Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

Dieter Hoffmann-Axthelm 
Bauen: Technologie und ästhetische Praxis 
„Hausbau” 
Es gibt im Deutschen kein Wort, das in 
neutraler Weise die Tatsache ausdrücken 
könnte, daß jede gesellschaftliche Praxis 
eine räumliche Hülle braucht, und unter 
Umständen eine sehr dicke, die gegen 
Wind und Wetter gut ist. Behausung — 
wie bedeutungsvoll steht das dem angel- 
sächsischen shelter gegenüber — ein Ur- 
wort voll von Untertönen aus Heimweh, 
Literatur, kleinbürgerlichen Sehnsüchten 
Dann schon lieber, um ins Gespräch zu 
kommen, gleich das Wort Hausbau, der 
gezeichnete von Tessenow, das Haus, 
das man mit Rilke sich nicht mehr baut, 
einer der dichtesten deutschen Sehn- 
suchtszusammenhänge. Aber die Wirk- 
lichkeit ist da weiter als die Sprache. 
Gerade die Hausbausehnsucht ist zur 
entsetzlichen, Menschen und Landschaft 
mordenden Realität geworden, dank 
Wüstenrot und Schwäbisch-Hall, und 
genau hier kann und vielleicht muß 
man ansetzen, um das allgemeinste zu 
bezeichnen, die neutrale Schale. Von den 
unerfüllten deutschen Sehnsüchten, die 
der Faschismus so zielsicher ausgebeu- 
tet hat, trennt uns ja eben dies wesent- 
liche neue Moment der Realisierung: 
daß (für gut 40 % der Bevölkerung) der 
alte Wunsch nach dem besonderen, 
meineigenen Haus (klein, heimelig, 
grün, Rosen und ein Zaun darum) plat- 
terdings erfüllt ist. In dem, was da ist, 
gebaut und besessen, ertrinkt jede 
Sehnsucht, jeder altdeutsche Unterton. 
Nur die Sprache bewahrt das noch — die 
Wirklichkeit ist weiter. Die reihenweisen 
Einfamilienhäuser sind eintönig, steril, 
sauber, all das gewiß, aber vor allem 
sind sie da. 
Dies eine Moment, daß sie einfach da 
sind, irgendwie und irgendwo hingebaut, 
ist nun der Ausgangspunkt einer neuen 
Reihe von Widersprüchen, Wünschen und 
Phantasien. Wenn angesichts dieser ge- 
bauten Realität die alten Sehnsüchte vom 
Hausbau gegenstandslos werden, dann 
müssen, offen oder versteckt, neue Wün- 
sche da sein, die sich an dieses sichtbare 
Schema Haus mit seinen herkömmlichen 
architektonischen Erscheinungsweisen 
nicht mehr klammern. Anders gesagt: der 
architektonische Gegenstand löst sich 
auf; er verschwindet in der Abstraktheit 
der gebauten Häuser, deren wesentliche 
Tugend in den Augen ihrer Besitzer und 
Bewohner die ist, das sie da sind und dies 
gewünschte Objekt „eigenes Heim’” reprä- 
sentierren. Sie lassen nichts offen, was 
den Wunsch nach Haus/Shelter angeht. 
Alles, was sich an weiteren Wünschen an- 
sammelt, wird demgegenüber zum Son- 
derangebot, zur Ansammlung attrakti- 
ver „‚Extras’’. Schmiedeeiserne Gitter, 
italienische Fliesen, verkupferte Türgrif- 
fe, ornamentiertes Türglas usw., all das ist 
eine Verlängerung einer Linie, die vom 
Gebauten abaelöst ist, auf einer Ebene 
mit dem rustikalen Eßplatz in der Küche, 
der lederglänzenden Sitzecke, dem moder- 
nisierten Wand- und Tischschmuck. 
Die Sichtbarkeit von Architektur, an 
die sich die Mehrzahl der Architekten 
klammert, ist Schein. Im Einfamilien- 
hausbau kommt Architektur nicht vor. 
Gibt es sie deshalb irgendwo anders 
noch? Das könnte man Bautyp für Bau- 
typ abfragen. Aber das entscheidende 
ist doch, daß die Architektur in dieser 
Keimzelle der deutschen Sehnsucht 
draußen ist, ausgeschieden, eingespart. 
Man braucht dann gar nicht erst mit 
dem großen Buhmann Nordweststadt 
oder Märkisches Viertel zu kommen. Da 
ist natürlich klar, daß es mit der Beson- 
derheit von Behausung nicht weit her 
ist. Da geht es ja auch, genauer bezeich- 
net, um Großwohnanlagen (wobei man Le 
Corbusiers Wohnmaschine schon als 
allzu sehr irreführende Illusion verges- 
sen muß). In diesen Anlagen wird das 
Unterbringungsmoment als Abstraktes 
von vornherein hingenommen, als ein 
Teil gesellschaftlicher Gewalt und Über- 
macht, den zu detaillieren und zu befra- 
gen auf Besonderes, auf das, was er dem 
einzelnen bietet, man schon gar nicht 
erst ansetzt. Was in Gedanken zählt, ist 
nur der in der Gesamtanlage enthaltene 
Innenraum: die Wohnung. Sie ist das 
Objekt der Ausstattung, der Wunschfor- 
mulierung, der Ausstattungsextras. Das 
Haus, der Bau, das ist bloße abstrakte 
Vorleistung, dem einzelnen entzogen wie 
alles in dieser Gesellschaft und in der 
Wahrnehmung weitgehend ausgeblendet. 
Aber dieses Beispiel der Großwohnan- 
lage hat von vornherein den Nachteil, 
daß es zu deutlich ist. Man kann damit 
einfach auch nur Angst machen und 
fällt dann in eine reaktionäre Polemik, 
die nichts begreift, nämlich dann, wenn 
nicht dies Moment der Abstraktion des 
Hausbaus herausgehoben, sondern die 
Abstraktion Großwohnanlage nur wegen 
ihrer ungeschlachten Erscheinungsform 
dämonisiert wird. Aber Größe und Häß- 
lichkeit sind gar nicht das Problem, we- 
nigstens nicht so einfach, wie die allge- 
meine antifunktionalistische Polemik 
will. Die Folge dieser kurzschlüssigen 
Dämonisierung des Großwohnungsbaus 
ist denn auch keine Kritik der unzurei- 
chenden Technologie oder der politi- 
schen Planungs- und Eigentumsformen. 
Vielmehr schließt die reaktionäre Pole- 
mik stracks, daß es eben wieder klei- 
nere und schönere Häuser zu entwerfen 
gelte. Das ist dann die Stunde des Zei- 
chenblattes, der ästhetischen Entwerfer 
und der menschenleeren Ornamentiken 
von Rossi his Venturi. Alle sozialen Ge- 
brechen des Großwohnungsbaus werden 
beibehalten, nur wählt das Baukapital 
jetzt einen Maßstab für den Hausbau, 
auf dem das Gebaute — als Stadthaus, 
Altersheim, Kaufhaus usw. — diese 
dünne Design-Schicht der ewigen Archi- 
tektur-Künstler nicht allzu sichtbar lächer- 
lich macht. 
Die Trennung von Vorleistung und 
Ausstattung gilt natürlich ungerührt auch 
hier. Denn darüber, was das für ein Haus 
ist, mit welchen Materialien und techni- 
schen Verfahren gebaut, darüber sagt 
die dünne Design-Schicht der Fassade 
nichts aus — sie wird für sich produziert 
und kommandiert nichts, was das Haus 
angeht, weder Abmessungen und Raum- 
tiefen noch irgendwelche konstruktiven 
Momente. Die Besonderheit der neuen 
Stadthaus-Architektur liegt vielmehr nur 
darin, daß der Versuch unternommen 
wird, einen Teil des Ausstattungspro- 
blems in die Regie des Herstellers zu 
übernehmen und damit den Konsumen- 
ten zu entziehen. Noch die abgetrennte 
Ästhetik der Ausstattung soll ihnen als 
Fertiges gegenübertreten, als zweites 
Haus, das zum Schein den Anspruch er- 
hebt, das ganze Haus zu sein, erneuerter 
Hausbau, gerettete Architektur. 
Technologie 
Das Haus ist abstrakte Vorleistung nur 
für die Benutzer: als Vorleistung einer 
Umwandung ihrer Tätigkeiten. Die Ab- 
straktion besteht für sie darin, daß sie 
auf die konkrete bauliche Gestaltung 
dieser Umwandungsleistung keine aus- 
drückliche Aufmerksamkeit mehr ver- 
schwenden. Diese Achtlosigkeit ist dop- 
pelt zusammengesetzt: einmal aus der 
realen Abstraktion des Gebauten, das die 
bloße Materialisierung von vorgeplanten 
Zwecken vorstellt, und zum anderen aus 
einem Verhalten, das sich daran gewöhnt 
hat, nur auf die subjektiv zugängliche 
Ausstattungsschicht zu reagieren. 
Diese Ausblendung des eigentlichen 
Gebäudes aus dem Aufmerksamkeitsbe- 
reich der Benutzer ist der große Tren- 
nungsstrich, um den es bei der Schei- 
dung von Technologie und Ästhetik 
geht. Die Trennungslinie ist sicherlich 
als Tatsache an jedem einzelnen Gebäu- 
de nachvollziehbar, zeigbar, beweisbar. 
Aber vor allem wird sie ständig auch 
durch die Verhaltensweisen der Benut- 
zer hergestellt, Verhaltensweisen, die 
sich einerseits auf die dinglich vorhande- 
ne Trennung im Gebauten stützen. an- 
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