Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

Fahrradwege verbessern, statt einem natur- 
wüchsigen Verkehrsaufkommen mit Straßen- 
bauinvestitionen hinterherzulaufen; 
5) überzogene Ausweisungen von Gewerbege- 
bieten in Wohn- und Grün- sowie Kleingar- 
tenflächen umplanen und 
6) die in der Flächennutzungsplanung vorge- 
haltenen Expansionsflächen am Stadtrand, 
für die bei städtebaulicher Nachverdichtung 
kein Bedarf mehr besteht, in land- und forst- 
wirtschaftliche Flächen für die Naherholung 
zurücknehmen. 
Schon der Abschied von überhöhten 
Kalkulationsweisen wird zum Politikum 
Unangemessen an der Wohnungsneubau- und 
Modernisierungsförderung sind vor allen 
Dingen die Kalkulationsweisen; Bei den ge- 
gebenen Umständen wird man es sich nicht 
länger leisten können, Kosten, die, wenn über- 
haupt, dann erst in ferner Zukunft entstehen, 
sich schon jetzt über den Ansatz der Gebäude- 
abschreibung und z.T. auch der Instandset- 
zungsrücklage finanzieren zu lassen. Das gilt 
auch für die in den Grundstückspreisen vor- 
weggenommenen langfristigen Erträge, deren 
Wahrscheinlichkeit ebenso fraglich ist, wie der 
in der Gebäudeabschreibung vorweggenom- 
mene Substanzverlust. Denn niemand geht 
davon aus, daß die gerade erst renovierten 
Gründerzeitviertel in wenigen Jahrzehnten, 
weil sie dann ihre kalkulatorische Altersgren- 
ze erreicht haben, abgerissen werden, oder da- 
von, daß der gesamte Wohnungsbestand in 
diesen Gebieten in Eigentumswohnungen um- 
gewandelt wird, denn nur dann wäre das heu- 
tige Grundstückspreisniveau dort gerecht- 
fertigt und die entsprechenden Erwerbspreise 
zu kapitalisieren. 
Die öffentliche Förderung muß vielmehr 
von der Deckung der nur wirklichen Verluste 
nach dem Liquiditätsprinzipi ausgehen und 
als Grundstückspreis ist nur das finanzierbar, 
was in absehbarer Zeit im Rahmen der zulässi- 
gen Nutzung, das ist in der Regel die Vermie- 
tung zur Vergleichsmiete, auch wirklich aus 
dem Grundstück erwirtschaftet werden kann. 
Zusammengenommen sind nur dem verän- 
derten Bedarf angemessenen Konzepte, Kal- 
kulationsweisen und —KGrundstücksbewer- 
tungsmethoden (auch ohne weiteren Land- 
schaftsverbrauch) geeignet, Flächen für alle 
Nutzungen in der Stadt entsprechend der zah- 
lungsfähigen Nachfrage verfügbar zu halten, 
preiswerte Wohnungen zu erhalten, kurz: eine 
Stadt zu entwickeln, in der die vielen ohne 
großen Verlust an Lebensqualität, bei aller- 
dings veränderten Lebensgewohnheiten, auch 
in der Dauerrezession ihr Auskommen finden. 
Eine Stadt, die aber gleichwohl allen Bewoh- 
nern mehr bietet als die bloße Existenzgrund- 
lage. 
Nur - dieses Konzeptionen, Kalkulations- 
weisen und diese Grundstückspolitik sind zu- 
gleich Programme der Umverteilung von Ein- 
kommen, Vermögen und Macht, denn jede 
echte Einsparung rührt an jemandes Privi- 
legien. Die Gewinner der bisherigen Woh- 
nungs- und Sanierungspolitik sind bekannt 
und damit auch die Gegner,der neuen, gegen 
die es nicht nur politische Mehrheiten zu bil- 
den, sondern in deren Vorfeld auch jene nur 
scheinbar technischen Planungs-, Kalkula- 
tions- und Bewertungsmethoden durchzuset- 
zen gilt, von denen die Umverteilung ja aus- 
geht. Insofern aber das geltende Recht im all- 
gemeinen einer entsprechenden Uminterpre- 
tation der gängigen Planungsverfahren und 
-methoden nicht entgegensteht, ja, wie das 
Wohnungsangebotsbedingte Nahwanderung Darmstadt 1977 — 1982 
Personen I 
4.000 
3.000 
Abwanderung 
2.000 
1.00% 
A 
al 
— Zuwanderung 
ei 
Abb. 3 
HL - 
1977 78 79 80 81 
Ä 
Arbeitsplatzbedingte Fernwanderung Darmstadt 1977 — 1982 
Personen | 
6.000 
5.000 
E ne A. 
EP N dda 
*&€ 
4.000 
DE 
1.000 
Sn - A — 
1977 78 79 80 81 82 
Quelle: Darmstadt in Zahlen Abb; 2 
Einwohnerentwicklung Darmstadt Martinsviertel West 1961 — 1982 
Einwohner 1961 9.500 
1971 7.750 
6.800 
| 
6.600 
6.400 
6.200 
L— HL 
1977 78 ‚5 Bo 81 82 
Quelle: Darmstadt in Zahlen Abb. 4 
BBauG, sogar begünstigt, werden diese Kon- 
flikte eher kommunalpolitisch auszutragen 
sein als durch Bundesgesetzgebung. 
Sind der überlieferte juristische Eigen- 
tumsbegriff und das darauf gründende 
Planungsverständnis die Hinderungs- 
gründe aktiver Stadtentwicklungspolitik? 
Die Hinderungsgründe für den notwendigen 
Strukturwandel in der Nachwachstumsphase 
sind auch auf kommunaler Ebene breit ge- 
fächert und liegen weit tiefer als vermutet. Sie 
stoßen im Kern auf einen tradierten, am Ei- 
gentümerbelieben des BGB orientierten Ei- 
gentumsbegriffs, auf den in weiten Teilen noch 
heute die Rechtsprechung der ordentlichen 
Gerichte zu Entschädigungsfragen und infolge 
dessen auch das Planungsverständnis gründet. 
Dieses stellt sich dem grundgesetzlichen Ei- 
gentumsbegriff und dem daraus abzuleitenden 
Planungsverständnis entgegen und versperrt 
so den Weg zu deduktiver Planung! als dem 
Kernstück aktiver Stadtentwicklungsplanung 
und -politik. 
Nach dem tradierten Eigentumsbegriff, wie 
er der früheren Rechtsprechung des BGH ent- 
spricht, wird in nahezu jeder Begrenzung ge- 
gebener Eigentümerbefugnisse schon ein ent- 
eignender Eingriff erkannt. Das Bundesver- 
fassungsgericht hat zuletzt in seiner Entschei- 
dung vom 15. Juli 1981 diese Auffassung im 
grundsätzlichen korrigiert und somit aktiver 
Stadtentwicklungspolitik den notwendigen 
Handlungsspielraum verschafft, denn mehr 
Begrenzungen der Eigentümerbefugnisse als 
nach der bisherigen Anpassungsplanung in 
der Wachstumsphase üblich waren, sind im 
allgemeinen Interesse in Zukunft notwendig. 
Eine solche Begrenzung in Gestalt eines 
Verwaltungsaktes kann aber schon mit Rück- 
sicht auf das Übermaßverbot nicht willkürlich 
erfolgen. Vielmehr hat deduktive Planung 
nachzuweisen, auf welche Weise sie einem in 
Form von Zielen konkretisierten allgemeinen 
Bedürfnis dient, bzw. besser dient als andere 
Planungsmaßnahmen. Eine solche Deduktion 
des Verwaltungshandelns aus allgemeinen Be- 
dürfnissen als den politischen Zielen zu lei- 
sten, gehört noch lange nicht zum täglichen 
Planerhandwerk. In der Planungspraxis do- 
miniert noch allzu sehr pragmatistische Pla- 
nung und ein dementsprechend privatrecht- 
lich-kaufmännischer Umgangsstil mit den In- 
vestoren. Beides hatte seine Berechtigung, als 
es im wesentlichen darum ging, einen allge- 
meinen Investitionsdruck auf reichlich vor- 
handener Fläche und mit reichlich fließenden 
öffentlichen Haushaltsmitteln in städtebau- 
lich einigermaßen geordnete Bahnen zu 
lenken. 
Mit den Investoren, der Fläche und den 
Haushaltsmitteln ist der pragmatischen An- 
passungsplanung aber ihr Gegenstand abhan- 
den gekommen. So vorteilhaft ein „gesunder 
Pragmatismus“ auf dem Hintergrund eines 
schlüssigen, und daher auch Rechtskraft ver- 
leihenden Handlungskonzepts ist, so wenig 
vermag pragmatistische Planung ohne dieses 
Konzept zu bewirken, denn ihr fehlt mit dem 
Ziel stets auch die rechtliche Begründung, ge- 
genüber dem einzelnen im ja nicht erwiesenen 
Allgemeininteresse etwas anderes durchzu- 
setzen, als dieser ohnehin zu tun gewillt ist. 
Weil pragmatischer Planung also mit dem 
Konzept auch das Rückgrat fehlt, dem allge- 
meinen Interesse in hoheitlicher Funktion 
Geltung zu verschaffen, versucht sie nach wie 
vor, ihr Ziel der Stärke des Verhandlungspart- 
ners angemessen entweder autorität oder an- 
biederisch durch kaufmännisch-privatrechtli- 
chen Verhandlungsstil zu erreichen. Die Ver- 
fassungswirklichkeit bringt sie damit dem 
Verfassungsideal kein Stück näher. Das ist 
aber, wie jeden staatlichen Handelns, ihr Auf- 
trag. Aktive Stadtentwicklungspolitik im 
Sinne der neuen Aufgabenstellung scheitert 
daher vermutlich in nicht geringem Umfang 
am tradierten Planungsverständnis, seiner 
Methodik und dem daraus entspringenden 
Umgang mit dem Bürger. 
Die Handlungskonzepte solcher Planung, 
ihre einzelnen Umsetzungsschritte und damit 
auch irgendwo die Denkweise der entspre- 
chenden Akteure als Planer werden, verfolgt 
vom Rotstift, immer bescheidener, um nicht 
zu sagen immer kleinkarierter, wo doch nur 
komplexe, ’systematische und bis ins Detail 
nonkonformistische Planungsansätze Bes- 
serung zu versprechen hoffen. 
Anmerkung: 
1) Deduktive Planung ist die planerische Ableitung und 
Begründung eines Verwaltungsaktes aus allgemeinen 
Bedürfnissen als den Planungszielen. 
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