ZU DEN LESESÄLEN
Den Fragen, die man sich gestellt hat, geht man nicht nach.
Man kommt nicht dazu: Zu mächtig ist der Eindruck des
mit jedem Schritte aufwärts sich entfaltenden Raumes der
Lesesäle. Man bewegt sich auf eine lichte Weite zu von
schier unabsehbaren Dimensionen. Diese Weite, dieser Raum
zusammenhang, den man als Oberlichte, Galerien, Stützen
mehr ahnt als begreift, tritt links oben in Erscheinung. Ge-
radezu führt die Treppe einem riesigen Fenster entgegen,
der Außenwand des nördlichen Lesesaales. Hat man die
oberste Stufe erstiegen, bemerkt man jedoch, daß der Raum
vor einem kein Lesesaal ist, sondern ein Büchermagazin.
Bücherregale verstellen die ganze Fläche des großen Raumes
Bücherregale stehen auch auf den Galerien, die über einem
Teil des Saales errichtet sind: Bücherschränke, wohin man
schaut. Man hatte erwartet, in einen Lesesaal einzutreten,
man blickt in die Arbeit der Bibliothek hinein: ein Antikli-
max. Man läßt also den Saal rechts liegen und wendet sich
nach links, wo man den größten, den mittleren Lesesaal ver-
mutet. Ehe man aber einen Einblick in diesen majestätischen
Raum erhält, setzt man den Weg noch an die fünfzig Meter
hinter Bücherschränken fort; und wenn man schließlich —
Ah! — in den Hauptsaal blickt, sieht man nur dessen südlichen
Teil. Man muß auf die Galerie über dem südlichen Lesesaal
steigen und sich umwenden. Erst dann erblickt man die ganze
Ausdehnung des Saales — und in ihm eine verhältnismäßig
<leine Gruppe von Leseplätzen: eine neue Enttäuschung.
Aber halt!: man erinnert sich: die Mitteltreppe, welche
diesen Saal erschließen sollte, ist ja halb zugebaut. Nach dem
ursprünglichen Plan war der Zugang direkt, frontal auf das
Fenster gerichtet. Drei große Treppen sollten von der Galerie
zu den Lesesälen führen. Die südliche, welche wie die im Nor-
den, die wir erstiegen haben, im Erdgeschoß beginnt, haben
wir noch nicht erwähnt. Erst jetzt, rückblickend, entdeckt
man die Funktion der großen Galerie im Rücken der Lesesäle:
sie war als Verteilergalzrie gedacht. Der Leser gelangt von
Norden oder von Süden her in diese Galerie, in der sich eine
Art allgemeiner Abfertigung befinden sollte (Ausgabe von
Lesekarten etc.). Auch ein Laden für Schreibmaterial sollte
sich dort befinden. Von der Galerie — wie wird im Plan
„Foyer‘’ genannt — stieg dann der Leser auf einer der drei
Treppen in denjenigen Lesesaal hinauf, in dem er arbeiten
wollte. Wo die Abfertigung sein sollte — um sie einmal so zu
nennen — befinden sich jetzt Büros, durch eine Wand vom
Foyer getrennt; der Laden wurde nicht eingebaut. Der Haupt-
zugang, der mittlere wurde beinahe zugebaut: er beginnt jetzt
als ziemlich enge Stiege, die an der Wand entlang läuft, ehe sie
sich zum Lesesaal wendet. Der Gedanke des Foyers ist während
der Bauausführung, man möchte sagen, ad acta gelegt worden;
das Foyer wurde aber gebaut. Wie es nun ist, weiß man in der
Tat nicht recht, was damit anfangen: ein großartiger Raum,
aber ohne Inhalt.
' Haupteingang
2 Eingangshalle
3 Garderobe
4 Auskunft
7 Information
+ Kontrolle
7 Buchausstellung
8 Zeitungen
9 Orts- und Fernleihe
0 Kataloghalle
a Berliner Gesamtkatalog
!1 Vortragssaal
12 Flur
13 Ibero-Amerikanisches Institut
a Lesesaal
b Großraumbüro
14 Diathek
15 Magazin
16 Katalogabteilung
17 Berliner Gesamtkatalog
18 Ausbildung
19 Technische Abteilung
27 Signaturenaufdruck
2! Katalogabteilung
22 Erwerbungsabteilung
23 Treppenhaus Generaldirektion
24 Poststelle
25 Abt, Amtsdruckschriften
und Tausch
26 EDV-Referat
Grundrisse und Schnitt
im Maßstab 1: 1000
© Bauwelt für die
Grundriß-Umzeichnung
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Erdgeschoß
Erdgeschoß
1 Dachraum
2 Musik-Lesesaal
3 Orientabteilung
4 Ostasienabteilung
5 Orient- und Ostasien-Lesesaal
6 Osteuropaabteilung
7 Osteuropa-Lesesaal
8 Ausleihe
9 Benutzungsabteilung
10 Mendelssohn-Archiv
11 Ausstellung
12 Allgemeiner Lesesaal
73 Abt, Gesamtkataloge
und Dokumentation
14 Abt. Gesamtdruckschrifter
und Tausch
15 Bibliographisches Zentrum
16 Einbandstelle
17 Küche
18 Kantine
10. Da Ernasse
BAUGESCHICHTE
Man kennt die Veränderungen, welche im Management des
Baues vorgenommen wurden. 1969 bereits — drei Jahre vor
Scharouns Tode — wurde die technisch-geschäftliche Oberlei-
tung von der Bundes-Baudirektion übernommen, welche zwi-
schen September 69 und Januar 71 durch das „Quickborner
Team” eine Untersuchung der gesamten Organisation des
Hauses vornehmen ließ. Die Einwirkung des Architekten wurde
auf die „künstlerische Oberleitung” beschränkt. Nach dem
Tode Scharouns im November 1972 wurde seinem'engsten
Mitarbeiter, Edgar Wisniewski, nur noch gestattet, Skizzen zu
liefern. Die Ausführungszeichnungen wurden im Büro der Bun-
des-Baudirektion fertiggestellt, viele, ohne daß Wisniewski auf
sie Einfluß nehmen konnte. Nicht wenige Details wirken
falsch, falsch im Sinne Scharouns: ein schwerer Eingriff in die
Arbeit des Architekten. Ein größerer Eingriff jedoch ist durch
die Untersuchung der Organisation entstanden. Offenbar wurde
das gesamte Programm unter die Lupe genommen; und, es
scheint, nicht ganz ohne Grund,
Der Entwurf war davon ausgegangen, daß 1200 Leser die
Staatsbibliothek benutzen würden; 450 Angestellte würden
2. Obergeschoß
2. Obergeschoß
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Grundriß-Umzeichnung im Maßstab 1 : 1000