mit unseren Verkehrsspielregeln nicht
mehr zurechtkommen; sie stellen 70%
der Fußgängertoten.
Politiker und Verkehrsexperten rea-
gieren eher hilflos: Die mangelnde Aus-
sagekraft der erst 1975 für die Bundes-
länder vereinheitlichten Statistik über
die Kinderverkehrsunfälle ließe keine
qualifizierten Aussagen über die Unfall
ursachen zu. Darüber hinaus wird die
Vergleichbarkeit der bundesdeutschen
Unfallzahlen mit den ausländischen in
Frage gestellt. Zwar gibt es unter den
Ländern Unterschiede z.B. in der Frage,
ab wann ein Kind zu den Verkehrsop-
fern zu rechnen ist, jedoch würde eine
internationale Angleichung nur geringfü-
gige Veränderungen in den „unteren
Rängen‘ zur Folge haben. Die Bundes-
republik dürfte weiterhin unter den Län-
dern mit ähnlich starker Verkehrsdichte
den Spitzenplatz einnehmen.
Maßnahmen zur Verminderung der
Kinderverkehrsunfälle zielen vorwiegend
darauf ab, das „vermeidbare Fehlverhal-
ten" der Kinder durch Verkehrserzie-
hung zu beseitigen: Verkehrserziehung
als Überlebenstraining, als Anpassung
des kindlichen Verhaltens an das Ver-
kehrsgeschehen. Noch immer werden
entwick lungspsychologisch fundierte
empirische Untersuchungen nicht ausrei-
chend berücksichtigt, die deutlich ma-
chen, daß Kinder wegen ihres körperli-
chen, psychischen und kognitiven Ent-
wicklungsstandes nicht beliebig ‚auto-
verkehrsgerecht‘’ erziehbar sind.? Auf
die Grenzen der Verkehrserziehung ver-
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304
272
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Bei Straßenverkehrsunfällen 1976 als Fuß-
zänger oder Radfahrer verunglückte Kinder
im Alter unter 15 Jahren (bezogen auf
100.000 Kinder dieser Altersgruppe)
Quelle: Zahlen nach Angabe des Statistischen
Bundesamtes vom 20.8.1978
weist auch das Programm der Nationa-
len Kommission zum Jahr des Kindes
1979.
„Das relative Übergewicht der Kin-
derverkehrserziehung hat zu einer Ver-
nachlässigung der Verkehrserziehung
aller anderen Verkehrsteilnehmer und
zur Vernachlässigung von Maßnahmen
zu kindgerechter Wohn—-Umwelt— und
Verkehrsplanung geführt.”
Wie eng der Zusammenhang zwischen
Wohn— und Spielbedingungen und dem
Unfallrisiko für Kinder ist, wird aus ei-
ner kürzlich veröffentlichten Untersu-
chung deutlich:
In den Wohnvierteln, in denen der
Anteil der Arbeiter über dem Durch-
schnitt liegt und die Wohn— und Spiel-
bedingungen vergleichsweise schlecht
sind. wurde eine Überrepräsentation an
Kinderverkehrsunfällen festgestel!t; 60
v.H. der Unfälle konzentrieren sich auf
9 der 54 Wohnbezirke. Mindestens Drei-
viertel aller verunglückten Kinder hatten
keine Möglichkeit, im direkten Umkreis
ihrer Wohnung zu spielen. Die Tatsa-
chen, daß Kinder mehrheitlich selbst in
der jüngsten Altersgruppe „auf der Stra-
Re’ und nicht auf Kinderspielplätzen
spielen und daß die meisten Unfälle
beim Spielen in der Nähe der Wohnung
stattfinden? machen deutlich, wie wich-
tig Eingriffe in das Verkehrsgeschehen
zur Verbesserung der Verkehrssicher-
heit und der Wohnumweltbedingungen
sind. Folgerung: das Kinderspiel ist be-
hutsam in den wohnungsnahen Straßen-
raum zu integrieren, die Verkehrsum-
welt hat sich dem kindlichen Leistungs-
vermögen anzupassen®6,
Welche Änderungen im Verkehrsge-
schehen müssen durchgesetzt werden?
Vor allem sind hier bauliche Maßnah-
men zu nennen, die auf eine Verringe-
rung der Fahrgeschwindigkeit und der
Fahrzeugdichten abzielen. Die Tatsachen,
daß die Kollosionsgeschwindigkeit mit
dem Kfz bei einem Drittel aller verun-
glückten Fußgänger größer als 50 km/h
ist und daß die Aufprallwucht bei 50
km/h einem Fall aus 10 m Höhe gleich-
kommt, macht den Zusammenhang zwi-
schen Fahrgeschindigkeit und Sicher-
heit evident. Mit sinkender Geschwin-
digkeit wachsen die Chancen für unfall-
verhindernde Brems—- und Ausweich-
reaktionen und damit für eine Verringe-
rung des Verletzunags— und Tötungsrisi-
Foto: Wolfgang Krolow. Aus dem Fotoband „Kinder in Kreuzberg”
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