Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

Heiner Monheim 
Verkehrsberuhigung durch Stadtschnellstraßen? 
Anmerkungen zu einem aktuellen Mißverständnis 
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m 
„STRASSE UND AUTOBAHN” nennt das: „Maximaler Schutz einer Wohnzelle für etwa 5.000 Einwohner vor nachteiligen Umwelteinwirkungen, 
die vom Kraftverkehr ausgehen. Die abschirmende Randbebauung enthält Arbeitsstätten, Geschäfte und Stellplätze.” Tatsächlich ist das kompletter 
Stadtumbau und damit Stadtzerstörung en gros. 
Die Monofunktionalisierung innerstädti- 
scher Hauptachsen zu reinen Transport- 
strängen für den Kraftfahrzeugverkehr 
hätte unabsehbare Folgen für die Stadt- 
struktur: Die Hauptverkehrsstraßen wö- 
ren endgültig als Erlebnisbereiche und 
Versorgungsschwerpunkte verloren; die 
Erfahrbarkeit und Ablesbarkeit gesamt- 
städtischer Zusammenhänge und die 
räumliche Orientierung innerhalb der 
Stadt würde zunehmend unmöglich. 
Die Stadt würde in privilegierte verkehrs- 
arme und belastete verkehrsreiche Gebie- 
te segmentiert. Genau diese Entwicklung 
gilt es zu verhindern: Verkehrsberuhi- 
gung auch von städtischen Hauptver- 
kehrsstraßen und Rückbau bei Überka- 
pazitäten müssen integrale Bestandteile 
einer neuen Stadtverkehrspolitik wer- 
den. 
VERKEHRSBERUHIGUNG ALS ALI- 
BI FÜR NEUE STADTSCHNELLSTRA- 
SSEN 
Seit das Thema Verkehrsberuhigung sich 
bei Stadtplanern und Kommunalpoliti- 
kern einer wachsenden Beliebtheit er- 
freut, haben es auch die Schnellstraßen- 
bauer für sich entdeckt. Sie propagieren 
ihre kommunalpolitisch ungeliebten, von 
Bürgerinitiativen heftig bekämpften 
Stadtautobahn—Projekte neuerdings un- 
ter dem Motto Verkehrsberuhigung. 
Bekannte Beispiele hierfür sind die 
Stadtautobahnplanungen in Berlin, 
Frankfurt, Köln. Hannover und Ham- 
burg. Aber auch in fast allen änderen 
Großstädten gibt es ähnliche Fälle, wo 
der Bau neuer, leistungsfähiger Schnell- 
straßen oder die Erweiterung bestehen- 
der Hauptverkehrsstraßen als „Verkehrs- 
beruhigung‘” oder „Beitrag zur Ver- 
kehrsberuhigung‘‘ oder „Voraussetzung 
zur Verkehrsberuhigung” etikettiert 
wird, Es gibt geradezu groteske Beispie- 
le hierfür, etwa, wenn in Berlin oder 
Frankfurt letzte Alleen abgeholzt wer- 
den; oder wenn dort wie anderswo 
Bürgersteige um die Hälfte gekappt wer- 
den. Oder wenn in vielen Städten Stadt- 
straßen für Tempo 70 oder gar 80 frei- 
gegeben werden. Das alles als Beitrag 
zur Verkehrsberuhigung! 
Da ist also Verkehrsberuhigung nicht 
etwa die von vielen erhoffte Trendwen- 
de der Verkehrsplanung, die Rückkehr 
zu maßvollen, Ökologischen, stadterhal- 
tenden Planungsprinzipien. Vielmehr 
verbirgt sich bei den Stadtautobahnen 
unter dem Etikett Verkehrsberuhigung 
die unverfrorene Fortsetzung des her- 
kömmlichen, rein autoorientierten Stra- 
Benbau—Perfektionismus. Und weil Au- 
tobahnen an sich nicht mehr „WM sind, 
wird das alles nur mühsam verbrämt 
durch ein neues Etikett, ein neues 
Schlagwort. Die ernsthaften Befürwor- 
ter der Verkehrsberuhigung wollen eine 
völlig neue Verkehrsplanung, einen 
grundsätzlich veränderten Straßenbau. 
Da sollen Fußgänger und Radfahrer 
wieder zu ihrem Recht kommen, auf 
attraktiven Wegen, die in erster Linie 
für ihre Bedürfnisse gestaltet sind. Da 
sollen Busse und Bahnen eigene, bevor: 
rechtigte Trassen erhalten. Da soll der 
Autoverkehr insgesamt „‚domestiziert”” 
werden, in erster Linie durch Verlang- 
samung auf ein erträgliches Tempo; ein 
Tempo, das den Autoverkehr möglichst 
ungefährlich, umweltschonend, flächen- 
und energiesparend macht. Hierfür sol- 
len die Verkehrsflächen für das Auto 
möglichst sparsamı bemessen und so ge- 
staltet sein, daß eine defensive, verhal- 
tene Fahrweise und eine rationale, die 
eigenen Füße, das Fahrrad und Busse 
und Bahnen nicht ignorierende Verkehrs- 
mittelwahl gefördert wird. Da soll also 
alles in allem endlich eine Basis für die 
friedliche Koexistenz der Verkehrsarten 
gefunden werden, statt des bisher all- 
täglichen Verkehrsterrors. 
Wenig von alledem findet sich bei 
den Stadtautobahnbauern. Da muß es 
weiterhin möglichst schnell, auf mög- 
lichst breiten Pisten kreuz und quer 
durch die Städte gehen, wie gehabt. Nur 
noch etwas perfekter und gebündelter. 
Schon in der Nachkriegszeit, als begon- 
nen wurde, amerikanischen Autover- 
kehrs—Perfektionismus eilig auf deut- 
sche Städte zu übertragen, geschah dies 
stets mit dem Argument der Bündelung! 
Und so bündeln sie heute noch. Nur 
noch etwas rücksichtsloser, noch etwas 
stadtzerstörender. Wohin die Reise ge- 
hen soll, ist erst kürzlich in einer Prin- 
zipskizze in „Straße und Autobahn” 
(Heft 11, 1978 Seite 491) in aller 
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