Lückenhaftes aus Stuttgart
Der Hase lag in der Alexanderstraße schon seit Jahren im Pfeffer.
Eine alltägliche Geschichte: 1973 kauft ein Bauunternehmer ein
Eckanwesen mit etwa 25 Wohnungen, ekelt die Mieter heraus und
läßt die Wohnungen leerstehen. Das Wohnungsamt reagiert nicht,
trotz Intervention des Stuttgarter Mietervereins. 1975 stellt der
Eigentümer Antrag auf Zweckentfremdung und Abriß. Der Be-
zirksbeirat Mitte lehnt ab, der Wohnungsausschuß indes stimmt
zu. Daraufhin macht der Eigentümer einige Wohnungen durch
mutwillige Zerstörungen unbewohnbar. Im Februar 1977 wird
das Haus besetzt, ein Monat später kann der Abriß dennoch nicht
verhindert werden. Oberbürgermeister Rommel segnet die Wohn-
raumzerstörung ab wegen ‚früherer Zusagen der Stadtverwaltung”
Seither ist der Film gerissen. Die mit so hastiger Tücke geschlagene
Lücke gähnt noch heute, zwei Jahre nach Abriß, im ohnehin zer-
zausten Stuttgarter Stadtbild. Die Bürger schauen auf den Schutt-
haufen kommunaler und staatlicher Wohnungsbaupolitik. 15.000
Familien suchen in Stuttgart eine Wohnung, 3.500 wurden in die
Notfallkartei des Wohnungsamtes aufgenommen, mehr als doppelt
soviel wie noch vor einem Jahr. Die Preise für Wohnungsgrund-
stücke verheißen bundesrepublikanischen Rekord, mit Spannung
erwartet die Fachwelt den Durchbruch durch die Schallgrenze:
1000 DM für einen Quadratmeter.
Der Wohnungsausschuß hatte bei seiner Abrißgenehmigung zur
Auflage gemacht, wieder 10 Wohnungen auf dem Grundstück
Alexanderstraße zu errichten und weitere vier bis fünf an anderer
Stelle. Doch alle guten Vorsätze scheinen vergessen. Bei der
Stuttgarter Verwaltungsspitze tut sich eine etwa 500 qm Gedächt-
nislücke auf. Diese abzustecken war Zweck einer Gedenkstunde
von Stuttgarter Jusos.
Die feierliche Enthüllung der „Rommel-Gedächtnis-Lücke” nahm
der Vorsitzende des Mietervereins, Stuttgart, Michael Sexauer
(SPD) vor, nicht ohne die seltene Ehre für Rommel hervorzuheben,
schon zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt zu bekommen (beim
Buchstaben R nur noch Rossini). Mit warmen Worten gedachte er
der Hilfestellungen des Oberbürgermeisters für den notleidenden
Berufsstand der Spekulanten. Bezirksbeirat Schaller verlieh den
„Spekulationsgeier am tiefschwarzen Bande”
Um der Lücken-Haftung zu entgehen, würde die Stadtverwaltung
gerne öffentliches Grün zum Lücken-Büßer machen und Gras
über das öffentliche Ärgernis wachsen lassen. Wirklich büßen
für die Lücke müssen indes all jene, deren Chancen auf dem
überhitzten Stuttgarter Wohnungsmarkt mit jeder zerstörten
billigen Wohnung weiter sinken. Die Lücke wieder füllen müssen
letztlich alle Steuerzahler: Um wenigstens einige Wohnungen für
Familien mit Kindern und weniger prallem Portemonnaie verfüg-
bar zu machen, will sich die Stadt mit Prämien bis zu 10.000 DM
die Kinderfreundlichkeit der Hauseigentümer und die Umzuaswil
ligkeit überversorater Mieter erkaufen.
Friedemann Gschwind, Dietrich Henckel
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