Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

„Die Kleingärtner sind aufgerufen, bauliche „Auswüchse” (Bild links) zu beseitigen.” 
um, von zehngeschossigen Wohnhäu- 
sern auf eine kleinteilige Parzellierung 
des Geländes mit Grundstückgrößen von 
250—500 m2 und entsprechender villen- 
artiger Bebauung — zweistöckige Häuser 
im Grünen —, und sie benutzte die Zwi- 
schenzeit, um die dort angebauten Sied- 
ler im einzelnen zu bearbeiten. Unter 
den Siedlern breitete sich Resignation 
aus: aus Angst, möglicherweise unent- 
schädigt alles zu verlieren, stellte man 
sich am Ende jahrelanger Unsicherheit 
schließlich auf die reale Möglichkeit einer 
sicheren Entschädigung durch die Neue 
Heimat ein. Gleichzeitig handelte ein 
Rechtsanwalt für den Vorstand der Ge- 
nossenschaft ein Angebot mit der Neuen 
Heimat aus, das von der Mehrheit der 
Siedler als das günstigste im Rahmen des 
Erreichbaren akzeptiert werden würde. 
Auffällig ist in dem endgültigen Vertrag 
die Bereitschaft der Neuen Heimat, wert- 
volle Bausubstanz zu übernehmen und den 
Eigentümern den Erwerb eines entsprechen: 
den Grundstücks zu ermöglichen — man 
geht nicht fehl mit der naheliegenden Ver- 
mutung, daß dies auf die Häuser von Vor- 
standsmitgliedern zutrifft. Diejenigen von 
den dort fest Wohnenden, die räumen müs- 
sen, sind, wie immer, die „einfachen’’ Leu- 
te, Die eigentliche Abstimmung über den 
Vertrag durch die Genossenschaftsmitglie- 
der im Gemeinschaftshaus Neukölln war 
die übliche vorbereitete Farce. Mit dem 
Vertrag hatte man einen Abstimmungszet- 
tel zugeschickt bekommen, der nur eine 
Zustimmung vorsah, und fast die Hälfte 
der Zettel lag schon vor Beginn der Veran- 
staltung vorne auf dem Vorstandstisch 
— im übrigen freundliches Händeschütteln 
mit den Herren von der Neuen Heimat. 
Das alles ist also gelaufen, wie so etwas 
nun einmal läuft. Was bleibt, ist die Un- 
fähigkeit der Stadtplanung, ihre eigenen 
Ziele durchzusetzen. Im Süden des Be- 
zirks Tempelhof, in Lichtenrade, ist es 
der Wirtschaftssenator, der sich von der 
Zerstörung des letzten zusammenhängen- 
den Landschaftsstücks in diesem Bezirk 
nicht abhalten lassen will. Es ist ein wun- 
derschönes Wiesengelände, noch immer 
trotz der sinnlos dort gebauten und seit 
dem Müllvertrag mit der DDR als Investi- 
tionsruine dort vergammelnden Müllzer- 
kleinerungsanlage; aber Industrie soll hin, 
gerade dort, obwohl man überall in Ber- 
lin händeringend Industriebetriebe sucht 
und der Bezirk anderwärts entsprechende 
Freiflächen hat. Ähnlich steht es in 
Neukölln. Der Bezirk wird, vom Etiketten- 
schwindel der Bundesgartenschau abge- 
sehen, zugebaut bis an die Mauer, gemäß 
den herkömmlichen Funktionszuweisun- 
gen: feiner Südwesten und proletarischer 
Südosten. Daß die Gropiusstädter auf 
den verbleibenden Wegen schon heute 
sich auf die Füße und den letzten Bauern 
auf die verbliebene Saat treten, weil man 
nirgendwo mehr auf natürlicher Erde 
laufen kann, das kümmert weder den Bau- 
senat noch die Neue Heimat. 
Die Inkonsequenz geht aber weiter. 
Die Häuser, die die Neue Heimat in Ru- 
dow ins Grüne zu setzen beabsichtigt, 
sind zugleich ein Mißtrauensvotum an 
die Adresse des umgrünten Stadthauses, 
das der Stadtbaurat — mit guten Grün- 
den — für die südliche Friedrichstadt 
propagiert. Daß die Neue Heimat sich 
nicht darum kümmert, sondern kleine 
Häuser am Stadtrand für besser vermiet: 
bar hält, wird keinen überraschen. Daß 
man sie gewähren läßt, das ist das Pro- 
blem. Als wäre nicht lange genug der 
grüne Rand der Stadt für die, die es sich 
leisten können. als Wohnzone ausgebaut 
Bild rechts: Erholungswert. 
worden, genau so extensiv, wie man an- 
derswo den Mietskasernen und später den 
Großsiedlungsbau betrieb. Wer eigentlich 
soll in der südlichen Friedrichstadt oder 
im Tiergartenviertel wohnen? Die nicht- 
türkischen bzw. nichtstudentischen Be- 
wohner des östlichen Kreuzberg („‚SO 36”) 
per Sanierungsfreisetzung dahin zu ver- 
schieben, das kann bei den zu erwarten- 
den Mieten doch nicht die Absicht sein. 
Oder will man die proletarischen Stadt 
randsiedler, im Zuge der Aufwertung der 
Randsituation zum mittelständischen 
Grünviertel oder Erholungspark, wieder 
in die Innenbezirke zurückbringen, aus 
denen sie kamen? Solange es in Zehlen- 
dorf noch Grundstücke gab, waren diese 
Selbsthilfebauten im anarchischen Süd- 
osten tolerierbar — jetzt zeigt man mit 
Fingern darauf, sieht „„Auswüchse”’, 
schreitet die Bauaufsicht ein und schlägt 
die Neue Heimat zu — alles natürlich, 
um „die Attraktivität des Südostens ins- 
gesamt zu verbessern” (Originalton Senat 
Bau/Wohnen). Für wen? 
Das ist also noch immer der klassische 
Funktionszusammenhang von Stadtrand 
und Innenstadt, zugespitzt in Westberlin 
als einer ummauerten Teilstadt. Es geht 
bei der Funktionsplanung nicht nur um 
ökonomische Transaktionen, Wohnquali- 
tät, sondern vor allem werden, je nach 
Bedarf, Menschen hin- und hergeschoben. 
Das Zubauen der Ränder verstopft auch 
nicht nur die letzten Zugänge zu nicht- 
asphaltiertem Gelände, es zementiert zu- 
gleich den Status der nicht als City nutz- 
baren Innenstadt als Kolonie und stadt- 
planerischen Lagerplatz. Kreuzberg ist 
längst soweit, Neukölln auf dem besten 
Wege. 
9”
	        

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