In einem weiter gefaßten Verständnis
von sozialer Infrastruktur wird der Auf-
bau einer Gemeinwesenarbeit für not-
wendig gehalten, mit der Anfang 1979
begonnen wird. Sie soll als Hilfe Zur
Selbsthilfe so verstanden werden, daß
sie die ansässige Bevölkerung aktiv in
die Lage versetzt, für ihre Interessen
einzutreten. Die gegenwärtige personel-
10)
le und finanzielle Ausstattung kann an-
gesichts der Größe des Projektes nur als
erster Schritt angesehen werden.” Vgl.
R.SELLNOW, a.a.O,
J. WOLF, ‘Das Vorkaufsrecht nach
824a Bundesbauge. etz — ein wirksames
Instrument zur Sicherung von städti-
schen Erhaltungszielen’, in: Blätter f
11)
Grundstücks-, Bau- und Wohnungs-
recht 12/78, S. 230—233.
Stadt Mülheim a.d, Ruhr, Arbeitersied-
lung Mausegattstraße, dazu auch J.
WOLF, ‘Mausegatt — Der Fall einer
Bergarbeitersiedlung’, zur Veröffent-
lichung in den ‘Gewerkschaftlichen
Monatsheften’ vorgesehen.
Dieter Hoffmann-Axthelm
Doppelt betroffen
Zum Zusammenhang von Stadtzerstörung und Landschafiszerstörung - Ein Erlebnisbericht
Der Zufall will es, daß ich gegenwärtig
an zwei weit auseinanderliegenden Punk-
ten Berlins vom Widersinn kommunaler
Funktionsplanung mehr oder minder
persönlich betroffen bin. Der eine Punkt
ist der geplante Ausbau der südlichen
Friedrichstadt zum internationalen Aus-
stellungsobjekt, — ich habe darüber in
ARCH+ 40/41 berichtet. Der zweite
Punkt ist ein Garten, den ich seit vielen
Jahren gepachtet habe, in einer gerade
noch bestehenden grünen Randzone im
äußersten Südosten Westberlins, in
einem Gebiet, das die Neue Heimat sich
nun anschickt zu bebauen.
Ich will hier nicht groß die Trommel
rühren und auf Skandal machen — die
Sache ist zwar skandalös, aber sozusa-
gen in einer ganz routinemäßigen Art
und Weise, in einer Reihe mit hundert
anderen ähnlichen Skandalen. Was ich
zeigen möchte, ist die Logik, die mir'an-
hand meiner zufälligen doppelten Betrof-
fenheit aufgeht. Zufällig ist dabei näm-
lich nur, daß ich beides zugleich zu spü-
ren bekomme — normalerweise ist man
ja auf einen einzigen Erfahrungsort, näm-
lich Wohnstandort, festgelegt, kann sich
vielleicht die andere Seite ergänzen, er-
fährt sie aber nicht unmittelbar. Der Zu-
sammenhang von innerstädtischer Entvöl-
kerung und Zubauen der Erholungszonen
am Stadtrand ist aber alles andere als
zufällig. Er ist allgemeine Planungstradi-
tion, und das besonders auch in Berlin,
obwohl die Methode gerade hier ein ganz
offensichtlicher Irrsinn ist, weil die Rand-
zonen nicht beliebig ins freie Land hinein-
geschoben werden können, sondern hart
an die ringsum einschnürende Mauer
stoßen.
Mein Garten liegt innerhalb der soge-
nannten Pfarrlandsiedlung in Rudow,
zwischen Dorf und Trümmerberg, nahe
der Grenze. Das Gelände, ungefähr 25ha
groß, wurde vor langer Zeit testamenta-
risch der Kirchengemeinde Rudow ver-
macht mit der Auflage, es nie zu verkau-
fen, also einem formellen Spekulations-
verbot. Über die Finanzfragen haben
aber schon lange nicht mehr die Einzel-
gemeinden zu entscheiden, und auch der
Kirchenkreis Neukölln, der lange die Ver-
waltung besorgt, Pachtverträge geschlos-
sen und den jährlichen Pachtzins erhoben
hat, hat seit etwa drei Jahren keine Ver-
fügung darüber mehr, die hat der Stadt-
synodalverband an sich gezogen. Das ist
die kirchliche Verwaltung, die so unsen-
timental und praktisch denkt wie alle an-
deren Verwaltungen auch. Für sie ist das
Land schlichtweg Geld, und Geld braucht
sie, nachdem das Einkommen aus der
Kirchensteuer in den letzten zehn Jahren
durch gehäufte Austritte spürbar zurück-
gegangen ist. Es wurde also ein potenter
Käufer gesucht, und dieser präsentierte
sich in der Neuen Heimat.
Das war der Anfang der siebziger Jah-
re. Das märkische Viertel war gebaut, es
wurden Nachfolgeobjekte vorbereitet, um
in gewohnter Weise weiterbauen zu kön-
nen: Düppel-Süd, Gartenkolonie Ruhwald,
Vierter Ring Lichterfelde. In Rudow ging
es um nichts anderes, nur war das kein
staatlich organisiertes Projekt, für das
Wettbewerbe ausgeschrieben wurden, son-
dern die großen Baugesellschaften gingen
in aller Stille selber an die Arbeit, kauften
Land und fingen an zu bauen, so daß dank
dieser individuellen Vorgehensweise die
Bebauung der Rudower Gemarkung in der
Öffentlichkeit nicht weiter auffie! und,
im Unterschied zu den vorgenannten Pro-
jekten, in der Presse nie Schlagzeilen mach
te. Das Land zwischen dem Dorf Rudow
und der Pfarrlandsiedlung ist inzwischen
mit bis zu zehnstöckigen Wohnanlagen
bebaut, und der Senat sorgte für eine brei-
te, autogerechte Erschließungsstraße, die
nun aufreizend am Rande der Pfarrland-
siedlung vorbeiführt. Die Neue Heimat
plante denn auch eine dichte Bebauung
zehn Geschosse hoch, wollte das Gelände
aber nicht eher übernehmen, als bis aller
Ärger mit den auf dem Gelände anwesen-
den Pächtern und Siedlern bereinigt wäre.
Die Pächter wohnen in größerer Zahl
auf dem Gelände und haben sich schon vor
langer Zeit zu einer Siedlungsgenossen-
schaft zusammengeschlossen, um die Um-
wandlung des Pachtlandes in ein Siedlungs-
gelände zu betreiben. In der Hoffnung
darauf bauten sie sich, von der Bauauf-
sicht unbehelligt, nach Feierabend auf
den von ihnen gepachteten Landstücken
feste Häuser, legten Brunnen an, ließen
sich an das Strom-Netz anschließen. Um
das Land ihrerseits zu kaufen und eine
den bauaufsichtlichen Forderungen ent-
sprechenden Erschließung — Kanalisa-
tion, Wasser, Strom usw. — auf die Beine
zu stellen, dazu hatten sie natürlich nicht
das Geld. Zugleich war und ist das Gelän-
de im amtlichen Flächennutzungsplan
als Baulandreserve eingetragen, so daß es
juristisch, von der ungünstigen Position
des Pächters nach geltendem Recht ein-
mal ganz abgesehen, für die Neue Hei-
mat kein Hindernis gibt. Verständlicher-
weise wollten die Leute aber auch nicht
weg vom Gelände, die Sache zog sich
also hin.
Inzwischen gab es einen Ruck in der
Baupolitik. Die Planungen für neue Groß:
siedlungen wurden eingestellt, der Wie-
deraufbau der brachliegenden innerstädti-
schen Flächen sollte Vorrang erhalten. Es
zeigte sich, daß man über seine Verhält-
nisse gelebt hatte. Ganze Viertel im alten
Stadtzentrum waren unbebaut liegen ge-
blieben und durch Kahlschlagsanierung
noch vermehrt worden. Die durch Sanie-
rung freigesetzten Bewohner waren umge:
siedelt worden in die neuen Stadtrand-
siedlungen. Bei sinkender Bevölkerungs-
zahl würden größere Neubaumaßnahmen
nur durch weitergeführte radikale Sanie-
rungsmaßnahmen bzw. Freisetzungen
aufzufüllen sein. Dem stehen die sozialen
Folgekosten solcher Maßnahmen gegen-
über, Verwahrlosungserscheinungen in
den Neubauvierteln allem voran, aber
auch die innerstädtischen Folgen radika-
ler Sanierung.
Gleichzeitig kam ein anderes Problem
zum Bewußtsein: man hatte die großen
Neubauviertel auf Flächen gebaut, die
eigentlich dringend als Erholungsgebiete
der angrenzenden Arbeiterviertel ge-
braucht würden. Besonders eklatant ist
dies im Südosten der Fall. In Neukölln
gibt es einerseits im Norden das überaus
dicht bebaute alte Stadtgebiet, anderer-
seits den anarchisch mit Hochhaustürmen
und ärmlichen Siedlungshäusern gelockert
bebauten Süden, aber keinerlei Waldgebie-
te. Die einzige Auslaufmöglichkeit boten
früher die innerhalb der Stadtgrenze, also
der Mauer, liegenden landwirtschaftlichen
Flächen der Dörfer Britz, Bukow und Ru-
dow. Eben die hatte man aber mit der
Gropiusstadt vollgebaut. Übrig bleiben
zwei Flächen: Einmal gibt es noch das
Britzer Gartengelände, das für die Bundes-
gartenschau 1985 ausgebaut werden soll,
um die eingetretene Entwicklung zu
kompensieren, das aber im wesentlichen
aus Kleingartengelände, Gärtnereiland
und Friedhofsgelände besteht — der
Zuwachs wird also weitgehend auf
Ästhetik und Vergnügungseinrichtungen
beschränkt sein, ein Modernisierungsakt :
das andere Gelände ist das hier in Frage
stehende Rudower.
Wie reagiert nun dort die Neue Hei-
mat auf die veränderte Lage? Sie plante
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