Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

Schwerpunkt: 
Editorial 
Dieser Schwerpunkt stellt kein abgegrenztes Thema vor. In den vorangegangenen 
Diskussionen mit der ARCH*-Redaktion und einer größeren Anzahl potentieller 
Autoren gab es zwei charakteristische Reaktionen: kopfschüttelndes, oft sehr 
wohlwollendes Unverständnis, und problemloses Sichdaraufeinlassen. In diesen Re- 
aktionen zeigte sich also, was mit dem Schwerpunkttitel gemeint ist: eine bestimm- 
te Art und Weise, an Architektur heranzugehen. Also keine neue These, keine neue 
Formel, was Architektur sei und wie man heute welche machen könne, sondern 
ein Verhalten eher, ein Vorgehen. Daß sich viele darauf problemlos einlassen konn 
ten, hatte einfach den Grund, daß sie selber ähnlich vorgingen. Aus dieser Erfah- 
rung, Leute zu treffen, die ähnlich denken und arbeiten, ist dieser Schwerpunkt 
hervorgegangen. Einige von denen, die dazu beigetragen haben, sind dabei, sich 
zu einer Arbeitsgruppe zusammenzuschließen, die sich damit nolens volens hier 
vorstellt und gleichzeitig damit eine Ebene des Weiterdenkens, der Forschung und 
des Experimentierens vorschlägt, die wir in der nächsten Zeit festhalten und kon- 
kretisieren wollen. 
Unser Interesse ist es dabei, quer zu den vorliegenden Einteilungen der archi- 
tektonischen Disziplinen das voranzutreiben, was das politische Grundthema ist: 
das Verhältnis von Technologie und Subjektivität — nicht an sich, sondern heute 
in einer Krise sowohl der Großtechnik wie der Lebensformen der von der Groß- 
technik abhängigen Menschen in den hochindustrialisierten Ländern. Technolo- 
gie und Ästhetik sind Extrempunkte eines Spannungsverhältnisses, das alle archi- 
tektonischen Disziplinen durchläuft. Zugleich liegen hier, an diesen Extrempunk- 
ten, auch die wichtigsten Angriffspunkte von Baupolitik und Bauwirtschaft, aber 
auch die Unsicherheiten des Widerstandes dagegen. Daß wir das Thema Technolo- 
gie gerade jetzt für zentral halten, richtet sich sowohl gegen die ästhetische Verball 
hornung der Bautechnologie aufgrund der heutigen Marktzwänge, als auch gegen 
eine politisch ungeklärte, zwischen rechts und links changierende Flucht in die 
Idee einer idyllischen Kleintechnologie. Daß wir gleichzeitig mit gleichem Gewicht 
(trotz der ästhetischen Konjunktur) die ästhetische Frage stellen, richtet sich eben: 
falls nach diesen zwei Seiten — gegen die Substituierung der ästhetischen Bedürf- 
nisse der Menschen durch eine von oben her angebotene vorgefertigte Formalästhe- 
tik, aber auch gegen die uns subjektiv viel nähere, der Technologie-Idylle entspre- 
chenden Vorstellung, das, was heute an neuen Lebensformen lebbar ist, sei bereits 
die neue gesellschaftliche Wirklichkeit und nicht ästhetische Manifestation unseres 
Widerstandes gegen die Vorformulierung gebauter Lebensformen von oben. 
Für Versuche, Vorstöße, Diskussionen in dieser Richtung soll unsere Arbeits- 
gruppe „Bautechnologie und Lebensverhältnisse” ein Treffpunkt sein, wo unter- 
schiedliche Arbeitsbereiche, Interessen, Spezialisierungen, Erfahrungsfelder zusam- 
menstoßen — ein Versuch, der nicht an einer Institution, an Geld und Gelegenhei- 
ten hängt, sondern daran, wie lebendig, nachhaltig und freundschaftlich sich Be- 
ziehungen zwischen den einzelnen interessierten Leuten fortsetzen oder neu her- 
steilen. Die Gruppe ist offen. Damit es eine feste Adresse gibt — und natürlich 
auch in Rücksicht auf den Berliner Lokalbezug —, damit also nach außen ein Mini- 
mum an Kontinuität und Öffentlichkeit da ist, schließen wir uns einer bestehen- 
den Adresse an, dem Institut für Kultur und Ästhetik (IKAe), das mit der Zeit- 
schrift und dem Verlag Ästhetik und Kommunikation zusammenhängt und zu 
dem sich auch einige andere lockere oder festere Arbeitskreise zugehörig fühlen. 
Von den einzelnen Aufsätzen des Schwerpunktes verdanken sich selbstverständ 
lich keineswegs alle schon einer gewissen Kooperation in der angedeuteten Rich- 
tung. Insbesondere der Beitrag von HALFMANN und ZILLICH deutet eine andere 
Linie an, die, George BATAILLE folgend, im Nachschein des Zerstörten die grö- 
ßere Hoffnung sieht als in einer vorangetriebenen Dialektik von Technologie und 
Subjektivität, die aber als Widerspruch gegen den umstandslos verdrängenden 
Ästhetizismus der Formalisten oder gegen die ästhetische Abwesenheit bloßer 
linker Planungsrationalität eine Herausforderung darstellt. Um so mehr spiegelt 
sich unsere Herangehensweise in dem unabhängig entstandenen ethnologischen 
Schwerpunkt. der den zweiten Hauptteil des Heftes ausmacht. 
Arbeitsgruppe Bautechnologie und Lebensverhältnisse im IKAe 
(Michael Hellgardt, Rainer Graff, Andreas Reidemeister, Dieter Hoffmann- 
Axthelm) 
Vorbemerkung 
Zu schreiben, vor allem diese Art Artikel, 
ist insofern eine heikle Sache, weil da- 
durch die Wirklichkeit in Argumente zer- 
stückelt wird, die, wenn sie schon nicht 
in die falsche Richtung weisen, nur im 
Rahmen der Diskussion, aus der sie her- 
vorgegangen sind, ihren Sinn bekommen. 
Der eine schreibt auf, was der andere 
denkt — das ist gut; denn in der solidari- 
schen Diskussion soll man sich nicht, 
wie es auch Brecht feststellte, von Fragen 
des geistigen Eigentums beirren lassen. 
Problematischer wird es, wenn der eine 
schreibt, was der andere nicht wagt, 
kann, tut — auch weil er es noch für un- 
ausgegoren hält. Im übrigen ist dieser 
Artikel Teil einer Diskussion, die ich mit 
Dieter Hoffman-Axthelm und Andreas 
Reidermeister führe, u.a. anläßlich dieses 
Heftes. Wir sind dabei von der Frage aus: 
gegangen, was läßt sich praktisch unter- 
nehmen, um das Verhältnis zu Raum 
und Dingen, das täglich neu zer- 
stört wird, wieder herzustellen. Dieter 
Hoffman-Axthelm schickte ich vor eini- 
gen Monaten ein Konzept, das, wie sol- 
che es oft an sich haben, zugleich verspre- 
chend und konfus war. Er hat meine Un- 
klarheiten nicht zum Anlaß genommen, 
mich abzukanzeln, sondern mir zu hel- 
fen, einige wesentliche Dinge herauszuar- 
beiten. Sowas braucht man zum Arbeiten. 
|. ENTWURF ALS FETISCH 
Am Berufsfeld auch des Architekten hat 
sich einiges verändert, was nicht mehr 
rückgängig gemacht werden kann. Auf 
der einen Seite ist er als eine Art Polizist 
und Komplize des Kapitals erkannt: 
Hüter der Staatsraison, die natürlich im 
Lauf der Geschichte auch architektoni- 
sche Formen annimmt, und Warenästhet 
auf seine Weise (wobei auch die Warenästhe- 
tik je nach den sich ändernden Verwer- 
tungsbedingungen des Kapitals ihr Gesicht 
ändert — manchmal präformiert der Ar- 
chitekt sogar politische und ökonomische 
Veränderung ästhetisch). 
Auf der anderen Seite hat sich der 
Architekt auf die Seite der Betroffenen 
geschlagen. Ebenso wie Teile anderer Be- 
rufe auch: Ärzte, Juristen, Sozialarbeiter, 
Lehrer, vielleicht auch einige Ingenieure 
usw. Zum großen Teil werden diese neuen 
Berufsleistungen unentgeltlich — sogar 
ohne den Entgelt des möglichen späteren 
Ruhms — ausgeübt, zum Teil sind sie in- 
zwischen unentbehrlich geworden, es 
mußten gewisse Mittel dafür freigemacht 
werden. Worauf ich mich nun konzentrie- 
ren will, ist etwas, was allen diesen neuen
	        
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