„Die Kleingärtner sind aufgerufen, bauliche „Auswüchse” (Bild links) zu beseitigen.”
um, von zehngeschossigen Wohnhäu-
sern auf eine kleinteilige Parzellierung
des Geländes mit Grundstückgrößen von
250—500 m2 und entsprechender villen-
artiger Bebauung — zweistöckige Häuser
im Grünen —, und sie benutzte die Zwi-
schenzeit, um die dort angebauten Sied-
ler im einzelnen zu bearbeiten. Unter
den Siedlern breitete sich Resignation
aus: aus Angst, möglicherweise unent-
schädigt alles zu verlieren, stellte man
sich am Ende jahrelanger Unsicherheit
schließlich auf die reale Möglichkeit einer
sicheren Entschädigung durch die Neue
Heimat ein. Gleichzeitig handelte ein
Rechtsanwalt für den Vorstand der Ge-
nossenschaft ein Angebot mit der Neuen
Heimat aus, das von der Mehrheit der
Siedler als das günstigste im Rahmen des
Erreichbaren akzeptiert werden würde.
Auffällig ist in dem endgültigen Vertrag
die Bereitschaft der Neuen Heimat, wert-
volle Bausubstanz zu übernehmen und den
Eigentümern den Erwerb eines entsprechen:
den Grundstücks zu ermöglichen — man
geht nicht fehl mit der naheliegenden Ver-
mutung, daß dies auf die Häuser von Vor-
standsmitgliedern zutrifft. Diejenigen von
den dort fest Wohnenden, die räumen müs-
sen, sind, wie immer, die „einfachen’’ Leu-
te, Die eigentliche Abstimmung über den
Vertrag durch die Genossenschaftsmitglie-
der im Gemeinschaftshaus Neukölln war
die übliche vorbereitete Farce. Mit dem
Vertrag hatte man einen Abstimmungszet-
tel zugeschickt bekommen, der nur eine
Zustimmung vorsah, und fast die Hälfte
der Zettel lag schon vor Beginn der Veran-
staltung vorne auf dem Vorstandstisch
— im übrigen freundliches Händeschütteln
mit den Herren von der Neuen Heimat.
Das alles ist also gelaufen, wie so etwas
nun einmal läuft. Was bleibt, ist die Un-
fähigkeit der Stadtplanung, ihre eigenen
Ziele durchzusetzen. Im Süden des Be-
zirks Tempelhof, in Lichtenrade, ist es
der Wirtschaftssenator, der sich von der
Zerstörung des letzten zusammenhängen-
den Landschaftsstücks in diesem Bezirk
nicht abhalten lassen will. Es ist ein wun-
derschönes Wiesengelände, noch immer
trotz der sinnlos dort gebauten und seit
dem Müllvertrag mit der DDR als Investi-
tionsruine dort vergammelnden Müllzer-
kleinerungsanlage; aber Industrie soll hin,
gerade dort, obwohl man überall in Ber-
lin händeringend Industriebetriebe sucht
und der Bezirk anderwärts entsprechende
Freiflächen hat. Ähnlich steht es in
Neukölln. Der Bezirk wird, vom Etiketten-
schwindel der Bundesgartenschau abge-
sehen, zugebaut bis an die Mauer, gemäß
den herkömmlichen Funktionszuweisun-
gen: feiner Südwesten und proletarischer
Südosten. Daß die Gropiusstädter auf
den verbleibenden Wegen schon heute
sich auf die Füße und den letzten Bauern
auf die verbliebene Saat treten, weil man
nirgendwo mehr auf natürlicher Erde
laufen kann, das kümmert weder den Bau-
senat noch die Neue Heimat.
Die Inkonsequenz geht aber weiter.
Die Häuser, die die Neue Heimat in Ru-
dow ins Grüne zu setzen beabsichtigt,
sind zugleich ein Mißtrauensvotum an
die Adresse des umgrünten Stadthauses,
das der Stadtbaurat — mit guten Grün-
den — für die südliche Friedrichstadt
propagiert. Daß die Neue Heimat sich
nicht darum kümmert, sondern kleine
Häuser am Stadtrand für besser vermiet:
bar hält, wird keinen überraschen. Daß
man sie gewähren läßt, das ist das Pro-
blem. Als wäre nicht lange genug der
grüne Rand der Stadt für die, die es sich
leisten können. als Wohnzone ausgebaut
Bild rechts: Erholungswert.
worden, genau so extensiv, wie man an-
derswo den Mietskasernen und später den
Großsiedlungsbau betrieb. Wer eigentlich
soll in der südlichen Friedrichstadt oder
im Tiergartenviertel wohnen? Die nicht-
türkischen bzw. nichtstudentischen Be-
wohner des östlichen Kreuzberg („‚SO 36”)
per Sanierungsfreisetzung dahin zu ver-
schieben, das kann bei den zu erwarten-
den Mieten doch nicht die Absicht sein.
Oder will man die proletarischen Stadt
randsiedler, im Zuge der Aufwertung der
Randsituation zum mittelständischen
Grünviertel oder Erholungspark, wieder
in die Innenbezirke zurückbringen, aus
denen sie kamen? Solange es in Zehlen-
dorf noch Grundstücke gab, waren diese
Selbsthilfebauten im anarchischen Süd-
osten tolerierbar — jetzt zeigt man mit
Fingern darauf, sieht „„Auswüchse”’,
schreitet die Bauaufsicht ein und schlägt
die Neue Heimat zu — alles natürlich,
um „die Attraktivität des Südostens ins-
gesamt zu verbessern” (Originalton Senat
Bau/Wohnen). Für wen?
Das ist also noch immer der klassische
Funktionszusammenhang von Stadtrand
und Innenstadt, zugespitzt in Westberlin
als einer ummauerten Teilstadt. Es geht
bei der Funktionsplanung nicht nur um
ökonomische Transaktionen, Wohnquali-
tät, sondern vor allem werden, je nach
Bedarf, Menschen hin- und hergeschoben.
Das Zubauen der Ränder verstopft auch
nicht nur die letzten Zugänge zu nicht-
asphaltiertem Gelände, es zementiert zu-
gleich den Status der nicht als City nutz-
baren Innenstadt als Kolonie und stadt-
planerischen Lagerplatz. Kreuzberg ist
längst soweit, Neukölln auf dem besten
Wege.
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