga/oppie-
rende Inflation.
® Schließlich gehen durch die unentrinn-.