Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

zifizieren, um die objektiven Bedingungen 
alternativer Politik genauer bestimmen 
zu können. 
Dieses Defizit erklärt u.E. die höchst 
überraschende Einschätzung, daß die ge- 
genwärtig propagierten Konzepte zur 
Stadterneuerung in der Tat eine gene- 
relle Trendumkehr bewirken könnten: 
vom „Auffangbecken marginalisierter 
Gruppen” zur „Verbürgerlichung der In- 
nenstädte”’ (480/478) — eine gerade für 
„kritische”” Soziologen erstaunliche Be- 
wertung der Fähigkeit staatlicher Politik 
zur Steuerung gesamtgesellschaftlicher 
Prozesse unter gegenwärtigen Bedingun- 
gen. 
3. Etwas leicht machen es sich u.E. die 
Autoren schließlich auch mit der For- 
mulierung einer alternativen Entwick- 
lungspolitik, die in der Forderung. mün- 
det, „‚in die entgegengesetzte Richtung” 
umzuverteilen: „„Planungsmaßnahmen 
und verfügbare Mittel müßten auf die- 
jenigen konzentriert werden, die einer 
Verbesserung ihrer Wohnverhältnisse am 
meisten bedürfen.” (480) 
Was hier als alternative Politik ausge- 
geben wird, erschöpft sich — wenn wir 
es richtig sehen — im wesentlichen in 
der Formulierung eines moralischen Po- 
stulats, dem man den Respekt sicher 
nicht versagen kann. We aber eine sol- 
che Umverteilung zu erreichen ist, wel- 
che Gruppen diese Forderungen tragen 
und durchsetzen sollen, bleibt ebenso 
im Dunklen wie die für politische Praxis 
nicht unerhebliche Frage, an welchen 
Grenzen dieser Gesellschaft die „„Rand- 
ständigkeit’’ und „‚Einkommensschwä- 
che” von Gruppen festgestellt werden 
sollen, von wem und mit welchen Fol- 
gen hier schon im Sprachgebrauch Aus- 
grenzungen vorgenommen werden. 
Eine alternative Politik, die mehr als 
ein moralischer Appell zu sein bean- 
sprucht, hätte u.E. genau diese Fragen 
ins Zentrum zu stellen, hätte vor allem 
die möglichen politischen Träger der 
Alternativen und mögliche Formen der 
Bündnispolitik aus einer sozialstrukturel: 
len Analyse genauer zu bestimmen, statt 
bloß abstrakt auf das „Verhältnis zwi- 
schen traditioneller Arbeiterbewegung 
und den deklassierten Gruppen” hinzu- 
weisen (479). 
Häußermann und Siebel haben einem 
weit verbreiteten Unbehagen an der ge- 
genwärtigen Politik der Stadterneuerung 
Ausdruck gegeben. Darin liegt zweifellos 
ein wichtiges Verdienst. Es bleibt zu hof- 
fen, daß die notwendige Kritik an ihrer 
Situationsbeschreibung, Problemanalyse 
und Alternativvorschlägen den Anspruch, 
der solehe wissenschaftlich-politischen 
Analysen motiviert, schrittweise in einer 
theoretisch wie politisch verbindlicheren 
Weise einlöst. 
Rezensionen: Neues zu Bologna 
u 
Harald Bodenschatz 
STÄDTISCHE BODENREFORM IN ITALIEN 
Die Auseinandersetzung um das Bodenrecht und die Bologneser Kommunalplanung 
Campus Verlag 1979, DM 36,— 
Tilman Harlander 
REGIONALE ENTWICKLUNGSPOLITIK IN DER EMILIA ROMAGNA 
Campus Verlag 1979, DM 36,— 
Im Zusammenhang der Besprechung des 
Sammelbandes von Mayer/Roth/Brandes 
„Stadtkrise und soziale Bewegungen” 
(ARCH+ 43/44) wies ich auf den eher 
zufälligen und sporadischen Charakter 
der Rezeption ausländischer Erfahrungen 
im Bereich der Urbanistik und Kommu- 
nalpolitik hin. Nunmehr liegen mit den 
Bänden von H. Bodenschatz und T. Har- 
lander zwei Arbeiten vor, die auf der Ba- 
sis eines systematischen Quellenstudiums 
einen der wichtigsten und meistdiskutier- 
ten Ansätze in den letzten Jahren, die 
Palnungspolitik der PCI in Bologna und 
in der diese Stadt umgebende Region 
Emilia-Romagna, diskutieren und einzu- 
schätzen suchen. (Eine dritte Arbeit von 
L Jax, die sich schwerpunktmäßig mit 
der Frage nach der basisdemokratischen 
Fundierung dieser Politik und damit vor 
allem mit der Entwicklung der Quartier- 
demokratie und ihren Institutionen in 
Bologna befaßt, wird in absehbarer Zeit 
erscheinen.) 
Methodisch sind beide (allerdings auf- 
grund der Materialfülle nicht durchweg 
leicht zu lesenden) Arbeiten ähnlich an- 
gelegt: Durch die historisch angelegte 
Analyse der jeweiligen Rahmenbedingun- 
gen (nationaler Kontext, Gesetzgebu ng 
etc.) sowie die enge Verbindung von öko- 
nomischen, politischen und sozialen Fak- 
toren wird versucht, aus der gerade im 
Fall Bologna allzu häufig geübten Steri- 
lität schlichter Zustimmungs- oder Ab- 
lehnungslogik einen Ausweg zu finden. 
Die Arbeit von H. Bodenschatz umfaßt 
zwei größere Themenkomplexe, die be- 
reits im Untertitel angesprochen werden: 
® die politische Auseinandersetzung um 
das italienische Städtebaurecht seit dem 
11. Weltkrieg und * 
® die Entwicklung und widersprüchliche 
Durchsetzung eines sozialorientierten 
Planungskonzeptes am Beispiel der 
Stadt Bologna. 
Die Zusammenfassung dieser beiden The- 
menschwerpunkte verweist auf einen er- 
weiterten Begriff von „städtischer Boden- 
reform’: zum einen läßt sich der gesell- 
schaftliche Konflikt um die gesetzliche 
Verankerung neuer Planungsinstrumente 
nicht ohne die genaue Kenntnis der fort- 
geschrittensten Praktiken der Anwendung 
bestehender Instrumente diskutieren, zum 
anderen bleiben sozialorientierte Stadt- 
planungskonzepte wie das von Bologna 
nur allzuleicht bestaunte, aber unbegriffe- 
ne „Modelle’”’, wenn ihr nationaler Kon- 
text im Dunkeln bleibt. Städtsiche Bo- 
denreform ist in diesem Sinne nicht nur 
und nicht in erster Linie eine Reform des 
Planungsinstrumentariums, sondern vor 
allem die praktische Konzeptionierung 
eines „urbanistischen Leitbildes”’, „,also 
die Klärung der Frage, wofür das verbes- 
serte Instrumentarium eingesetzt werden 
soll, sowie die Durchsetzung dieses Leit- 
bildes in der planungspolitischen Praxis”. 
Im Rahmen der kritischen Analyse und 
Dokumentation des italienischen Städte- 
bau- und Bodenrechts, das in der BRD 
bisher noch kaum rezipiert worden ist, 
interessiert sich Bodenschatz in politischer 
Hinsicht insbesondere für die Kontroverse 
um das „‚legge sulla casa’ von 1971: Diese 
Reform war nicht nur — wie auch in 
Italien sonst üblich — Gegenstand der Aus- 
einandersetzung von Parteipolitikern, von 
„Experten”, sondern auch „zentrales 
Kampffeld der Arbeiterbewegung”. Dies 
bedingte eine besondere Komplexität des 
Konfliktes, der von der Taktik der Gewerk 
schaften wesentlich mitbestimmt wurde 
und auch eine radikale Revision der tra- 
ditionellen Rolle der Wissenschaft (des 
urbanistischen Fachverbandes) implizierte. 
Eine gewisse Entpolitisierung der Städte- 
baureform zeigt sich jedoch — wie Bo- 
denschatz darstellt — Mitte der 70er Jahre. 
Mit der Problematisierung der 1978 ver- 
abschiedeten Mietgesetze sowie der Dar- 
stellung des Gesetzes über die Neuord- 
nung des Eigentumsrechts am Boden von 
1977 wird in der Arbeit zugleich immer 
auch die Frage nach den Ergebnissen 
der von der PCI verfochtenen Politik 
des „historischen Kompromisses’” auf 
dem Gebiete der Urbanistik behandelt. 
Mit dieser Arbeit über Bedingungen, 
Möglichkeiten und Grenzen kommuna- 
ler (und interkommunaler) Reformpoli- 
tik im urbanistischen wie ökonomischen 
Bereich wird u. E. die bislang dominie- 
rende traditionelle Bolognarezeption in 
drei wichtigen Punkten erweitert oder 
auch korrigiert: 
Erstens wird der konfliktuelle Cha- 
rakter der Planungspraxis herausgearbei- 
tet. So erscheint z.B. der bekannte Plan 
für den sozialen Wohnungsbau im histo- 
rischen Zentrum in einem veränderten 
Licht: nicht mehr als wissenschaftlich 
brillantes Produkt der Planungsabteilung 
der Kommune, sondern als kompromiß- 
haftes Ergebnis eines in Italien einmali- 
gen urbanistischen Konfliktes. Es ist ein 
Ergebnis, das den Verzicht auf die beab- 
sichtigte Enteignung der zu sanierenden 
Gebäude und Flächen und auf die Selbst 
verwaltung der sanierten Komplexe im 
Rahmen von Mietergenossenschaften be- 
inhaltet. 
Zweitens wird auch die Krise der Re- 
formpolitik nach 1975 behandelt, die 
sich in einer Neuordnung der kommuna- 
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