Architektur und Ethnologie: Berlin/Anatolien
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Peter Bumke
Raumaufteilung bei anatolischen Bauern
Wer die Absicht verfolgt, die Lebenswelt
anatolischer Bauern in der Perspektive
der von ihnen vorgenommenen Raumein-
teilungen darzustellen, wird sich leicht
einer eigentümlichen Affinität gewahr,
die zwischen dem Gegenstand und der
zunächst vielleicht äußerlich anmuten-
den, weil nur auf Räume gerichteten
Perspektive besteht. Denn der Versuch
einer Rekonstruktion der dieser Lebens:
welt zugrundeliegenden Prinzipien der
wirtschaftlichen und sozialen Organisa-
tion gelangt wie selbstverständlich zu der
Einsicht, daß wirtschaftliche Tätigkei-
ten ebenso wie typische Verhaltensmu-
ster sich entlang räumlicher Abgrenzun-
gen besonders sinnvoll ordnen lassen.
Dem entspricht auch, daß die korrespon-
dierenden türkischen Konzeptualisierun-
gen der Regeln des gesellschaftlichen
Umgangs oft streng auf bestimmte
räumliche Kontexte bezogene Normen
umschreiben. Indem ich also als Glie-
derungsprinzip der folgenden Bemerkun-
gen die räumliche Aufteilung der Lebens:
welt anatolsicher Bauern in Haus, Dorf,
Feld und Stadt wähle, möchte ich vor
allem der inneren Logik der ihr zugrunde-
liegenden Verhältnisse und den Vorstel-
lungen derer, die in ihnen leben, folgen
und nicht einer von außen übergestülp-
ten analytischen Perspektive.
DAS HAUS
Die isolierte Betrachtung des Hauses als
eines in sich abgeschlossenen Raums
scheint der Annahme, unsere Gliederung
liefere uns einigermaßen in sich homo-
gene, da von anderen deutlich unter-
schiedene Räume gesellschaftlichen
Lebens, zunächst zu widersprechen: ist
doch das Haus, etwa in bezug auf die
Arbeitsteilung und die vielfältigen Re-
geln des Verkehrs zwischen einzelnen
Bewohnern, der Ort höchster Differen-
zierung.
Die in ihm anfallenden Arbeiten der
Nahrungsmittelverarbeitung und -zube-
reitung des nie zu Ende gehenden Ord-
nens und Säuberns des gesamten Inven-
tars und der Versorgung der Kinder ist
ausschließlich Aufgabe der Frauen, die
hier das Zentrum ihrer Tätigkeiten ha-
ben. Für Männer ist das Haus ein Ort der
Ruhe und des Konsums, und nur bei sei-
ner Errichtung, bei Ausbesserungsarbei-
ten und an seiner Peripherie, im Stall
und beim Schlachten der Tiere, wird es
zum Ort von Arbeiten. Der älteste Mann
des Hauses unterhält allerdings in der
Regel ein Rechtsverhältnis zu ihm: Das
Haus ist sein Eigentum, das er, jedenfalls
gewohnheitsrechtlich, an männliche
Nachkommen vererbt.
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Nutzungsschema eines anatolischen Hauses
1. Feuerstelle, 2. Regal mit Geschirr und zeug, 7. Vorräte (Samen, Dünger, Weizen,
Gewürzen, 3. Vorräter im Kupferkessel, Mehl), 8. Vorratskiste Mehl, 9. Waschgelegen-
4. Sack. mit Fleischvorrat. 5. Diwan, 6. Werk- heit. 10. Ofen, 11. Aussteuerkiste
Der strikten Arbeitsteilung und der
Zuordnung von Eigentumstiteln entlang
der Linie, welche die Geschlechter
trennt, entspricht auch ein Aspekt des
Sozialisationsprozesses: Die von ihren
Müttern eher verwöhnten Jungen begin:
nen im Alter von 4—5 Jahren nach der
Manier ihrer Väter tagsüber das Haus
zu verlassen, den Vater bei seinen Arbei-
ten zu begleiten und zu imitieren oder
mit Gleichaltrigen ihres Geschlechtes zu
spielen. Mädchen verbleiben dagegen im
Umkreis ihrer Mütter und Schwestern,
erlernen deren Tätigkeiten und halten
sich so vornehmlich im Haus auf. Der in
der Sozialisation allgemein, d.h. für bei-
de Geschlechter angestrebte Erwerb von
akill, der Verstandestätigkeit, die einem
sagt, wie man sich gesellschaftlich richtig
und angemessen verhält, so daß man vom
ahnungslosen Kind, vom Verrückten und
vom Tier unterscheidbar wird, bekommt
hier schon deutlich geschlechtsspezifi-
sche Konnotationen.
Doch sind die Mitglieder eines Hau-
ses nicht nur durch die prägnante kultu-
relle Ausformung des Geschlechtsunter-
schieds in der Arbeit und der Sozialisa-
tion ungleichartig und voneinander dif-
ferenziert. Ich will das an einigen zentra-
len Beziehungen innerhalb der Familie
zeigen, vorher jedoch noch anmerken,
daß die in unserer Gesellschaft erfolgte
Veränderung im Umgang mit patriarcha-
lischer Autorität, in der Behandlung
der Generationskonflikte überhaupt,
und vor allem die derzeit vorgenomme-
ne Neuerwerbung des Verhältnisses der
Geschlechter, oft den Blick auf fremde
Verhältnisse nicht so sehr öffnen, als
verstellen, weil wir vorschnell anneh-
men, sattsam Bekanntes, Überholtes
Oder gar Skandalöses vor uns zu haben.
An den unterschiedlichen Beziehun-
gen, die ein Vater zu seinem Sohn und
zu seiner Tochter unterhält, mag deutlich
werden, wie die allgemein im Haus zwi-
schen seinen Bewohnern herrschende
Familiarität und Vertraulichkeit durch
den Generations- und den Geschlechts-
unterschied von Respekt und/oder Ver-
meidung eingefärbt wird. Der Sohn
teilt mit seinem Vater die Arbeitsphäre,
wird von ihm in sie eingeführt und prak
tiziert als Korrelat zu der Achtung und
dem Gehorsam, die er ihm schuldet,
eine Zurückhaltung, die es ihm z.B. ver-
bietet, in Gegenwart seines Vaters zu
rauchen oder ihm, jedenfalls in Gegen-
wart anderer, zu widersprechen.
Respekt drückt sich hier in Vermei-
dung, Scham und Zurückhaltung aus.
Die väterliche Forderung, der Sohn solle
folgen, wird von der Einsicht ergänzt,
daß der Sohn dem Vater letztlich nach-
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