Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

kanische Stadt zur Füllung jener theore- 
tischen Lücke beitragen, die daraus re- 
sultiert, daß sie Marx’schen Aussagen 
zur Grundrente nicht einfach auf das 
Problem der städtischen Bodenrente 
übertragbar sind. Mit dem Begriff der 
„Klassenmonopolrente”’ versucht Har- 
vey ein analytisches Instrument zu 
schaffen, das ein Verständnis des Zu- 
sammenhangs von Urbanisierung, öko- 
nomischen Besitz- und politischen 
Machtstrukturen möglich macht. Einwän- 
de gegenüber diesem Versuch lassen sich 
in dieser Besprechung kaum ausbreiten. 
Es sei jedoch empfohlen, Harveys Aussa- 
gen in einem Vergleich mit italienischen 
Arbeiten auf diesem Gebiet zu bringen, 
die m.E. bei gleicher Intention (Abse- 
hen von einer bloßen kategorialen Über- 
tragung, Einbezug der politischen Fak- 
toren) überzeugender argumentieren 
(vgl. die Beiträge in Stadt, Planung und 
städtischer Konflikt). 
Zusammenfassend kann man sagen, 
daß der Reader im ersten Teil inhaltlich 
wichtige und methodisch anregende Auf- 
sätze zur Analyse der städtischen Krise 
vor allem in den USA liefert, wobei die 
Beiträge von Läpple und Harvey eine 
Brücke und Anregung darstellen können, 
um das miteinzubeziehen, was an anderer 
Stelle — eher mit dem Blick auf die Dis- 
kussionen und Praxisansätze in Ländern 
wie Italien und Frankreich — bereits’ 
veröffentlicht worden ist. 
Der zweite Teil des Readers enthält 
neun Beiträge zum Thema „Städtische 
soziale Bewegungen” aus Italien, Frank- 
reich, England, Belgien und den USA. 
Auch hier sind die Kriterien der Aus- 
wahl wenig durchsichtig. Die Herausge- 
ber schreiben, daß es ihnen darauf an- 
kam, „kollektive Reaktionen und Ant- 
worten auf soziale Problemlagen in an- 
deren Ländern zu dokumentieren, die 
in Ansätzen auch in der BRD erkennbar 
sind’. Tatsächlich kommen aber in den 
publizierten Beiträgen alle nur eben 
denkbaren Kampf- und Organisations- 
formen im städtischen Konflikt vor und 
eine Auswahl nach dem von den Heraus- 
gebern genannten Kriterium ist nicht 
zu erkennen. Allerdings halten wir 
diese nicht selektive Breite eher für 
einen Vorteil, geht es doch weniger 
um die Ähnlichkeit von Aktionsformen 
als die Herausarbeitung grundsätzlicher 
Bestimmungen des neuen und noch ne- 
bulösen Subjekts „soziale (städtische) 
Bewegungen” und deshalb auch seine 
Präsentation in der ganzen Vielfalt, die 
es aufweist. Es wäre deshalb wünschens- 
wert gewesen, einen Beitrag über die 
spanischen städtischen Bewegungen, die 
heute zu den politisch und sozial ent- 
wickeltsten in ganz Westeuropa gehören, 
in den Band aufzunehmen. Bei den sicher- 
lich gegebenen Restriktionen im Gesamt- 
umfang wäre dabei der Beitrag von Nella 
GINATEMPO und Antonella CAMMA- 
rota verzichtbar gewesen, behandelt er 
doch ein sehr spezifisches Problem, das an 
keiner anderen Stelle wieder aufgenom- 
men wird: wo unterscheiden sich die 
Strukturen der süditalienischen Städte 
(und man könnte allgemeiner sagen, der 
Städte in unterentwickelten Bereichen 
der südeuropäischen Randländer) von 
den Städten in den dominierenden, 
früher durchkapitalisierten europäischen 
Regionen? 
Sechs der Beiträge im zweiten Teil des 
Bandes sind — im besten Sinne — eher 
journalistische Situations- und Konflikt- 
beschreibungen. Eddy CHERKI und Do- 
minique MEHL referieren in ihrem kurzen 
Beitrag einige Ergebnisse einer empiri- 
schen Studie, die sie zusammen mit 
Castells über urbane Bewegungen in der 
Region Paris und ihre Aktionen in den 
etzten zehn Jahren angefertigt haben 
‚einen vor allem den theoretischen An- 
satz der Studie näher erläuternden um- 
fangreichen Beitrag hat CASTELLS 
selbst geliefert; vgl.: L&s conditions d’emer- 
gence des mouvements sociaux urbains 
... in: International Journal of Urban 
and Regional Research 1/77). Bereits 
in diesem Beitrag wird deutlich, wie 
vielfältig die Träger, Ziele, Niveaus und 
Formen des politisch-sozialen städtischen 
Konflikts selbst unter gleichen Rahmen- 
bedingungen (denen der Region Paris) 
sein können. 
Ähnliches macht der Beitrag von Xa- 
vier GODTS über Stadtsanierung und 
städtische Konflikte in Brüssel deutlich, 
in dem allerdings nur am Rande etwas 
beschrieben wird, was — sehen wir ein- 
mal von Spanien ab — sonst in Westeuro- 
pa so nicht wiederzufinden ist: eine sta- 
bile Form der gemeinsamen Selbstorga- 
nisation der verschiedenen städtischen 
Initiativen, die parteilich aber doch auto- 
nom gegenüber den Parteien selbst Ana- 
Iysen und Alternativplanungen zu den 
brennendsten sozialen Problemen in der 
Stadtregion Brüssel betrieben (sehr zu 
empfehlen für jeden Besucher der Stadt: 
der von ihr herausgegebene alternative 
Stadtplan). 
Auch der Bericht von Giani SCUDO 
über die squatter-Bewegung in Großbri- 
tannien ist wie die beiden vorgenannten 
einem Schwerpunktheft der französi- 
schen Zeitschrift AUTREMENT entnom- 
men, das hier wegen der Fülle seiner Bei- 
träge zum Thema ‚‚Contre-pouvoirs 
dans la ville’”” nachdrücklich empfohlen 
sei (zu bestellen für 30 fr. bei 120, bd 
Saint-Germain — 75280 Paris-Cedex 06). 
Bei Scudos Beitrag drängt sich heute, 
1979, dem Leser sicherlich dieselbe Fra- 
ge auf, wie in fast all den Beiträgen des 
zweiten Teils, denen es eher um eine 
Konfliktdarstellung denn eigenständige 
theretische Aussagen zu tun ist: wie 
ging es weiter? 
®e Im Washingtoner Stadtteil Adams 
Morgan, wo die Schilderung von 
David MORRIS an dem Punkt abbricht, 
an dem sich ein selbstorganisiertes 
Stadtviertel, mit eigenen sozialen 
Dienstleistungen und Konsumkoopera- 
tiven (getragen vor allem von einer 
mittelständischen Randkultur) plötz- 
lich spekulativen Operationen des Fi- 
nanz- und Immobilienkapitals gegenüber- 
sieht, für die es aufgrund ihrer gebrauchs- 
wertbezogenen Anstrengungen wieder 
ein attraktives Investitionsfeld geworden 
ist? 
® Im New Yorker 60.000 EW-Vorort 
Coop-City, wo nach einem harten 
Mietstreik dieses Spekulationsobjekt nun 
durch einen Rat aller Mieter selbstverwal 
tet werden darf? Wie erfolgreich kann 
dieses ambivalente Zugeständnis genutzt 
werden, auch über die Anfangserfolge hin- 
aus, die Robert FRIEDMAN schildert? 
® Bei der Gewerkschaft der Bauarbeiter 
in Australien, die ein in Hinblick auf 
die traditionelle Bestimmung gewerkschaft 
lichen Handelns revolutionäres Vorhaben 
verwirklichte: solche Bauplanungen durch 
Arbeitsniederlegung zu stoppen, die deut- 
lich erkennbar privaten Nutzen und ge- 
sellschaftlichen Schaden verbinden? 
Welche Antworten könnte Jack MUN- 
DEY der hier interviewte Vorsitzende 
dieser Gewerkschaft heute geben? 
Der vielleicht aus redaktionellen Grün: 
den nicht vermeidbare Mangel an Aktua- 
lität dieser Artikel ist dort weniger stö- 
rend, wo eine stärkere analytische Auf- 
arbeitung des Phänomens „‚soziale städti- 
sche Bewegungen” beabsichtigt ist. 
Dazu gehört z.B. die sorgfältig ausge- 
arbeitete Analyse von Eddy CHERKI 
und Michel WIEVIORKA zur „‚autoridu- 
zione” in Italien. Ähnlich wie in dem Bei- 
trag von Scudo zur squatter-Bewegung 
wird hier deutlich, daß mit neuen Kampf. 
formen — hier der. Verweigerung höhe- 
rer Gebühren für soziale Dienstleistungen 
wie öffentlicher Nahverkehr und Elektri- 
zität (teilweise betrieben und gestützt 
durch die Gewerkschaften) — Umorien- 
tierungen nicht vollzogen sind, sondern 
allererst beginnen: wie sie ins Verhältnis 
setzen und begründen gegenüber den Ver: 
tretern „‚traditioneller’”” Kampf- und Ver- 
handlungsformen? Wie das neue Mittel 
auf allen Ebenen ausschöpfen, der un- 
mittelbar praktischen zur Verstärkung 
des Drucks, aber auch der kulturellen 
und ideologischen, zur Schaffung eines 
neuen Selbst-Bewußtseins? Wie Arbei- 
ter und Gewerkschaften diese Fragen für 
sich zu beantworten versuchen und was 
daran so wichtig ist, das wird von den 
Autoren überzeugend analysiert. 
Dieser Beitrag, neben dem aus Austra- 
lien, insbesondere aber der Artikel von 
Juan RODRIGUEZ-LORES über „Alter- 
native lokale Politik und soziale Bewegun- 
yen in Italien’ hätten für den zweiten Teil 
des Readers einen erweiterten Titel gerecht 
fertigt: die Stadt als Aktions-Raum und 
Gegenstand der (neuen) sozialen Bewe- 
gungen, aber auch als ein durch die tra- 
ditionellen Arbeiterorganisationen neu 
anzueignendes Aktionsfeld. 
Im Aufsatz von Juan Rodriguez-Lores 
wird eingehender problematisiert, was 
in anderen Beiträgen lediglich konstatiert 
wird: das weitgehende Nebeneinander, 
wenn nicht Gegeneinander der neuen 
sozialen (städtischen) Bewegungen und 
der traditionellen Arbeiterorganisationen 
die sich als gewerkschaftliche lange Zeit 
auf das Fabrikleben konzentriert haben 
und als parteiliche historisch andere 
Wege kommunaler und städtischer Poli- 
tik gegangen sind. Rodriguez-Lores ver- 
sucht zu zeigen, daß den sozialen städti- 
schen Bewegungen eine Schlüsselrolle 
zukommen kann, bei dem Versuch, die 
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