Zur Vertiefung der hier angerissenen
Thematik hat Jürgen Wolf für Herbst
des Jahres (vorraussichtlich Nr. 71)
das Schwerpunktthema ”Rezession
und Repression: Ausblicke auf
1984” (Arbeitstitel) vorgeschlagen.
Die vorbereitende Redaktion haben
W.Durth, F.Geschwind,G.Hamacher
und J.Wolf übernommen. Weitere
Autoren werden gesucht.
Hat die aktive Stadtenwicklung noch eine
Chance oder versinken die Städte in
Lethargie?
Die Dauerrezession ist nur die volkswirt-
schaftliche Erscheinungsform einer tiefgrei-
fenden Strukturkrise der Wachstumsgesell-
schaft. Sie ist verbunden mit pol. und kulturel-
len Umbrüche mit der Suchm nach neuer
Identität der Individuen, einer Polarisierung
der Lebensverhältnisse und -auffassungen, die
insgesamt das Stadtleben nachhaltig verän-
dern.
Von der wirtschaftlichen Rezession als
Dauerzustand ist vermutlich auszugehen. Die
Trendwende beginnt mit den 80er Jahren. Seit
1980 steigt die Arbeitslosigkeit in einem seit
der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht mehr
gekanntem Ausmaß, zugleich nimmt auch die
Kurzarbeit bedrohlich zu und die offenen
Stellen schmelzen zusammen (vgl. Abb.1).
Das Bruttosozialprodukt reagiert mit entspre-
chender zeitlicher Verzögerung (1980 + 1,8%,
1981 - 0,2% und 1982 - 1,2%). Auch für 1983
prognostizieren die wirtschaftswissenschaftli-
chen Institute eine weiterhin schrumpfende
Volkswirtschaft, denn der erwartete Einbruch
im 1. Quartal 1983 erfordert schon rein rech-
nerisch im 2. bis 4. Quartal Zuwachsraten von
vier und mehr Prozent, wenn sich aufs ganze
Jahr gesehen das Sozialprodukt in etwa aus-
gleichen soll.
Der damit verbundene Steuerausfall in den
kommunalen Haushalten bei andererseits er-
höhten Ausgaben im sozialen Bereich auf-
grund der allgemeinen Verarmung zwingt die
Gemeinden bei Festhalten an ihrer bisherigen,
den neuen Anforderungen insofern nicht
länger angemessenen Haushaltspolitik, die so-
zialen Leistungen zu beschneiden, von denen
nicht wenige in der Stadt leben. Aber nicht nur
die sozialen Aufgaben der Gemeinden nehmen
bei gleichzeitig schrumpfender Leistungs-
fähigkeit zu. Was schwerer wiegt, ist, daß viele
Gemeinden zu wenig politische Phantasie ent-
wickeln und mit Einsparungen in der planen-
den Verwaltung die Quelle austrocknen, von
der die notwendigen strukturellen Ände-
rungen in der Nachwachstumsphase nach ent-
sprechende wissenschaftlicher Grundlegung
und politischer Zielvorgabe auszugehen ha-
ben. Denn jede Intensivierung der Bewirt-
schaftung der auch in der Dauerrezession in
der Gemeinde gleichwohl noch reichlich vor-
handenen Ressourcen an Flächen, suboptimal
genutzten Gebäudebeständen und privaten
Kapitals, ganz abgesehen von menschlicher
Arbeitskraft, erfordert zuerst eine Intensivie-
rung der Planung. Nur sie kann die nunmehr
unumgängliche Rationalisierung der bisher
mehr oder weniger organisch gewachsenen
Stadt mit ihren vielseitigen Funktionsschwä-
Jürgen Wolf
Stadtentwicklung in der
Dauerrezession
chen im Interesse aller leisten. Indem aber nun
gerade bei der Planung der Rotstift angesetzt
wird, verbauen sich die Gemeinden ihre Zu-
kunft. No future? Reduziert sich die Kommu-
nalpolitik in der Rezession auf die Verwal-
tung der Not und versinken die Städte, zu-
erst in den industriellen Ballungsgebieten, in
die Lethargie eines Manchester oder Liver-
pool?
.. Vor der Frage aber, welche strukturellen
Änderungen der Kommunalpolitik notwendig
sind, steht die Frage, worauf werden alle jene
in der Stadt lebenden oder dorthin künftig zu-
ziehenden Menschen angewiesen sein, deren
Einkommen absolut oder relativ sinkt, oder
die ganz durchs soziale Netz fallen?
Nachteilen. Der Umzug in die große moderne
Wohnung muß auf unabsehbare Zeit zurück-
gestellt werden. Die Angewiesenheit auf die
kleine, billige, heizkostengünstige Wohnung
mit nicht ständig steigenden Mieten und Be-
lastungen in einem Stadtteil, in dem man auch
notfalls ohne Auto (soweit überhaupt vorhan-
den) den Arbeitsplatz, die Schule, den Kinder-
garten, das Einkaufszentrum mit den Sonder-
angeboten und hin und wieder auch die freie
Natur erreichen kann, wächst. Noch besser
freilich, wenn in der Nähe ein Kleingarten vor-
handen ist, von und in dem es sich ein bißchen
besser leben läßt. Man wird auch wieder mehr
auf die alltäglichen nachbarschaftlichen Hil-
fen angewiesen sein und die bescheideneren
Möglichkeiten der Erholung und Entspan-
nung vor der Haustür oder am Stadtrand dem
Fernurlaub vorziehen müssen. Die Einrich-
tungen der Naherholung, kleine Parks im
Stadtteil, eben auch der Kleingarten, die
Landschaft und der Wald am Stadtrand, die
relativ ruhige Wohnstraße, Sport- und Ver-
einsamlagen gewinnen somit an Bedeutung
und werden im Falle ihrer Gefährdung wohl
noch hartnäckiger verteidigt werden als bisher
schon.
Statistisch macht sich die neue Angewiesen-
heit seit Beginn der Dauerrezession im Winter
’80/’81, als erstmals wieder mehr als eine
Million Arbeitslose registriert wurden, als
Trendwende in der Nah- und Fernwanderung
bemerkbar: Es gewinnen nicht nur die Städte
mit relativ günstiger Arbeitsmarktsituation
Einwohner aus anderen Regionen, sondern re-
lativ unabhängig davon ist aufgrund der auch
im Umland stagnierenden Bautätigkeit und
der für immer mehr Haushalte kaum noch
tragbaren Fahrkosten eine Tendenzwende
von der Stadtrandwanderung zur Stadtwan-
derung erkennbar (vgl. Abb.3).
Zunehmende Diskrepanzen der Wohn-
raumversorgung und Polarisierung der
Bevölkerungsstruktur im Altbaubestand
infolge von Wanderungsgewinnen
Insofern die Wanderungsmotive hie wie da
ökonomischer Natur sind, bevorzugen die ent-
sprechenden Zuwanderer in der Stadt Stadt-
teile mit preiswertem Altbauwohnungsbe-
stand. Dort konkurrieren sie aber mit der
Nachfrage der Haushaltsneugründer, derjeni-
gen, die aus anderen Gründen innerhalb der
Stadt umzuziehen gezwungen sind, und der
Nachfrage oberer Einkommensgruppen, die
aus dem Umland zuziehend das Stadtleben in-
zwischen wieder mehr präferieren. Die Ge-
samtnachfrage akkumuliert in diesen Stadt-
teilen zu absolut zunehmenden Einwohner-
zahlen, ohne daß dort zusätzlich Wohnungen
errichtet würden, so daß sich die Wohnversor-
gung pro Haushalt oder Person im statisti-
schen Durchschnitt absolut verringert
(Abb. 4).
Die Verbesserung der Wohnversorgung der
einkommensstarken Haushalte wird hier
Arbeitsmarktbedingte Zuflucht in Städte
mit relativ niedriger Arbeitslosigkeit und
Seßhaftigkeit
In der Bundesrepublik erhoffen sich viele von
der Rezession Betroffene am ehesten noch
eine relativ gute Lebenschance in den kom-
merzialisierten süddeutschen Großstädten
und wandern vermehrt dorthin. Den wenigen,
die auf diese Weise ihren Wohnort wechseln,
weil sie noch einen Arbeitsplatz gefunden ha-
ben, stehen die vielen gegenüber, denen eine
Berufskarriere durch Arbeitsplatzwechsel und
damit verbundenem Umzug in andere Städte
nicht mehr möglich ist, oder die als Dauerar-
beitslose diese Chance schon lange nicht mehr
haben und an ihren Wohnort gebunden
bleiben. Aus sozialer Mobilität folgt Wan-
derung, aus sozialer Immobilität Seßhaftig-
keit. Verstärkte Zuwanderung in Regionen
mit 'relativ günstiger Arbeitsmarktsituation
korreliert so mit allgemein rückläufiger Ge-
samtmobilität (vgl. Abb.2).
Die ökonomisch erzwungene neue Seßhaf-
tigkeit verändert notgedrungen auch die Ein-
stellung zur unmittelbaren Umgebung, zur
Nachbarschaft, zum Stadtteil und zur Stadt,
in der man nunmehr für längere Zeit mit wenig
Hoffnung auf eine grundlegende Verbes-
serung der Einkommensverhältnisse zu leben
hat. Es ist der gegebene soziale Raum, nicht
die Berufskarriere in fremden Städten, auf den
sich die Lebenserwartung zunehmend richtet
und mit dem sie sich bescheiden muß. Was die
Menschen dort erwartet, ist auch davon ab-
hängig, wieweit sich die Bewohner der gege-
benen Nachbarschaft politisch, kulturell und
sozial betätigen. Erwächst hieraus die politi-
sche Kraft, auf welcher jene notwendigen
Strukturänderungen gründen? Welche Hand-
lungs- und Konfliktpotentiale zieht das nach
sich?
Vermehrte Angewiesenheit auf eine
Stadt, in der es sich auch bei bescheide-
nem Einkommen leben läßt
Zunächst äußerst sich die neue Seßhaftigkeit
als eine vermehrte Angewiesenheit auf die vor-
handene Wohnung mit all ihren Vor- und
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