Dieter Hoffmann-Axthelm
Bauen: Technologie und ästhetische Praxis
„Hausbau”
Es gibt im Deutschen kein Wort, das in
neutraler Weise die Tatsache ausdrücken
könnte, daß jede gesellschaftliche Praxis
eine räumliche Hülle braucht, und unter
Umständen eine sehr dicke, die gegen
Wind und Wetter gut ist. Behausung —
wie bedeutungsvoll steht das dem angel-
sächsischen shelter gegenüber — ein Ur-
wort voll von Untertönen aus Heimweh,
Literatur, kleinbürgerlichen Sehnsüchten
Dann schon lieber, um ins Gespräch zu
kommen, gleich das Wort Hausbau, der
gezeichnete von Tessenow, das Haus,
das man mit Rilke sich nicht mehr baut,
einer der dichtesten deutschen Sehn-
suchtszusammenhänge. Aber die Wirk-
lichkeit ist da weiter als die Sprache.
Gerade die Hausbausehnsucht ist zur
entsetzlichen, Menschen und Landschaft
mordenden Realität geworden, dank
Wüstenrot und Schwäbisch-Hall, und
genau hier kann und vielleicht muß
man ansetzen, um das allgemeinste zu
bezeichnen, die neutrale Schale. Von den
unerfüllten deutschen Sehnsüchten, die
der Faschismus so zielsicher ausgebeu-
tet hat, trennt uns ja eben dies wesent-
liche neue Moment der Realisierung:
daß (für gut 40 % der Bevölkerung) der
alte Wunsch nach dem besonderen,
meineigenen Haus (klein, heimelig,
grün, Rosen und ein Zaun darum) plat-
terdings erfüllt ist. In dem, was da ist,
gebaut und besessen, ertrinkt jede
Sehnsucht, jeder altdeutsche Unterton.
Nur die Sprache bewahrt das noch — die
Wirklichkeit ist weiter. Die reihenweisen
Einfamilienhäuser sind eintönig, steril,
sauber, all das gewiß, aber vor allem
sind sie da.
Dies eine Moment, daß sie einfach da
sind, irgendwie und irgendwo hingebaut,
ist nun der Ausgangspunkt einer neuen
Reihe von Widersprüchen, Wünschen und
Phantasien. Wenn angesichts dieser ge-
bauten Realität die alten Sehnsüchte vom
Hausbau gegenstandslos werden, dann
müssen, offen oder versteckt, neue Wün-
sche da sein, die sich an dieses sichtbare
Schema Haus mit seinen herkömmlichen
architektonischen Erscheinungsweisen
nicht mehr klammern. Anders gesagt: der
architektonische Gegenstand löst sich
auf; er verschwindet in der Abstraktheit
der gebauten Häuser, deren wesentliche
Tugend in den Augen ihrer Besitzer und
Bewohner die ist, das sie da sind und dies
gewünschte Objekt „eigenes Heim’” reprä-
sentierren. Sie lassen nichts offen, was
den Wunsch nach Haus/Shelter angeht.
Alles, was sich an weiteren Wünschen an-
sammelt, wird demgegenüber zum Son-
derangebot, zur Ansammlung attrakti-
ver „‚Extras’’. Schmiedeeiserne Gitter,
italienische Fliesen, verkupferte Türgrif-
fe, ornamentiertes Türglas usw., all das ist
eine Verlängerung einer Linie, die vom
Gebauten abaelöst ist, auf einer Ebene
mit dem rustikalen Eßplatz in der Küche,
der lederglänzenden Sitzecke, dem moder-
nisierten Wand- und Tischschmuck.
Die Sichtbarkeit von Architektur, an
die sich die Mehrzahl der Architekten
klammert, ist Schein. Im Einfamilien-
hausbau kommt Architektur nicht vor.
Gibt es sie deshalb irgendwo anders
noch? Das könnte man Bautyp für Bau-
typ abfragen. Aber das entscheidende
ist doch, daß die Architektur in dieser
Keimzelle der deutschen Sehnsucht
draußen ist, ausgeschieden, eingespart.
Man braucht dann gar nicht erst mit
dem großen Buhmann Nordweststadt
oder Märkisches Viertel zu kommen. Da
ist natürlich klar, daß es mit der Beson-
derheit von Behausung nicht weit her
ist. Da geht es ja auch, genauer bezeich-
net, um Großwohnanlagen (wobei man Le
Corbusiers Wohnmaschine schon als
allzu sehr irreführende Illusion verges-
sen muß). In diesen Anlagen wird das
Unterbringungsmoment als Abstraktes
von vornherein hingenommen, als ein
Teil gesellschaftlicher Gewalt und Über-
macht, den zu detaillieren und zu befra-
gen auf Besonderes, auf das, was er dem
einzelnen bietet, man schon gar nicht
erst ansetzt. Was in Gedanken zählt, ist
nur der in der Gesamtanlage enthaltene
Innenraum: die Wohnung. Sie ist das
Objekt der Ausstattung, der Wunschfor-
mulierung, der Ausstattungsextras. Das
Haus, der Bau, das ist bloße abstrakte
Vorleistung, dem einzelnen entzogen wie
alles in dieser Gesellschaft und in der
Wahrnehmung weitgehend ausgeblendet.
Aber dieses Beispiel der Großwohnan-
lage hat von vornherein den Nachteil,
daß es zu deutlich ist. Man kann damit
einfach auch nur Angst machen und
fällt dann in eine reaktionäre Polemik,
die nichts begreift, nämlich dann, wenn
nicht dies Moment der Abstraktion des
Hausbaus herausgehoben, sondern die
Abstraktion Großwohnanlage nur wegen
ihrer ungeschlachten Erscheinungsform
dämonisiert wird. Aber Größe und Häß-
lichkeit sind gar nicht das Problem, we-
nigstens nicht so einfach, wie die allge-
meine antifunktionalistische Polemik
will. Die Folge dieser kurzschlüssigen
Dämonisierung des Großwohnungsbaus
ist denn auch keine Kritik der unzurei-
chenden Technologie oder der politi-
schen Planungs- und Eigentumsformen.
Vielmehr schließt die reaktionäre Pole-
mik stracks, daß es eben wieder klei-
nere und schönere Häuser zu entwerfen
gelte. Das ist dann die Stunde des Zei-
chenblattes, der ästhetischen Entwerfer
und der menschenleeren Ornamentiken
von Rossi his Venturi. Alle sozialen Ge-
brechen des Großwohnungsbaus werden
beibehalten, nur wählt das Baukapital
jetzt einen Maßstab für den Hausbau,
auf dem das Gebaute — als Stadthaus,
Altersheim, Kaufhaus usw. — diese
dünne Design-Schicht der ewigen Archi-
tektur-Künstler nicht allzu sichtbar lächer-
lich macht.
Die Trennung von Vorleistung und
Ausstattung gilt natürlich ungerührt auch
hier. Denn darüber, was das für ein Haus
ist, mit welchen Materialien und techni-
schen Verfahren gebaut, darüber sagt
die dünne Design-Schicht der Fassade
nichts aus — sie wird für sich produziert
und kommandiert nichts, was das Haus
angeht, weder Abmessungen und Raum-
tiefen noch irgendwelche konstruktiven
Momente. Die Besonderheit der neuen
Stadthaus-Architektur liegt vielmehr nur
darin, daß der Versuch unternommen
wird, einen Teil des Ausstattungspro-
blems in die Regie des Herstellers zu
übernehmen und damit den Konsumen-
ten zu entziehen. Noch die abgetrennte
Ästhetik der Ausstattung soll ihnen als
Fertiges gegenübertreten, als zweites
Haus, das zum Schein den Anspruch er-
hebt, das ganze Haus zu sein, erneuerter
Hausbau, gerettete Architektur.
Technologie
Das Haus ist abstrakte Vorleistung nur
für die Benutzer: als Vorleistung einer
Umwandung ihrer Tätigkeiten. Die Ab-
straktion besteht für sie darin, daß sie
auf die konkrete bauliche Gestaltung
dieser Umwandungsleistung keine aus-
drückliche Aufmerksamkeit mehr ver-
schwenden. Diese Achtlosigkeit ist dop-
pelt zusammengesetzt: einmal aus der
realen Abstraktion des Gebauten, das die
bloße Materialisierung von vorgeplanten
Zwecken vorstellt, und zum anderen aus
einem Verhalten, das sich daran gewöhnt
hat, nur auf die subjektiv zugängliche
Ausstattungsschicht zu reagieren.
Diese Ausblendung des eigentlichen
Gebäudes aus dem Aufmerksamkeitsbe-
reich der Benutzer ist der große Tren-
nungsstrich, um den es bei der Schei-
dung von Technologie und Ästhetik
geht. Die Trennungslinie ist sicherlich
als Tatsache an jedem einzelnen Gebäu-
de nachvollziehbar, zeigbar, beweisbar.
Aber vor allem wird sie ständig auch
durch die Verhaltensweisen der Benut-
zer hergestellt, Verhaltensweisen, die
sich einerseits auf die dinglich vorhande-
ne Trennung im Gebauten stützen. an-
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