kanische Stadt zur Füllung jener theore-
tischen Lücke beitragen, die daraus re-
sultiert, daß sie Marx’schen Aussagen
zur Grundrente nicht einfach auf das
Problem der städtischen Bodenrente
übertragbar sind. Mit dem Begriff der
„Klassenmonopolrente”’ versucht Har-
vey ein analytisches Instrument zu
schaffen, das ein Verständnis des Zu-
sammenhangs von Urbanisierung, öko-
nomischen Besitz- und politischen
Machtstrukturen möglich macht. Einwän-
de gegenüber diesem Versuch lassen sich
in dieser Besprechung kaum ausbreiten.
Es sei jedoch empfohlen, Harveys Aussa-
gen in einem Vergleich mit italienischen
Arbeiten auf diesem Gebiet zu bringen,
die m.E. bei gleicher Intention (Abse-
hen von einer bloßen kategorialen Über-
tragung, Einbezug der politischen Fak-
toren) überzeugender argumentieren
(vgl. die Beiträge in Stadt, Planung und
städtischer Konflikt).
Zusammenfassend kann man sagen,
daß der Reader im ersten Teil inhaltlich
wichtige und methodisch anregende Auf-
sätze zur Analyse der städtischen Krise
vor allem in den USA liefert, wobei die
Beiträge von Läpple und Harvey eine
Brücke und Anregung darstellen können,
um das miteinzubeziehen, was an anderer
Stelle — eher mit dem Blick auf die Dis-
kussionen und Praxisansätze in Ländern
wie Italien und Frankreich — bereits’
veröffentlicht worden ist.
Der zweite Teil des Readers enthält
neun Beiträge zum Thema „Städtische
soziale Bewegungen” aus Italien, Frank-
reich, England, Belgien und den USA.
Auch hier sind die Kriterien der Aus-
wahl wenig durchsichtig. Die Herausge-
ber schreiben, daß es ihnen darauf an-
kam, „kollektive Reaktionen und Ant-
worten auf soziale Problemlagen in an-
deren Ländern zu dokumentieren, die
in Ansätzen auch in der BRD erkennbar
sind’. Tatsächlich kommen aber in den
publizierten Beiträgen alle nur eben
denkbaren Kampf- und Organisations-
formen im städtischen Konflikt vor und
eine Auswahl nach dem von den Heraus-
gebern genannten Kriterium ist nicht
zu erkennen. Allerdings halten wir
diese nicht selektive Breite eher für
einen Vorteil, geht es doch weniger
um die Ähnlichkeit von Aktionsformen
als die Herausarbeitung grundsätzlicher
Bestimmungen des neuen und noch ne-
bulösen Subjekts „soziale (städtische)
Bewegungen” und deshalb auch seine
Präsentation in der ganzen Vielfalt, die
es aufweist. Es wäre deshalb wünschens-
wert gewesen, einen Beitrag über die
spanischen städtischen Bewegungen, die
heute zu den politisch und sozial ent-
wickeltsten in ganz Westeuropa gehören,
in den Band aufzunehmen. Bei den sicher-
lich gegebenen Restriktionen im Gesamt-
umfang wäre dabei der Beitrag von Nella
GINATEMPO und Antonella CAMMA-
rota verzichtbar gewesen, behandelt er
doch ein sehr spezifisches Problem, das an
keiner anderen Stelle wieder aufgenom-
men wird: wo unterscheiden sich die
Strukturen der süditalienischen Städte
(und man könnte allgemeiner sagen, der
Städte in unterentwickelten Bereichen
der südeuropäischen Randländer) von
den Städten in den dominierenden,
früher durchkapitalisierten europäischen
Regionen?
Sechs der Beiträge im zweiten Teil des
Bandes sind — im besten Sinne — eher
journalistische Situations- und Konflikt-
beschreibungen. Eddy CHERKI und Do-
minique MEHL referieren in ihrem kurzen
Beitrag einige Ergebnisse einer empiri-
schen Studie, die sie zusammen mit
Castells über urbane Bewegungen in der
Region Paris und ihre Aktionen in den
etzten zehn Jahren angefertigt haben
‚einen vor allem den theoretischen An-
satz der Studie näher erläuternden um-
fangreichen Beitrag hat CASTELLS
selbst geliefert; vgl.: L&s conditions d’emer-
gence des mouvements sociaux urbains
... in: International Journal of Urban
and Regional Research 1/77). Bereits
in diesem Beitrag wird deutlich, wie
vielfältig die Träger, Ziele, Niveaus und
Formen des politisch-sozialen städtischen
Konflikts selbst unter gleichen Rahmen-
bedingungen (denen der Region Paris)
sein können.
Ähnliches macht der Beitrag von Xa-
vier GODTS über Stadtsanierung und
städtische Konflikte in Brüssel deutlich,
in dem allerdings nur am Rande etwas
beschrieben wird, was — sehen wir ein-
mal von Spanien ab — sonst in Westeuro-
pa so nicht wiederzufinden ist: eine sta-
bile Form der gemeinsamen Selbstorga-
nisation der verschiedenen städtischen
Initiativen, die parteilich aber doch auto-
nom gegenüber den Parteien selbst Ana-
Iysen und Alternativplanungen zu den
brennendsten sozialen Problemen in der
Stadtregion Brüssel betrieben (sehr zu
empfehlen für jeden Besucher der Stadt:
der von ihr herausgegebene alternative
Stadtplan).
Auch der Bericht von Giani SCUDO
über die squatter-Bewegung in Großbri-
tannien ist wie die beiden vorgenannten
einem Schwerpunktheft der französi-
schen Zeitschrift AUTREMENT entnom-
men, das hier wegen der Fülle seiner Bei-
träge zum Thema ‚‚Contre-pouvoirs
dans la ville’”” nachdrücklich empfohlen
sei (zu bestellen für 30 fr. bei 120, bd
Saint-Germain — 75280 Paris-Cedex 06).
Bei Scudos Beitrag drängt sich heute,
1979, dem Leser sicherlich dieselbe Fra-
ge auf, wie in fast all den Beiträgen des
zweiten Teils, denen es eher um eine
Konfliktdarstellung denn eigenständige
theretische Aussagen zu tun ist: wie
ging es weiter?
®e Im Washingtoner Stadtteil Adams
Morgan, wo die Schilderung von
David MORRIS an dem Punkt abbricht,
an dem sich ein selbstorganisiertes
Stadtviertel, mit eigenen sozialen
Dienstleistungen und Konsumkoopera-
tiven (getragen vor allem von einer
mittelständischen Randkultur) plötz-
lich spekulativen Operationen des Fi-
nanz- und Immobilienkapitals gegenüber-
sieht, für die es aufgrund ihrer gebrauchs-
wertbezogenen Anstrengungen wieder
ein attraktives Investitionsfeld geworden
ist?
® Im New Yorker 60.000 EW-Vorort
Coop-City, wo nach einem harten
Mietstreik dieses Spekulationsobjekt nun
durch einen Rat aller Mieter selbstverwal
tet werden darf? Wie erfolgreich kann
dieses ambivalente Zugeständnis genutzt
werden, auch über die Anfangserfolge hin-
aus, die Robert FRIEDMAN schildert?
® Bei der Gewerkschaft der Bauarbeiter
in Australien, die ein in Hinblick auf
die traditionelle Bestimmung gewerkschaft
lichen Handelns revolutionäres Vorhaben
verwirklichte: solche Bauplanungen durch
Arbeitsniederlegung zu stoppen, die deut-
lich erkennbar privaten Nutzen und ge-
sellschaftlichen Schaden verbinden?
Welche Antworten könnte Jack MUN-
DEY der hier interviewte Vorsitzende
dieser Gewerkschaft heute geben?
Der vielleicht aus redaktionellen Grün:
den nicht vermeidbare Mangel an Aktua-
lität dieser Artikel ist dort weniger stö-
rend, wo eine stärkere analytische Auf-
arbeitung des Phänomens „‚soziale städti-
sche Bewegungen” beabsichtigt ist.
Dazu gehört z.B. die sorgfältig ausge-
arbeitete Analyse von Eddy CHERKI
und Michel WIEVIORKA zur „‚autoridu-
zione” in Italien. Ähnlich wie in dem Bei-
trag von Scudo zur squatter-Bewegung
wird hier deutlich, daß mit neuen Kampf.
formen — hier der. Verweigerung höhe-
rer Gebühren für soziale Dienstleistungen
wie öffentlicher Nahverkehr und Elektri-
zität (teilweise betrieben und gestützt
durch die Gewerkschaften) — Umorien-
tierungen nicht vollzogen sind, sondern
allererst beginnen: wie sie ins Verhältnis
setzen und begründen gegenüber den Ver:
tretern „‚traditioneller’”” Kampf- und Ver-
handlungsformen? Wie das neue Mittel
auf allen Ebenen ausschöpfen, der un-
mittelbar praktischen zur Verstärkung
des Drucks, aber auch der kulturellen
und ideologischen, zur Schaffung eines
neuen Selbst-Bewußtseins? Wie Arbei-
ter und Gewerkschaften diese Fragen für
sich zu beantworten versuchen und was
daran so wichtig ist, das wird von den
Autoren überzeugend analysiert.
Dieser Beitrag, neben dem aus Austra-
lien, insbesondere aber der Artikel von
Juan RODRIGUEZ-LORES über „Alter-
native lokale Politik und soziale Bewegun-
yen in Italien’ hätten für den zweiten Teil
des Readers einen erweiterten Titel gerecht
fertigt: die Stadt als Aktions-Raum und
Gegenstand der (neuen) sozialen Bewe-
gungen, aber auch als ein durch die tra-
ditionellen Arbeiterorganisationen neu
anzueignendes Aktionsfeld.
Im Aufsatz von Juan Rodriguez-Lores
wird eingehender problematisiert, was
in anderen Beiträgen lediglich konstatiert
wird: das weitgehende Nebeneinander,
wenn nicht Gegeneinander der neuen
sozialen (städtischen) Bewegungen und
der traditionellen Arbeiterorganisationen
die sich als gewerkschaftliche lange Zeit
auf das Fabrikleben konzentriert haben
und als parteiliche historisch andere
Wege kommunaler und städtischer Poli-
tik gegangen sind. Rodriguez-Lores ver-
sucht zu zeigen, daß den sozialen städti-
schen Bewegungen eine Schlüsselrolle
zukommen kann, bei dem Versuch, die
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