Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1979, Jg. 11, H. 43-47, [48])

Lückenhaftes aus Stuttgart 
Der Hase lag in der Alexanderstraße schon seit Jahren im Pfeffer. 
Eine alltägliche Geschichte: 1973 kauft ein Bauunternehmer ein 
Eckanwesen mit etwa 25 Wohnungen, ekelt die Mieter heraus und 
läßt die Wohnungen leerstehen. Das Wohnungsamt reagiert nicht, 
trotz Intervention des Stuttgarter Mietervereins. 1975 stellt der 
Eigentümer Antrag auf Zweckentfremdung und Abriß. Der Be- 
zirksbeirat Mitte lehnt ab, der Wohnungsausschuß indes stimmt 
zu. Daraufhin macht der Eigentümer einige Wohnungen durch 
mutwillige Zerstörungen unbewohnbar. Im Februar 1977 wird 
das Haus besetzt, ein Monat später kann der Abriß dennoch nicht 
verhindert werden. Oberbürgermeister Rommel segnet die Wohn- 
raumzerstörung ab wegen ‚früherer Zusagen der Stadtverwaltung” 
Seither ist der Film gerissen. Die mit so hastiger Tücke geschlagene 
Lücke gähnt noch heute, zwei Jahre nach Abriß, im ohnehin zer- 
zausten Stuttgarter Stadtbild. Die Bürger schauen auf den Schutt- 
haufen kommunaler und staatlicher Wohnungsbaupolitik. 15.000 
Familien suchen in Stuttgart eine Wohnung, 3.500 wurden in die 
Notfallkartei des Wohnungsamtes aufgenommen, mehr als doppelt 
soviel wie noch vor einem Jahr. Die Preise für Wohnungsgrund- 
stücke verheißen bundesrepublikanischen Rekord, mit Spannung 
erwartet die Fachwelt den Durchbruch durch die Schallgrenze: 
1000 DM für einen Quadratmeter. 
Der Wohnungsausschuß hatte bei seiner Abrißgenehmigung zur 
Auflage gemacht, wieder 10 Wohnungen auf dem Grundstück 
Alexanderstraße zu errichten und weitere vier bis fünf an anderer 
Stelle. Doch alle guten Vorsätze scheinen vergessen. Bei der 
Stuttgarter Verwaltungsspitze tut sich eine etwa 500 qm Gedächt- 
nislücke auf. Diese abzustecken war Zweck einer Gedenkstunde 
von Stuttgarter Jusos. 
Die feierliche Enthüllung der „Rommel-Gedächtnis-Lücke” nahm 
der Vorsitzende des Mietervereins, Stuttgart, Michael Sexauer 
(SPD) vor, nicht ohne die seltene Ehre für Rommel hervorzuheben, 
schon zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt zu bekommen (beim 
Buchstaben R nur noch Rossini). Mit warmen Worten gedachte er 
der Hilfestellungen des Oberbürgermeisters für den notleidenden 
Berufsstand der Spekulanten. Bezirksbeirat Schaller verlieh den 
„Spekulationsgeier am tiefschwarzen Bande” 
Um der Lücken-Haftung zu entgehen, würde die Stadtverwaltung 
gerne öffentliches Grün zum Lücken-Büßer machen und Gras 
über das öffentliche Ärgernis wachsen lassen. Wirklich büßen 
für die Lücke müssen indes all jene, deren Chancen auf dem 
überhitzten Stuttgarter Wohnungsmarkt mit jeder zerstörten 
billigen Wohnung weiter sinken. Die Lücke wieder füllen müssen 
letztlich alle Steuerzahler: Um wenigstens einige Wohnungen für 
Familien mit Kindern und weniger prallem Portemonnaie verfüg- 
bar zu machen, will sich die Stadt mit Prämien bis zu 10.000 DM 
die Kinderfreundlichkeit der Hauseigentümer und die Umzuaswil 
ligkeit überversorater Mieter erkaufen. 
Friedemann Gschwind, Dietrich Henckel 
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