Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

ZU DEN LESESÄLEN 
Den Fragen, die man sich gestellt hat, geht man nicht nach. 
Man kommt nicht dazu: Zu mächtig ist der Eindruck des 
mit jedem Schritte aufwärts sich entfaltenden Raumes der 
Lesesäle. Man bewegt sich auf eine lichte Weite zu von 
schier unabsehbaren Dimensionen. Diese Weite, dieser Raum 
zusammenhang, den man als Oberlichte, Galerien, Stützen 
mehr ahnt als begreift, tritt links oben in Erscheinung. Ge- 
radezu führt die Treppe einem riesigen Fenster entgegen, 
der Außenwand des nördlichen Lesesaales. Hat man die 
oberste Stufe erstiegen, bemerkt man jedoch, daß der Raum 
vor einem kein Lesesaal ist, sondern ein Büchermagazin. 
Bücherregale verstellen die ganze Fläche des großen Raumes 
Bücherregale stehen auch auf den Galerien, die über einem 
Teil des Saales errichtet sind: Bücherschränke, wohin man 
schaut. Man hatte erwartet, in einen Lesesaal einzutreten, 
man blickt in die Arbeit der Bibliothek hinein: ein Antikli- 
max. Man läßt also den Saal rechts liegen und wendet sich 
nach links, wo man den größten, den mittleren Lesesaal ver- 
mutet. Ehe man aber einen Einblick in diesen majestätischen 
Raum erhält, setzt man den Weg noch an die fünfzig Meter 
hinter Bücherschränken fort; und wenn man schließlich — 
Ah! — in den Hauptsaal blickt, sieht man nur dessen südlichen 
Teil. Man muß auf die Galerie über dem südlichen Lesesaal 
steigen und sich umwenden. Erst dann erblickt man die ganze 
Ausdehnung des Saales — und in ihm eine verhältnismäßig 
<leine Gruppe von Leseplätzen: eine neue Enttäuschung. 
Aber halt!: man erinnert sich: die Mitteltreppe, welche 
diesen Saal erschließen sollte, ist ja halb zugebaut. Nach dem 
ursprünglichen Plan war der Zugang direkt, frontal auf das 
Fenster gerichtet. Drei große Treppen sollten von der Galerie 
zu den Lesesälen führen. Die südliche, welche wie die im Nor- 
den, die wir erstiegen haben, im Erdgeschoß beginnt, haben 
wir noch nicht erwähnt. Erst jetzt, rückblickend, entdeckt 
man die Funktion der großen Galerie im Rücken der Lesesäle: 
sie war als Verteilergalzrie gedacht. Der Leser gelangt von 
Norden oder von Süden her in diese Galerie, in der sich eine 
Art allgemeiner Abfertigung befinden sollte (Ausgabe von 
Lesekarten etc.). Auch ein Laden für Schreibmaterial sollte 
sich dort befinden. Von der Galerie — wie wird im Plan 
„Foyer‘’ genannt — stieg dann der Leser auf einer der drei 
Treppen in denjenigen Lesesaal hinauf, in dem er arbeiten 
wollte. Wo die Abfertigung sein sollte — um sie einmal so zu 
nennen — befinden sich jetzt Büros, durch eine Wand vom 
Foyer getrennt; der Laden wurde nicht eingebaut. Der Haupt- 
zugang, der mittlere wurde beinahe zugebaut: er beginnt jetzt 
als ziemlich enge Stiege, die an der Wand entlang läuft, ehe sie 
sich zum Lesesaal wendet. Der Gedanke des Foyers ist während 
der Bauausführung, man möchte sagen, ad acta gelegt worden; 
das Foyer wurde aber gebaut. Wie es nun ist, weiß man in der 
Tat nicht recht, was damit anfangen: ein großartiger Raum, 
aber ohne Inhalt. 
' Haupteingang 
2 Eingangshalle 
3 Garderobe 
4 Auskunft 
7 Information 
+ Kontrolle 
7 Buchausstellung 
8 Zeitungen 
9 Orts- und Fernleihe 
0 Kataloghalle 
a Berliner Gesamtkatalog 
!1 Vortragssaal 
12 Flur 
13 Ibero-Amerikanisches Institut 
a Lesesaal 
b Großraumbüro 
14 Diathek 
15 Magazin 
16 Katalogabteilung 
17 Berliner Gesamtkatalog 
18 Ausbildung 
19 Technische Abteilung 
27 Signaturenaufdruck 
2! Katalogabteilung 
22 Erwerbungsabteilung 
23 Treppenhaus Generaldirektion 
24 Poststelle 
25 Abt, Amtsdruckschriften 
und Tausch 
26 EDV-Referat 
Grundrisse und Schnitt 
im Maßstab 1: 1000 
© Bauwelt für die 
Grundriß-Umzeichnung 
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Erdgeschoß 
Erdgeschoß 
1 Dachraum 
2 Musik-Lesesaal 
3 Orientabteilung 
4 Ostasienabteilung 
5 Orient- und Ostasien-Lesesaal 
6 Osteuropaabteilung 
7 Osteuropa-Lesesaal 
8 Ausleihe 
9 Benutzungsabteilung 
10 Mendelssohn-Archiv 
11 Ausstellung 
12 Allgemeiner Lesesaal 
73 Abt, Gesamtkataloge 
und Dokumentation 
14 Abt. Gesamtdruckschrifter 
und Tausch 
15 Bibliographisches Zentrum 
16 Einbandstelle 
17 Küche 
18 Kantine 
10. Da Ernasse 
BAUGESCHICHTE 
Man kennt die Veränderungen, welche im Management des 
Baues vorgenommen wurden. 1969 bereits — drei Jahre vor 
Scharouns Tode — wurde die technisch-geschäftliche Oberlei- 
tung von der Bundes-Baudirektion übernommen, welche zwi- 
schen September 69 und Januar 71 durch das „Quickborner 
Team” eine Untersuchung der gesamten Organisation des 
Hauses vornehmen ließ. Die Einwirkung des Architekten wurde 
auf die „künstlerische Oberleitung” beschränkt. Nach dem 
Tode Scharouns im November 1972 wurde seinem'engsten 
Mitarbeiter, Edgar Wisniewski, nur noch gestattet, Skizzen zu 
liefern. Die Ausführungszeichnungen wurden im Büro der Bun- 
des-Baudirektion fertiggestellt, viele, ohne daß Wisniewski auf 
sie Einfluß nehmen konnte. Nicht wenige Details wirken 
falsch, falsch im Sinne Scharouns: ein schwerer Eingriff in die 
Arbeit des Architekten. Ein größerer Eingriff jedoch ist durch 
die Untersuchung der Organisation entstanden. Offenbar wurde 
das gesamte Programm unter die Lupe genommen; und, es 
scheint, nicht ganz ohne Grund, 
Der Entwurf war davon ausgegangen, daß 1200 Leser die 
Staatsbibliothek benutzen würden; 450 Angestellte würden 
2. Obergeschoß 
2. Obergeschoß 
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