feldplanungen etc. müssen auf ihre sozia-
len und soziokulturellen Konsequenzen
hinterfragt werden. Nur so können die
durch die Stadtplanung und den Stadtum-
bau selbst bedingten sozialen Erosionspro-
zesse eingedämmt werden. In der Stadt-
teil- und Quartiersentwicklungsplanung
müssen Modelle sozialer Zwangsmischung
zugunsten der Erhaltung homogener — auch
„einseitiger”” — Sozialstrukturen aufgegeber
werden. Dabei ist Ghetto-Bildung zu ver-
meiden, indem die Kommune verstärkt
von ihrem bau- und wohnungsaufsichts-
rechtlichen Instrumentarium Gebrauch
macht, gezielt im Bereich der sozialen
Infrastruktur investiert und so einer
Verslumung entgegenwirkt.
3. Unterstützung stadtteilbezogener
Kulturinitiativen, Dezentralisierung
kommunaler Kulturinvestitionen
Anstelle der zentralen Kulturaktivitäten
in den meist menschenleeren Citys sollte
sich der Schwerpunkt städtischer Kul-
turaktivitäten in die Stadtteile verlagern.
Wie teilweise im nördlichen Ruhrgebiet
der Fall (Westfälisches Landestheater
Castrop-Rauxel) sollten die Theater
zum Zuschauer bzw. Teilnehmer kom-
men.
Darüber hinaus müssen die Städte
wesentlich mehr als bisher die kulturel-
te Eigeninitiative der Bevölkerung (z.B.
Initiativen für Volkshäuser, Theater- und
Musikgruppen etc.) vorurteils- und bevor-
mMmundunasfrei unterstützen.
2. Dezentralisierung des Angebots an
sozialer Infrastruktur
Maßnahmeschwerpunkte sind hier insbe-
sondere die Bereiche Bildung und Kultur
sowie Medizin.
Die ärztliche Versorgung in den Aus-
länderschwerpunkten ist i.a. wesentlich
schlechter als in den besseren Gebieten
der deutschen Wohnbevölkerung. Ähn-
liches gilt für die deutschen Arbeiter-
Quartiere, vor allem die peripheren Wohn-
siedlungen der 60er Jahre. Hier muß die
Gemeinde gezielt auf die Niederlassung
praktischer Ärzte — auch ausländischer —
hinwirken.
Im Bereich der Bildungspolitik muß
die Tendenz der letzten Jahre zur Zentra-
lisierung von Bildungseinrichtungen kri-
tisch überprüft werden. Aufgrund der
bekannten Wechselwirkung zwischen An-
gebot und Wahrnehmung des Bildungsan-
gebotes müssen verstärkt die sozial be-
nachteiligten Stadtteile, vor allem auch
die Ausländerquartiere, berücksichtigt
werden.
Die Forderung nach Dezentralisierung
des Bildungsangebotes gilt auch im be-
sonderen Maße für die Erwachsenenbil-
dung durch die VHS und hier insbesonde-
re für Sprachkurse für Ausländer.
Ein weiterer Schwerpunkt der dezen-
tralen VHS-Arbeit sollte die Behandlung
von Konflikten im Stadtteil (Verkehrs-
Planungen, Sanierungen etc.) bzw. im
Wohnbereich (Modernisierunasprobleme.
Mietentwicklung etc.) sein. Zusammen
mit den örtlichen Gewerkschaften (z.B.
im Rahmen von „Arbeit und Leben”)
sollten Probleme der Beziehung zwischen
Wohnen und Arbeiten bzw. des Mobili-
tätszwanges stadtteil- bzw. quartiersbe-
zogen aufgearbeitet werden.
Ss.
A
4. Aufbau eines stadtteilbezogenen Sy-
stems von „Häusern der offenen Tür”
Materielle Voraussetzung für die Dezen-
tralisierung kommunaler Kulturaktivitä-
ten ist der Aufbau eines Netzes stadtteil-
bezogener Kultur- und Kommunikatians-
zentren. Diese Zentren müssen ‚„‚Häuser
der offenen Tür’ sein und von den Be-
nutzern selbst verwaltet werden. ‚‚Häuser
der offenen Tür” wären die Kristallisations-
punkte stadtteilbezogener sozialer und
kultureller Aktivitäten der deutschen und
ausländischen Bevölkerung: von VHS-
Kursen über Theater- und Musikveranstal-
tungen bis zu den Treffs von Mieter-, Ar-
beitslosenselbsthilfeinitiativen etc.
5, Anerkennung der soziokulturellen
Nutzungsansprüche nicht-mittelstän-
discher, insbesondere ausländischer
Wohnbevölkerung an das Wohnumfeld
Wie oben aufgezeigt, sind die Belastungen
und Risiken des industriellen Produktions-
prozesses klassen- und schichtenspezifisch
verteilt. Eine arbeitaehmerorientierte
Wohnumfeldplanung muß hieraus den
Schluß ziehen, den Regenerationsansprü-
chen dieser Teile der Bevölkerung beson-
dere Priorität einzuräumen, um die fakti-
sche Benachteiligung nicht noch weiter
zu verschärfen. Für die planerische Praxis
heißt das nicht nur eine Neufestsetzung
von Nutzungsprioritäten sondern ein
grundsätzliches Umdenken und eine Kri-
tik an mittelständischen Ordnungs- und
Ästhetikbegriffen.
Diese Forderung bezieht sich sowohl
auf Wohnumfeldverbesserung wie auf
die Wohnungsmodernisierung und das
Verhältnis beider zueinander. So wenig
es den Bedürfnissen der Bewohner einer
Arbeitersiedlung entspricht, wenn das
für mittelständische Bedürfnisse „zu klei-
ne” Wohnzimmer auf Kosten der ‚,zu gro:
ßen’” Wohnküche vergrößert wird — wie
häufig bei Modernisierungen der Fall —,
sowenig sinnvoll ist es, ausländischen
Arbeitern als Ersatz für ihr zerstörtes Gra-
beland einen Platz in einem Dauerklein-
garten anzubieten. Stadtteilpolitik und
-planung müssen hier eine neue Sensibili-
tät finden, vor allem aber müssen klare
politische Entscheidungen zugunsten
der „„‚Nischennutzungen” fallen. Die Vor-
aussetzungen hierfür sind jedoch in den
Stadtparlamenten — wie oben aufgezeigt -
denkbar gering; so wird die Verteidigung
dieser Form von Wohnqualität auch in
Zukunft wesentlich die Sache von Bürger-
initiativen bleiben.
Der Beitrag von U. Hellweg ist ein Aus-
zug aus einem längeren Aufsatz (‚Ansatz
punkte für eine arbeitnehmer- und sozlal-
orientierte Wohnum feldplanung im in-
dustriellen Verdichtungsraum”), der dem-
nächst in einem von Franz Pesch und
Klaus Selle herausgegebenen Reader erschei-
nen wird. Näheres im nächsten Heft.
1) Vgl. RWI: Motive und Strukturen der Wande-
rungen im Ruhrgebiet, Düsseldorf 1978, S. 24
2) Unter Beteiligung zahlreicher Bewohner wurde
das seit Jahren verfallende und schon fast zu-
gewachsene Gebäude freigelegt, gesäubert und
provisorisch instand gesetzt. Anläßlich des
UNESCO-Kongresses ‚„‚,Kultur und-Alltag’” im
Juni 1978 in Gelsenkirchen wurde ein Festa-
bend mit Musik und kaltem Buffet für die Be:
wohner und Kongreßteilnehmer veranstaltet,
der großen Anklang fand. In einem offenen
Brief an den Oberbürgermeister der Stadt er-
klären die Kongreßteilnehmer, daß es sich bei
dem Volkshaus um eine richtungsweisende
und beispielhafte Einrichtung handelt und
bitten den OB um eine bevormundungsfreie
Unterstützung solcher Initiativen. Mit einem
Aufwand von 60.000 DM könnte das alte
Waschhaus in ein Kulturzentrum und eine
Begegnungsstätte verwandelt werden, Bis
heute ist noch keine Entscheidung über eine
finanzielle Unterstützung seitens der Stadt ge-
fallen.
Vgl. „‚Entschließung zur Kultur- und Freizeit-
arbeit’’, Antrag des Jugendausschusses der
IG Metall, beschlossen von der 10. ordentli-
chen DGB-Bundesjugendkonferenz in Frank
furt/Main im Dezember 1977, in: Werkstatt,
Sonderheft: Gewerkschaft und Kulturarbeit
Nr. 13—15, 1978, S. 23.
„Zwar sind die Kulturetats in den letzten Jah-
ren absolut gestiegen, jedoch ist ihr Anteil
am Gesamthaushalt der Gemeinden zurückge-
gangen und liegt 1978 in den Städten, die
den Großteil aller Mittel für die Kulturarbeit
im Revier aufbringen, nämlich in Duisburg,
Essen, Bochum, Gelsenkirchen, Dortmund
und Hagen (2.800.000 Einwohner), zusammen
bei 4%. Dabei entfallen allein 55% auf die von
ihnen finanzierten Theater und Orchester,
17% auf die Büchereien und 7% auf die Wei-
terbildung.” ( EICHLER, K.: Kultur an der
Ruhr — Kulturelle Infrastruktur und Kommu-
nale Kulturpolitik im Revier, in: tendenzen
Nr. 121, Sept./Okt. 1978, 5, 8.
„So will Duisburg, die am höchsten verschul-
dete Stadt in der Bundesrepublik, im Rahmen
eines $taatlich verordneten Sparprogramms
bis 1985 vier Zweigstellen der Stadtbibliothek
schließen.” (ebd.)
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