zifizieren, um die objektiven Bedingungen
alternativer Politik genauer bestimmen
zu können.
Dieses Defizit erklärt u.E. die höchst
überraschende Einschätzung, daß die ge-
genwärtig propagierten Konzepte zur
Stadterneuerung in der Tat eine gene-
relle Trendumkehr bewirken könnten:
vom „Auffangbecken marginalisierter
Gruppen” zur „Verbürgerlichung der In-
nenstädte”’ (480/478) — eine gerade für
„kritische”” Soziologen erstaunliche Be-
wertung der Fähigkeit staatlicher Politik
zur Steuerung gesamtgesellschaftlicher
Prozesse unter gegenwärtigen Bedingun-
gen.
3. Etwas leicht machen es sich u.E. die
Autoren schließlich auch mit der For-
mulierung einer alternativen Entwick-
lungspolitik, die in der Forderung. mün-
det, „‚in die entgegengesetzte Richtung”
umzuverteilen: „„Planungsmaßnahmen
und verfügbare Mittel müßten auf die-
jenigen konzentriert werden, die einer
Verbesserung ihrer Wohnverhältnisse am
meisten bedürfen.” (480)
Was hier als alternative Politik ausge-
geben wird, erschöpft sich — wenn wir
es richtig sehen — im wesentlichen in
der Formulierung eines moralischen Po-
stulats, dem man den Respekt sicher
nicht versagen kann. We aber eine sol-
che Umverteilung zu erreichen ist, wel-
che Gruppen diese Forderungen tragen
und durchsetzen sollen, bleibt ebenso
im Dunklen wie die für politische Praxis
nicht unerhebliche Frage, an welchen
Grenzen dieser Gesellschaft die „„Rand-
ständigkeit’’ und „‚Einkommensschwä-
che” von Gruppen festgestellt werden
sollen, von wem und mit welchen Fol-
gen hier schon im Sprachgebrauch Aus-
grenzungen vorgenommen werden.
Eine alternative Politik, die mehr als
ein moralischer Appell zu sein bean-
sprucht, hätte u.E. genau diese Fragen
ins Zentrum zu stellen, hätte vor allem
die möglichen politischen Träger der
Alternativen und mögliche Formen der
Bündnispolitik aus einer sozialstrukturel:
len Analyse genauer zu bestimmen, statt
bloß abstrakt auf das „Verhältnis zwi-
schen traditioneller Arbeiterbewegung
und den deklassierten Gruppen” hinzu-
weisen (479).
Häußermann und Siebel haben einem
weit verbreiteten Unbehagen an der ge-
genwärtigen Politik der Stadterneuerung
Ausdruck gegeben. Darin liegt zweifellos
ein wichtiges Verdienst. Es bleibt zu hof-
fen, daß die notwendige Kritik an ihrer
Situationsbeschreibung, Problemanalyse
und Alternativvorschlägen den Anspruch,
der solehe wissenschaftlich-politischen
Analysen motiviert, schrittweise in einer
theoretisch wie politisch verbindlicheren
Weise einlöst.
Rezensionen: Neues zu Bologna
u
Harald Bodenschatz
STÄDTISCHE BODENREFORM IN ITALIEN
Die Auseinandersetzung um das Bodenrecht und die Bologneser Kommunalplanung
Campus Verlag 1979, DM 36,—
Tilman Harlander
REGIONALE ENTWICKLUNGSPOLITIK IN DER EMILIA ROMAGNA
Campus Verlag 1979, DM 36,—
Im Zusammenhang der Besprechung des
Sammelbandes von Mayer/Roth/Brandes
„Stadtkrise und soziale Bewegungen”
(ARCH+ 43/44) wies ich auf den eher
zufälligen und sporadischen Charakter
der Rezeption ausländischer Erfahrungen
im Bereich der Urbanistik und Kommu-
nalpolitik hin. Nunmehr liegen mit den
Bänden von H. Bodenschatz und T. Har-
lander zwei Arbeiten vor, die auf der Ba-
sis eines systematischen Quellenstudiums
einen der wichtigsten und meistdiskutier-
ten Ansätze in den letzten Jahren, die
Palnungspolitik der PCI in Bologna und
in der diese Stadt umgebende Region
Emilia-Romagna, diskutieren und einzu-
schätzen suchen. (Eine dritte Arbeit von
L Jax, die sich schwerpunktmäßig mit
der Frage nach der basisdemokratischen
Fundierung dieser Politik und damit vor
allem mit der Entwicklung der Quartier-
demokratie und ihren Institutionen in
Bologna befaßt, wird in absehbarer Zeit
erscheinen.)
Methodisch sind beide (allerdings auf-
grund der Materialfülle nicht durchweg
leicht zu lesenden) Arbeiten ähnlich an-
gelegt: Durch die historisch angelegte
Analyse der jeweiligen Rahmenbedingun-
gen (nationaler Kontext, Gesetzgebu ng
etc.) sowie die enge Verbindung von öko-
nomischen, politischen und sozialen Fak-
toren wird versucht, aus der gerade im
Fall Bologna allzu häufig geübten Steri-
lität schlichter Zustimmungs- oder Ab-
lehnungslogik einen Ausweg zu finden.
Die Arbeit von H. Bodenschatz umfaßt
zwei größere Themenkomplexe, die be-
reits im Untertitel angesprochen werden:
® die politische Auseinandersetzung um
das italienische Städtebaurecht seit dem
11. Weltkrieg und *
® die Entwicklung und widersprüchliche
Durchsetzung eines sozialorientierten
Planungskonzeptes am Beispiel der
Stadt Bologna.
Die Zusammenfassung dieser beiden The-
menschwerpunkte verweist auf einen er-
weiterten Begriff von „städtischer Boden-
reform’: zum einen läßt sich der gesell-
schaftliche Konflikt um die gesetzliche
Verankerung neuer Planungsinstrumente
nicht ohne die genaue Kenntnis der fort-
geschrittensten Praktiken der Anwendung
bestehender Instrumente diskutieren, zum
anderen bleiben sozialorientierte Stadt-
planungskonzepte wie das von Bologna
nur allzuleicht bestaunte, aber unbegriffe-
ne „Modelle’”’, wenn ihr nationaler Kon-
text im Dunkeln bleibt. Städtsiche Bo-
denreform ist in diesem Sinne nicht nur
und nicht in erster Linie eine Reform des
Planungsinstrumentariums, sondern vor
allem die praktische Konzeptionierung
eines „urbanistischen Leitbildes”’, „,also
die Klärung der Frage, wofür das verbes-
serte Instrumentarium eingesetzt werden
soll, sowie die Durchsetzung dieses Leit-
bildes in der planungspolitischen Praxis”.
Im Rahmen der kritischen Analyse und
Dokumentation des italienischen Städte-
bau- und Bodenrechts, das in der BRD
bisher noch kaum rezipiert worden ist,
interessiert sich Bodenschatz in politischer
Hinsicht insbesondere für die Kontroverse
um das „‚legge sulla casa’ von 1971: Diese
Reform war nicht nur — wie auch in
Italien sonst üblich — Gegenstand der Aus-
einandersetzung von Parteipolitikern, von
„Experten”, sondern auch „zentrales
Kampffeld der Arbeiterbewegung”. Dies
bedingte eine besondere Komplexität des
Konfliktes, der von der Taktik der Gewerk
schaften wesentlich mitbestimmt wurde
und auch eine radikale Revision der tra-
ditionellen Rolle der Wissenschaft (des
urbanistischen Fachverbandes) implizierte.
Eine gewisse Entpolitisierung der Städte-
baureform zeigt sich jedoch — wie Bo-
denschatz darstellt — Mitte der 70er Jahre.
Mit der Problematisierung der 1978 ver-
abschiedeten Mietgesetze sowie der Dar-
stellung des Gesetzes über die Neuord-
nung des Eigentumsrechts am Boden von
1977 wird in der Arbeit zugleich immer
auch die Frage nach den Ergebnissen
der von der PCI verfochtenen Politik
des „historischen Kompromisses’” auf
dem Gebiete der Urbanistik behandelt.
Mit dieser Arbeit über Bedingungen,
Möglichkeiten und Grenzen kommuna-
ler (und interkommunaler) Reformpoli-
tik im urbanistischen wie ökonomischen
Bereich wird u. E. die bislang dominie-
rende traditionelle Bolognarezeption in
drei wichtigen Punkten erweitert oder
auch korrigiert:
Erstens wird der konfliktuelle Cha-
rakter der Planungspraxis herausgearbei-
tet. So erscheint z.B. der bekannte Plan
für den sozialen Wohnungsbau im histo-
rischen Zentrum in einem veränderten
Licht: nicht mehr als wissenschaftlich
brillantes Produkt der Planungsabteilung
der Kommune, sondern als kompromiß-
haftes Ergebnis eines in Italien einmali-
gen urbanistischen Konfliktes. Es ist ein
Ergebnis, das den Verzicht auf die beab-
sichtigte Enteignung der zu sanierenden
Gebäude und Flächen und auf die Selbst
verwaltung der sanierten Komplexe im
Rahmen von Mietergenossenschaften be-
inhaltet.
Zweitens wird auch die Krise der Re-
formpolitik nach 1975 behandelt, die
sich in einer Neuordnung der kommuna-
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