ihren Gott geschieht im gemeinsamen Ge-
bet in der Moschee, nachdem sie sich ri-
tuell vom Kontakt mit Schmutz und
fremden Körpersäften gereinigt haben.
In ähnlicher Weise hat die Beschneidung
an ihnen entfernt, was ihre männliche Na-
tur mit Weiblichem kontaminierte. Beide
Reinigungen befähigen den Mann erst
zum Gebet.
Ein Blick auf die Situation im Kaffee-
haus, an der ich die Grundzüge des Ver-
haltens der Männder außerhalb des reli-
giösen Kontexts zusammenfassen möch-
te, zeigt, daß ihr Umgang nicht nur einer
von Gleichen und Einzelnen ist: Die Sitz-
folge, die Reihenfolge der Begrüßungen,
die Ausführlichkeit der Gespräche, auch
die Hartnäckigkeit, mit der auf Argumen-
ten bestanden wird, reflektieren ein kom-
plexes Gefüge von Prestige — seref —, das
jeder dem Grundstock seiner familienbe-
zogenen Ehre — namuz — hinzuzufügen
bestrebt ist. Die Kriterien für die Bewer-
tung von Prestige sind vielfältig und
schließen Reichtum, Großzügigkeit ge-
genüber Gästen und Klienten, Redege-
wandtheit, religiöse und säkulare Bildung
und Einfluß bei der Bürokratie ein. Wirt-
schaftliche Transaktionen und politische
Koalitionen sind von ihnen bestimmt.
Prestige kann aber nicht durch gewisse
Handlungen einfach erworben werden,
es hängt gänzlich von seiner Einschätzung
durch andere ab. Gerüchte und Klatsch
sind daher wirkungsvolle Waffen bei der
Bildung von dorfpolitischen Bündnissen,
die einzelne Männer ad hoc oder dauer-
haft eingehen. Dabei können neben dem
Prestige auch verwandtschaftliche Bin-
dungen, Allianzen mit Schwägern, Paten-
schaften und Nachbarschaft bedeutsam
werden. Gerade die Bedeutung verwandt-
schaftlicher Beziehungen zu Brüdern,
Cousins oder entfernteren Angehörigen
der eigenen Verwandtschaftsgruppe,
etwa bei Blutfehden, wirtschaftlicher
Kooperation oder der Konkurrenz um po-
litische Dorfämter, variiert innerhalb Ana-
toliens sehr stark. Lokale Normen in die-
ser Hinsicht werden aber leicht durch die
individuellen, materiellen oder symboli-
schen Interessen der einzelnen Männer
konterkariert. Ihr dominanter Verhaltens-
zug untereinander ist gegenseitige Ab-
grenzung und die Betonung ihrer Indivi-
dualität. Dem entspricht ein auch in ana-
tolischen Städten zu bemerkendes Fehlen
von dauerhafter Kooperation und von
kommunalen Organisationsformen. Koali-
tionen sind vornehmlich von augenblick-
lichen Interessen bestimmt, die sich im
Laufe der Zeit ändern können, und da-
her eher instabil, zumal jeder einzelne
Mann in der Regel über ein weitgefächer-
tes Netz persönlicher Beziehungen, auch
in andere Dörfer, verfügt, das jederzeit
noch erweitert und ergänzt werden kann.
Die Sphäre der öffentlichen Interak-
tionen unter den Männern, also der wirt-
schaftlichen Transaktionen, dorfpoliti-
schen Bündnissen und von der Arbeit ab
gelösten Unterhaltungen, als deren idea-
len Ort ich das Kaffeehaus ausmachte,
kann aber auch in Häuser einzelner Be-
teiligter hineingetragen werden. Das
Gastzimmer oder der häusliche Wohn-
raum wird dann durch die Abwesenheit
der Frauen oder jedenfalls durch ihre
stille Zurückhaltung in einen öffentli-
chen Raum des Hauses verwandelt.
DIE FELDER
Insofern der Großteil der Arbeitstätig-
keit der Männer in der unmittelbaren
Bearbeitung der Natur besteht, wird
die Arbeit vornehmlich vom Bereich
der innerdörflichen Interatkion unter
den Männern geleistet. Die Männer ar-
beiten einzeln oder zusammen mit an-
deren männlichen Familienmitgliedern
zu denen auf dem Höhepunkt der Ar-
beitsperiode Frauen hinzutreten, auf
ihren eigenen oder gepachteten Feldern.
Diese Tätigkeit isoliert sie zeitweise von
der Männergesellschaft, verbindet die
Feldarbeit mit denhäuslichen Arbeiten
der Frauen und stellt überhaupt in wirt
schaftlicher Hinsicht die Einheit des
Hauses als Produktions- und Konsum-
gemeinschaft her. Dabei sind die Tätig-
keiten der Männer, ihrem Aspekt der
Naturbearbeitung entsprechend, stärker
als die der Frauen saisonal bedingt. Ihre
Tätigkeiten sınd weniger repetitiv und
treten nicht ständig erneut auf, sondern
sind nach einer Phase oft extremer An-
strengung abgeschlossen. Diese perio-
disch auftretenden Arbeitsbelastungen
wechseln mit Phasen der Muße: hier liegt
der Grund der bei Männern im Vergleich
zu Frauen deutlicheren Trennung von
Arbeit auf der einen, Interaktion mit
Bewohnern benachbarter Häuser auf der
anderen Seite.
Die Kernbereiche der geschlechtsspe-
zifischen Arbeitsteilung — Hausarbeit
und Feldarbeit — bleiben auch dann re-
lativ intakt, wenn technisch bedingte
Veränderungen, etwa durch Mechanisie-
rung, den notwendigen Arbeitsaufwand
in einem der Bereiche verändern. Doch
scheint es, daß die Zwischenzone von
technischen Erfordernissen pragmatisch
wahlweise von dem einen oder anderen
Geschlecht vollführten Arbeiten — Tiere
tränken, Stall ausmisten, Erntearbeiten,
Dreschen — umstandsloser von Frauen
ausgefüllt wird. Lediglich das Weiden der
Tiere fern vom Dorf und das Pflügen
sind unumschränkte Domäne der Män-
ner, die umgekehrt gewiß nicht daran
dächten, zu backen, zu melken oder zu
kochen. Daher bleiben auch Witwer zeit
ihres Lebens zur Ehe verurteilt, während
alte alleinstehende Frauen ihren Lebens-
unterhalt durch Natural- oder Geldzu-
schüsse von Verwandten bestreiten kön-
nen.
Interne, aber insgesamt säkulare Ver-
änderungen in der Wirtschaftseinheit
Haus und Land bedingen auch die Ar-
beitsemigration. Vor allem das Bevölke-
rungswachstum, die durch Parzellierung
bei der Vererbung verkleinerten Besitz-
flächen, die wegen der Erosion sinkenen
Ernteerträge, die zunehmende Abhängig
keit von der sich ausdehnenden Sphäre
der Warenzirkulation beim Kauf von
Konsumgütern und dem Verkauf land-
wirtschaftlicher Produkte und die häu-
fiq daraus resultierende Verschuldung
sind dabei die entscheidenden Faktoren.
Die Entscheidung zur Emigration wird
individuell auf der Haushaltsebene ge-
fällt.
In diesem Zusammenhang ist bezeich-
nend, daß das gewohnheitsrechtliche Prin-
zip der gleichen Erbteilung unter den
Söhnen mitunter in der Weise aufrechter-
halten bleibt, daß die Summe der Pro-
duktionskräfte und ökonomischen
Chancen aller Mitglieder in Betracht ge-
zogen wird und dabei der städtische Ar-
beitsplatz eines Sohnes als Entschädi-
gung für seinen Erbanteil an Land oder
die Krankenschwesterausbildung einer
Tochter als Ersatz für ihre Mitgift gese-
hen werden. Allerdings sind in der
Perspektive des staatlichen Rechts; das
ein Erbrecht der Kinder beiderlei Ge-
schlechts bloß am Familienbesitz vor-
sieht, solche Erwägungen natürlich ge-
genstandslos. Daher kann das staatliche
Recht in Erbstreitigkeiten unter Ver-
wandten als Instrument der Auseinan-
dersetzung herhalten.
DIE STADT
Die Sanktionierung von Eigentumstiteln
c'urch den Staat, sein Anspruch auf die
Erhebung von Steuern und sein Strafan-
spruch lassen die Lebenswelt der Bauern
als schon immer mit staatlichen Institu-
tionen verknüpft erscheinen. Hier, wie
auf dem Güter- und Arbeitsmarkt treten
sie als Repräsentanten ihrer Familie und
gegebenenfalls als juristische Gegner oder
wirtschaftliche Konkurrenten anderer
Männer auf. Wir haben aber auch schon
bemerkt, daß der Zugang zur Bürokratie
und die Geschicklichkeit im Umgang mit
ihr auch Kriterien des innerdörflichen
Prestigegefüges sind und etwa bei der Wahl
eines Dorfvorstehers ausschlaggebend’
sein können.
Der Kauf von Produkten auf dem Markt
ist als Domäne der Männer gleichsam eine
Fortführung ihrer Feldarbeit, durch die
sie verarbeitbare Produkte ins Haus brin-
gen. Zugleich wird dadurch das immer
prekäre Heraustreten der Frauen aus
ihrem hauptsächlichen Arbeits- und Le-
bensbereich, dem Haus und der Nachbar-
schaft, vermieden. Wie prekär dieses
Heraustreten ist, wird an den elaborier-
ten Schutzmaßnahmen ersichtlich, die
Männer wie Frauen gleichermaßen er-
greifen, um Frauen und Töchter sicher
zu den Orten unentbehrlicher städtischer
Dienstleistungen, dem Arzt oder einer
Schule, zu geleiten. „
Die Stadt als Ausdehnung des von
Männern bestimmten politisch-rechtli-
chen und religiösen Bereichs des Dorfle-
bens ist dabei intern entlang von Linien
aufgeteilt, die durch die verschiedene re-
gionale, ethnische, religiöse oder politi-
sche Zugehörigkeit ihrer Bewohner oder
Besucher sich ergeben. Die Männer kau-
fen etwa bevorzugt bei ehemaligen Dorf
angehörigen und führen Gespräche und
Verhandlungen eher mit Männern ihrer
politischen oder religiösen Richtung. In
größeren Städten bilden sich dabei um-
fassendere regionale, ethnische oder reli-
giös-politische Subkulturen. in denen das