desto mehr können sie ihre Wohnung
und ihr Wohnumfeld nach ihren eigenen
Interessen verändern. Wo sich die Bevöl-
kerung einen Wohnbereich aneignet,
kann man von „zweiten Architekten”
sprechen, wenn sie ihn nach ihren Bedürf-
nissen umgestalten.
nierung von Ladenburg (Neckar) wird
mit Rahmenplänen betrieben, die klein
maßstäblich ohne Zwang zur Vollstän-
digkeit und flexibel angelegt sind.
Pläne werden im übrigen nicht nur
dort benötigt, wo sie als juristische Fest-
legungen von Parlamenten verabschiedet
werden sollen, sondern sie können auch
dazu dienen, Überlegungen und Prozesse
darzustellen. Jeder Block und jede Sied-
lung sollte seine eigenen Pläne für eine
soziale Infrastruktur haben (vgl. Pavia).
Soziale Infrastruktur umfaßt dabei jede
Art von Verbesserung des Wohnumfeldes.
ORGANISATION DER ANEIGNUNG
Wie kann die Aneignung durch die Be-
nutzer organisiert werden?
7. Beispiel: In den Niederlanden gibt es
freiheitlichere Gesetze und ein entwickeltes
Selbstvertrauen vieler Menschen. Der Ge-
setzgeber hat das Leerstehenlassen von Häu-
sern angesichts der Wohnungsnot zu Recht Aufgabe des Staates (der dazu in. demo:
als unsoziales Verhalten angesehen und kratischen Prozessen gezwun rd
Konsequenzen gezogen: er stellt das soziale SO TOZESBEN gEZWÜNGSN WErGEN
Recht des Wohnens über das Figentumsrecht: mu) An . x
daher dürfen leerstehende Wohnungen be- edit Rahmenbedinqungen FON
. RA x ren, die die eigene Tätigkeit — einzeln
setzt werden (niederländisch: kraken). Vie- und in der Gruppe — ermöglichen und
le junge Menschen sind so selbstbewußt, Tördern
Pen ee gas Uiete vor Betten lu die Mittel bereitzustellen, die über die
sern aufzuweisen. Die Hausbesetzer (Kra- nee en Möolichkeiten und über
ker) haben sich zu einer Vereinigung zu- die der Gruppe hinausgehen,
wichtige Voraussetzungen zu schaffen
sammengeschlossen, zum Krakbond. Sie Erschließung u.a;)
machen eine eigene Zeitschrift und veran- CS Van 9
ie Beratung zu organisieren und zu
staiten Tagungen. finanzieren. die die eigenen Möglich-
2. Beispiel: Die 1972 gegründete Arbeiter- keiten überstei 9 9
initiative Eisenheim in einer Oberhause- Se HE StEINEn.
ner Arbeitersiedlung rief für ihr Viertel
die Selbstverwaltung aus. Die Leute sag-
ten: Nichts geht mehr ohne uns. Wenn
der Eigentümer der Häuser oder eine Büro-
kratie etwas in unserem Viertel tun, will,
müssen sie mit uns reden. Im Rahmen der
Sanierung (nach Städtebauförderungsge-
setz) nutzten die Bewohner die Mitbe-
stimmungsrechte. Weiterhin funktionier-
ten sie ein nicht mehr benötigtes Wasch-
haus zu einem Volkshaus um, ein zweites
zu einem Kinderhaus. Im Volkshaus feiern
sie nicht nur ihre Feste, sondern sie halten
dort auch jeden Monat eine Vollversamm-
lung ab, wo sie besprechen, was sie tun
wollen. Sie haben sich im Kampf um
ihre Erhaltung gesagt: Einfach anfangen!
Nach fünf Jahren hatten sie gewonnen
und die Siedlung wurde modernisiert
— nach den Wünschen der Bewohner.
Jetzt bleiben sie als Selbstverwaltung der Literatur: nn
Siedlung zusammen und entwickeln gemein- ” DOT RETTEN (VS EN HE Dra
sam ihr sozialkulturelles Leben. Dafür ver- 1976, S. 22/27 (Beraternetz).
lieh ihnen die Kulturpolitische Gesellschaft — Wilfried NELLES/Reinhard OPPERMANN,
den Kulturpreis 1978. Alternativen der Politikberatung. Beratung
3. Beispiel: Mehrere Stadtkreise (Boroughs) N EKT OT TOT a Bere dr Po:
von London sind mit einem Netz von de- Arbeitersiedlungen im Ruhrgebiet: ARCH+
mokratisch gewählten Nachbarschaftsräten 38/1978, S. 34/38
(neighbourhood councils) überzogen. Sie
ermuntern die Bevölkerung zur Selbstor-
ganisation im Quartier und zu Mietergrup-
pen. (Val. auch Bologna und Pavia).
Max Frisch über Planer:
„Viele Architekten begehen die Rück-
sichtslosigkeit, für sich selbst zu e
bauen. Das können.sie tun, wenn
sie ein Monument bauen”
INFRASTRUKTURPLAN
Daß die gängigen Instrumente der Planung
wie der Flächennutzungsplan und der Be-
bauungsplan immer fragwürdiger werden,
'1äßt sich überall dort erkennen, wo Planung
nach differenzierten Bedürfnissen betrie-
ben wird.
Die außerordentlich aualitätsvolle Sa-
BERUFSPERSPEKTIVE FÜR PLANER
Die gängige Honorar-Ordnung ist aus der
Neubau-Tätigkeit abgeleitet. Sie prämiert
das Bauvolumen und damit auch die sinn-
lose Verschwendung. Jede Gemeinde hat
jedoch das Recht, als freie Vereinbarung
Dienstleistungsverträge mit Architekten
abzuschließen: für einen Stunden- oder
Tagesaufwand von Beratern.
Unter dieser Voraussetzung ist ein Be-
rater in der Lage, die Eigentätigkeit der
Bewohner mit fehlendem Expertenwissen
zu ergänzen. Und: er wird dafür honoriert,
daß er Hinweise für das Einsparen von
Finanzmitteln gibt.
Nach dem Vorbild des 1978 in Berlin
gegründeten Selbsthilfe-Netzwerks könner
sich Gruppen zusammentun und sich eine
„Zweite Steuer” auferlegen (projektorien-
tiert, zeitlich begrenzt). Diese zweite
Steuer kann dazu dienen, Berater-Tätig-
keiten zu honorieren.
Die Architekten müssen selbst in den
nächsten Jahren mithelfen, daß diese Mög-
lichkeiten entstehen: durch gezielte Be-
wußtseinsbildung.
Es geht nicht darum, einen Berufsstand
mit Überkapazität zu versorgen, sondern
real vorhandene Unterkapazitäten an Ex-
pertenwissen zugunsten der breiten Bevöl-
kerung zu decken.
Die Bewohner eines Blocks oder einer
Siedlung setzen durch, daß sie bestimmen
dürfen, wer den Planungsauftrag erhält.
Oder: sie setzen durch, daß zum Planer
des Investors oder der Gemeinde ein zwei-
ter Planer als Berater der Bewohner finan-
ziert wird. Selbstverständlich haben die
Bewohner das Vorschlagsrecht, wer sie be-
raten soll.
Beispiele: Am Anfang der Siebziger Jahre führte
die Frankfurter Volkshochschule erfolgreich
stadtweite Kurse mit der Bevölkerung im Hin-
blick auf eine bevölkerungsorientierte Stadt-
planung durch. Im Martinsviertel Darmstadt
fand advokatorische Planung statt. Bei der Sa-
nierung der Arbeitersiedlung Eisenheim (Ober
hausen) werden zwei Planer finanziert, die die
Arbeiterinitiative zusätzlich zu den offiziellen
Planern durchgesetzt hat.
Bürgernahe Planung und „Mehr
Demokratie wagen” (Willi Brandt)
sind bislang nur Wählparolen ge-
blieben.
SOZIALE KOMMUNALPOLITIK
Wir haben keine soziale Kommunalpoli-
tik. Wir müssen sie erst in einem langen
Prozeß von unten her durchsetzen.
Nichts hindert uns daran, uns vorzu-
stellen, wie sie aussehen könnte.
Prinzipien:
® Statt zentralistische Denkmäler zu
klotzen, werden dezentrale Maßnah-
men gefördert. Das heißt: statt weni-
ger großer Schritte werden viele
kleine gemacht.
Statt die Maßnahme von oben zu pla:
nen und durchzuführen, wird sie mit
der Bevölkerung geplant und durch-
geführt.
Sie bildet einen Ansatzpunkt, um
nicht mehr paternalistisch von oben
her aufzupfropfen und lediglich zu
versorgen, sondern es wird nun die
Eigentätigkeit der Bevölkerung aufge
nommen oder vorsichtig herausaefor-
50