Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

Archäologischer Fahrstuhl (Zeitma- 
schine) 
Im Inneren des Säulenschaftes, unter 
dem Cafe, führt ein Fahrstuhl in einem 
gläsernen Schacht durch die einzelnen 
Schichten der Müllablagerungen bis hi- 
nab zur Endmoräne, beginnend im Jah- 
re 1967 und endend 1950. Ein TV-ge- 
schnittenes Fenster (oder ein TV-Moni 
tor) gewährt einen realen Eindruck (o- 
der eine Illusion) des Zurückgleitens in 
die Geschichte des Wiederaufbaus. 
tell einer riesigen dorischen Säule ist frei- 
gelegt worden. Fragen sind offen über 
den Standort der Säule, den Boden, auf 
dem sie steht, die Dimension der Säule 
und der An/age, deren Teil sie möglicher 
weise war, die Gese//schaft , die sie her- 
vorgebracht hat, die Natur und Konsi- 
stenz der Ab/agerungen, durch die sie ver 
schüttet wurde. Kommentar von Bewoh- 
nern: „Ist doch ganz klar. Die Berliner 
haben ihre Siegessäule, und wir haben 
dann unsere Lübarser Säule1” 
DAS KONZEPT: 
Funktional: Das Restaurant ist als Rund- 
bau ausgebildet. Die Säulen-Kanneluren 
sind mit Fenstern nach allen Seiten hin 
durchbrochen und lassen den Besuchern 
die Wahl der Aussicht. 
In der Mitte des Restaurants Tresen, 
Garderobe, WC, darüber für stark frequen- 
tierte Zeiten eine Galerie. Wirtschafts- und © 
Personalräume im Untergeschoß. Große 
Freiterrassen sind nach SW orientiert. Die 
Kopfplatte der Säule (Abakus) ist als 
Aussichtsplattform ausgebildet, die über 
eine Außentreppe erreichbar ist. 8 m hoch 
über dem Gelände, gestattet sie einen 
herrlichen Rundblick über Fließ-Tal und 
Spree-Tal. Im Inneren der Säule ist ein 
Schacht (mit Treppen oder Fahrstuhl) 
aus Plexiglas vorgesehen, der bis zur End- © 
moräne herabführt und die einzelnen 
Schichten der Müllablagerung freilegt. 
Symbolisch: Die Aura der Säule ver- 
weist auf einen fiktiven Mythos, durch 
dessen Entschlüsselung (Deutung) die rea- 
len Bedeutungsebenen des Ortes sichtbar 
werden: 
o Eine dorische Säule — erste architekto- 
„ 
“ische Ausprägung der klassischen 
abendländischen Kultur und zugleich 
deren Symbol — ist plaziert im kon- 
zeptuell-geographischen Schnittpunkt 
zwischen Alt- und Neu-Berlin, Natur 
und Kultur, West und Ost, ... 
Sie steht auf uraltem geologischem 
„Müll’’: einem Findlingsfeld als Ge- 
röllablagerung der Endmoräne. 
Ihre Dimension löst surrealistische 
Assoziationen aus. Historische Vor- 
läufer sind: Ledoux (Nachfolge) — 
Säulen-Fuß-Ruine als Wohnhaus 
(um 1800). Adolf LOOS, Dorische 
Säule als Wettbewerbsentwurf für das 
Hochhaus der Chicago Tribune, 1928, 
als Fragment steht sie für SCHINKELs 
klassizistisch-metropolitanes Berlin und 
für dessen Zerstörung. 
Kultur-Ruinen-Stätte vom Abfall der 
Nachkriegskultur verschüttet: Symbol 
der Stadtkultur erstarrt zur Müll-Säule. 
Heiratsstempel der Frisch-Vermählten 
der neuen Gesellschaft. 
Berlin-Punk: Geo-Müll, Kultur-Müll, 
Wohlstands-Müll, Ideologie-Müll (Mauer) 
Architekten-Müll (MV) — Heimat Ka- 
putt? Berlin-Schizzo! 
JURY-ENTSCHEIDUNG: 
Die Jury glaubt fest an das, was der Name 
Gipfelplateau assoziieren soll. Und folge- 
richtig fügt man unserem Symbolzeichen 
eine aggressive Wertigkeit zu, indem man 
die „Geste, eine Säule umgekehrt, mit 
dem Fuß nach oben (!), in einen Berg 
zu stecken, zutheatralisch” findet. Daß 
man sich dabei eines peinlichen Tricks be- 
dient und den von uns so konzipierten 
dorischen Säulenkopf (die Assoziation 
der Zuschüttung der Säule war schon be- 
absichtigt) als Säulenfuß bezeichnet (die- 
se Unterscheidung sollte wenigstens den 
Leuten vom Bau geläufig sein), wird ver- 
ständlich, da durch die Umkehrung un- 
seres Symbolbildes zu einem der aggres- 
siven Penetration jeder die Hände schüt- 
zend vor die von uns symbolisch so be- 
drohte Natur halten muß. 
Die Entscheidung fällt zugunsten 
einer konventionell guten Architektur, 
die dem gewollten Bild von gewachsener 
Natur entspricht und sich der Bergkuppe 
unauffällig einfügt, ohne auch nur an- 
nähernd auf die power des Ortes zu rea- 
gieren.
	        

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