Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

In einem weiter gefaßten Verständnis 
von sozialer Infrastruktur wird der Auf- 
bau einer Gemeinwesenarbeit für not- 
wendig gehalten, mit der Anfang 1979 
begonnen wird. Sie soll als Hilfe Zur 
Selbsthilfe so verstanden werden, daß 
sie die ansässige Bevölkerung aktiv in 
die Lage versetzt, für ihre Interessen 
einzutreten. Die gegenwärtige personel- 
10) 
le und finanzielle Ausstattung kann an- 
gesichts der Größe des Projektes nur als 
erster Schritt angesehen werden.” Vgl. 
R.SELLNOW, a.a.O, 
J. WOLF, ‘Das Vorkaufsrecht nach 
824a Bundesbauge. etz — ein wirksames 
Instrument zur Sicherung von städti- 
schen Erhaltungszielen’, in: Blätter f 
11) 
Grundstücks-, Bau- und Wohnungs- 
recht 12/78, S. 230—233. 
Stadt Mülheim a.d, Ruhr, Arbeitersied- 
lung Mausegattstraße, dazu auch J. 
WOLF, ‘Mausegatt — Der Fall einer 
Bergarbeitersiedlung’, zur Veröffent- 
lichung in den ‘Gewerkschaftlichen 
Monatsheften’ vorgesehen. 
Dieter Hoffmann-Axthelm 
Doppelt betroffen 
Zum Zusammenhang von Stadtzerstörung und Landschafiszerstörung - Ein Erlebnisbericht 
Der Zufall will es, daß ich gegenwärtig 
an zwei weit auseinanderliegenden Punk- 
ten Berlins vom Widersinn kommunaler 
Funktionsplanung mehr oder minder 
persönlich betroffen bin. Der eine Punkt 
ist der geplante Ausbau der südlichen 
Friedrichstadt zum internationalen Aus- 
stellungsobjekt, — ich habe darüber in 
ARCH+ 40/41 berichtet. Der zweite 
Punkt ist ein Garten, den ich seit vielen 
Jahren gepachtet habe, in einer gerade 
noch bestehenden grünen Randzone im 
äußersten Südosten Westberlins, in 
einem Gebiet, das die Neue Heimat sich 
nun anschickt zu bebauen. 
Ich will hier nicht groß die Trommel 
rühren und auf Skandal machen — die 
Sache ist zwar skandalös, aber sozusa- 
gen in einer ganz routinemäßigen Art 
und Weise, in einer Reihe mit hundert 
anderen ähnlichen Skandalen. Was ich 
zeigen möchte, ist die Logik, die mir'an- 
hand meiner zufälligen doppelten Betrof- 
fenheit aufgeht. Zufällig ist dabei näm- 
lich nur, daß ich beides zugleich zu spü- 
ren bekomme — normalerweise ist man 
ja auf einen einzigen Erfahrungsort, näm- 
lich Wohnstandort, festgelegt, kann sich 
vielleicht die andere Seite ergänzen, er- 
fährt sie aber nicht unmittelbar. Der Zu- 
sammenhang von innerstädtischer Entvöl- 
kerung und Zubauen der Erholungszonen 
am Stadtrand ist aber alles andere als 
zufällig. Er ist allgemeine Planungstradi- 
tion, und das besonders auch in Berlin, 
obwohl die Methode gerade hier ein ganz 
offensichtlicher Irrsinn ist, weil die Rand- 
zonen nicht beliebig ins freie Land hinein- 
geschoben werden können, sondern hart 
an die ringsum einschnürende Mauer 
stoßen. 
Mein Garten liegt innerhalb der soge- 
nannten Pfarrlandsiedlung in Rudow, 
zwischen Dorf und Trümmerberg, nahe 
der Grenze. Das Gelände, ungefähr 25ha 
groß, wurde vor langer Zeit testamenta- 
risch der Kirchengemeinde Rudow ver- 
macht mit der Auflage, es nie zu verkau- 
fen, also einem formellen Spekulations- 
verbot. Über die Finanzfragen haben 
aber schon lange nicht mehr die Einzel- 
gemeinden zu entscheiden, und auch der 
Kirchenkreis Neukölln, der lange die Ver- 
waltung besorgt, Pachtverträge geschlos- 
sen und den jährlichen Pachtzins erhoben 
hat, hat seit etwa drei Jahren keine Ver- 
fügung darüber mehr, die hat der Stadt- 
synodalverband an sich gezogen. Das ist 
die kirchliche Verwaltung, die so unsen- 
timental und praktisch denkt wie alle an- 
deren Verwaltungen auch. Für sie ist das 
Land schlichtweg Geld, und Geld braucht 
sie, nachdem das Einkommen aus der 
Kirchensteuer in den letzten zehn Jahren 
durch gehäufte Austritte spürbar zurück- 
gegangen ist. Es wurde also ein potenter 
Käufer gesucht, und dieser präsentierte 
sich in der Neuen Heimat. 
Das war der Anfang der siebziger Jah- 
re. Das märkische Viertel war gebaut, es 
wurden Nachfolgeobjekte vorbereitet, um 
in gewohnter Weise weiterbauen zu kön- 
nen: Düppel-Süd, Gartenkolonie Ruhwald, 
Vierter Ring Lichterfelde. In Rudow ging 
es um nichts anderes, nur war das kein 
staatlich organisiertes Projekt, für das 
Wettbewerbe ausgeschrieben wurden, son- 
dern die großen Baugesellschaften gingen 
in aller Stille selber an die Arbeit, kauften 
Land und fingen an zu bauen, so daß dank 
dieser individuellen Vorgehensweise die 
Bebauung der Rudower Gemarkung in der 
Öffentlichkeit nicht weiter auffie! und, 
im Unterschied zu den vorgenannten Pro- 
jekten, in der Presse nie Schlagzeilen mach 
te. Das Land zwischen dem Dorf Rudow 
und der Pfarrlandsiedlung ist inzwischen 
mit bis zu zehnstöckigen Wohnanlagen 
bebaut, und der Senat sorgte für eine brei- 
te, autogerechte Erschließungsstraße, die 
nun aufreizend am Rande der Pfarrland- 
siedlung vorbeiführt. Die Neue Heimat 
plante denn auch eine dichte Bebauung 
zehn Geschosse hoch, wollte das Gelände 
aber nicht eher übernehmen, als bis aller 
Ärger mit den auf dem Gelände anwesen- 
den Pächtern und Siedlern bereinigt wäre. 
Die Pächter wohnen in größerer Zahl 
auf dem Gelände und haben sich schon vor 
langer Zeit zu einer Siedlungsgenossen- 
schaft zusammengeschlossen, um die Um- 
wandlung des Pachtlandes in ein Siedlungs- 
gelände zu betreiben. In der Hoffnung 
darauf bauten sie sich, von der Bauauf- 
sicht unbehelligt, nach Feierabend auf 
den von ihnen gepachteten Landstücken 
feste Häuser, legten Brunnen an, ließen 
sich an das Strom-Netz anschließen. Um 
das Land ihrerseits zu kaufen und eine 
den bauaufsichtlichen Forderungen ent- 
sprechenden Erschließung — Kanalisa- 
tion, Wasser, Strom usw. — auf die Beine 
zu stellen, dazu hatten sie natürlich nicht 
das Geld. Zugleich war und ist das Gelän- 
de im amtlichen Flächennutzungsplan 
als Baulandreserve eingetragen, so daß es 
juristisch, von der ungünstigen Position 
des Pächters nach geltendem Recht ein- 
mal ganz abgesehen, für die Neue Hei- 
mat kein Hindernis gibt. Verständlicher- 
weise wollten die Leute aber auch nicht 
weg vom Gelände, die Sache zog sich 
also hin. 
Inzwischen gab es einen Ruck in der 
Baupolitik. Die Planungen für neue Groß: 
siedlungen wurden eingestellt, der Wie- 
deraufbau der brachliegenden innerstädti- 
schen Flächen sollte Vorrang erhalten. Es 
zeigte sich, daß man über seine Verhält- 
nisse gelebt hatte. Ganze Viertel im alten 
Stadtzentrum waren unbebaut liegen ge- 
blieben und durch Kahlschlagsanierung 
noch vermehrt worden. Die durch Sanie- 
rung freigesetzten Bewohner waren umge: 
siedelt worden in die neuen Stadtrand- 
siedlungen. Bei sinkender Bevölkerungs- 
zahl würden größere Neubaumaßnahmen 
nur durch weitergeführte radikale Sanie- 
rungsmaßnahmen bzw. Freisetzungen 
aufzufüllen sein. Dem stehen die sozialen 
Folgekosten solcher Maßnahmen gegen- 
über, Verwahrlosungserscheinungen in 
den Neubauvierteln allem voran, aber 
auch die innerstädtischen Folgen radika- 
ler Sanierung. 
Gleichzeitig kam ein anderes Problem 
zum Bewußtsein: man hatte die großen 
Neubauviertel auf Flächen gebaut, die 
eigentlich dringend als Erholungsgebiete 
der angrenzenden Arbeiterviertel ge- 
braucht würden. Besonders eklatant ist 
dies im Südosten der Fall. In Neukölln 
gibt es einerseits im Norden das überaus 
dicht bebaute alte Stadtgebiet, anderer- 
seits den anarchisch mit Hochhaustürmen 
und ärmlichen Siedlungshäusern gelockert 
bebauten Süden, aber keinerlei Waldgebie- 
te. Die einzige Auslaufmöglichkeit boten 
früher die innerhalb der Stadtgrenze, also 
der Mauer, liegenden landwirtschaftlichen 
Flächen der Dörfer Britz, Bukow und Ru- 
dow. Eben die hatte man aber mit der 
Gropiusstadt vollgebaut. Übrig bleiben 
zwei Flächen: Einmal gibt es noch das 
Britzer Gartengelände, das für die Bundes- 
gartenschau 1985 ausgebaut werden soll, 
um die eingetretene Entwicklung zu 
kompensieren, das aber im wesentlichen 
aus Kleingartengelände, Gärtnereiland 
und Friedhofsgelände besteht — der 
Zuwachs wird also weitgehend auf 
Ästhetik und Vergnügungseinrichtungen 
beschränkt sein, ein Modernisierungsakt : 
das andere Gelände ist das hier in Frage 
stehende Rudower. 
Wie reagiert nun dort die Neue Hei- 
mat auf die veränderte Lage? Sie plante 
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