Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

Re Zensi5T Ta 
AN DS OA NE 
Ute Wittich: Hüttendorf — Spontane 
Architektur im Flörsheimer Wald. 
Verlag Dieter Fricke, Frankfurt/M. 
Vorwort von Günther Bock, Prof. 
für Architektur an der Städelschule 
Frankfurt/M., Hochschule für Bil- 
dende Künste. 88 Seiten mit 90 Fo- 
tos, Broschur DM 24,80 
ANDERS LEBEN 
GENOSSENSCHAFTLICHE 
SELBSTHILFE ALS 
POLITISCHE KULTUR 
Bausteine zu einer wandernden 
und wachsenden Ausstellung 
Beispiele aus 
Nordrhein-Westfalen 
von 
F.Karthaus, K.Novy, G.Uhlig 
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Es ging darum, anwesend zu sein 
an diesem Ort, dauernd anwesend, 
um den Anspruch zu behaupten, 
das Recht auf die Erhaltung dieses 
Waldes, gegen seine Zerstörung 
durch die Fortschritts-Maschine 
mit ihrer rücksichtslosen Eigenge- 
setzlichkeit. 
Es mußte also hier gewohnt wer- 
den. 
Wenn ich die Hütten betrachte — 
die Bilder der Hütten in dem Buch 
von Ute Wittich, denn das Dorf 
wurde längst zerstört — dann kom- 
me ich zu dem Ergebnis, daß hier 
mehr „gewohnt” wurde als an vie- 
len Plätzen, die ausdrücklich dafür 
ausgewiesen sind. 
Wenn es nur und nur um die An- 
wesenheit, um die Bewachung ge- 
gangen wäre, es hätten vorgefertig- 
te Baracken genügt, wie wir die von 
Gastarbeiterunterkünften kennen, 
oder die praktischen, perfekten 
Zelte, aus denen humanitäre Orga- 
nisationen im Nu ganze Städte für 
Flüchtlinge oder Katastrofenopfer 
entstehen lassen. 
Offensichtlich war da aber mehr, 
etwas, das dazu geführt hat, daß 
viele dieser Hütten einen Ausdruck 
haben, eine Gestalt, gestaltet sind, 
Architektur sind. Dieses Mehr ist 
Identifikation, Betroffenheit und 
die Beziehung, die daraus entsteht: 
zwischen den Menschen und den 
Dingen und dem Ort und den Sinn 
des Verweilens an diesem Ort. 
Eine Situation, die ganz direkt 
das Gefühl des wirklichen Betrof- 
fenseins ermöglicht, weckt also 
Michael Schwarz: „Kleinbäuerli- 
ches” Wohnen in Mexiko. Schrif- 
tenreihe „Entwicklungspolitische 
Texte” der Friedrich Naumannstif- 
tung, Bonn 1983, ca. 420 S.; Bestel- 
lungen: FNS, Bereich Ausland, 
Postfach 120537, 5300 Bonn 1 
Wer sich bis vor kurzem der ent- 
wicklungspolitischen Hoffnung (?) 
hingab, Mexiko könne aufgrund 
seines Erdölreichtums als „Schwel- 
lenland” der Sprung in die Reihe 
der Industrienationen gelingen, 
sieht sich im Zusammenhang des 
jüngsten Schuldendesasters und 
der korrespondierenden Weltbank- 
eingriffe gründlich desillusioniert: 
Die aussenpolitische und ökonomi- 
sche Abhängigkeit des Landes ist 
stärker denn je, die soziale Lage 
(Arbeitslosigkeit, Gesundheitszu- 
stand, Sterblichkeit etc.) der groß- 
städtischen Slumbevölkerung und 
der Landbevölkerung auch mehr 
als 60 Jahre nach der Revolution 
katastrophal und das politische Sy- 
stem weder fähig noch willens, 
grundlegende Veränderungen 
durchzuführen. Was kann in dieser 
Lage die entwicklungspolitisch mo- 
dische „Hilfe zur Selbsthilfe”, die 
sich übrigens in einem anderen Ar- 
gumentationskontext durchaus 
auch als Legitimation für einen 
konservativen Rückzug aus einer 
engagierten Entwicklungspolitik 
mißbrauchen läßt, bedeuten? 
Der Autor, der einige Jahre in 
Mexiko z. T. unter Campesinos 
verbracht und an verschiedenen 
Projekten mitgearbeitet hat, ist 
dieser Frage exemplarisch für den 
Bereich kleinbäuerlichens Woh- 
nens mexikanischer Campesinos im 
Bundesstaat Veracruz nachgegan- 
Kreativität. Und zwar bei Leuten, 
die bis dahin größtenteils herzlich 
wenig mit Gestaltung zu tun hatten 
und wohl auf Anfrage auch spontan 
geantwortet hätten, daß sie nicht 
dazu imstande sind. Eine solche Si- 
tuation erzeugt plötzlich etwas, das 
es sonst fast nicht gibt: Planer, Aus- 
führender und Benutzer in einer 
Person. Und es zeigt sich, daß da- 
bei der Wunsch nach Gestaltung 
entsteht, und zwar nicht nach dem 
Genuß von Gestaltung, sondern 
nach ihrer Ausübung. Und es zeigt 
sich, daß offenbar viele Menschen 
dazu fähig sind. 
Insofern erzählen die Hütten die 
Geschichte von den gestalterischen 
Fähigkeiten von Menschen. Kreati- 
vität bewirkt für denjenigen, der sie 
ausübt, eine gesteigerte Wahrneh- 
mung seiner selbst. Das bedeutet 
für den Einzelnen Entfaltung von 
Persönlichkeit, Aufbau von Selbst- 
wertgefühl. Kreativität wirkt somit 
gen. Ziel, und dies wird sehr deut- 
lich durch die Kritik bisheriger Re- 
gierungsprojekte unterstrichen, 
kann nicht der Transfer „moder- 
ner” Technologien und Wertvor- 
stellungen auf das Land sein, son- 
dern muß in dem Versuch des „soli- 
darischen Beraters” liegen, eine 
benutzerorientierte Hilfestellung 
bei der (Weiter-)Entwicklung an- 
gepaßter Technologien und der 
entsprechenden Organisierung von 
Betroffenen zu geben. Dies impli- 
ziert zugleich eine echte Bereit- 
schaft zum Lernen — ein Anspruch, 
den der Autor in besonders exem- 
plarischer Weise konkret gemacht 
hat. Vor dem Hintergrund einer 
ausführlichen Analyse der allge- 
meinen Misere auf dem mexikani- 
schen Campo wird den Fragen deı 
Wohnbedingungen, Wohnstan- 
dards und Wohnwertvorstellungen 
der Campesino-Bevölkerung kon- 
kret und illustriert durch zahlreiche 
Beispiele im Detail nachgegangen 
emanzipatorisch. Die Hauptströ- 
mungen unserer augenblicklichen 
gesellschafltlichen Wirklichkeit 
sind Machtentfaltung, Anhäufung 
von Kapital, Konkurrenz, Kon- 
sum, Massenproduktion und Mas- 
senumsatz. Das bedeutet die Ent- 
faltung einiger auf Kosten vieler. 
Diese Kategorien sind antiemanzi- 
patorisch und damit antikreativ. 
Aus dieser Sicht ist die Doku- 
mentation des Hüttendorfes wich- 
tig und von größtem Interesse. 
Es sei noch darauf hingewiesen, 
daß sich im Frankfurter Kunstver- 
ein an der Frage einer Ausstellung 
von Dokumenten über die Vorgän- 
ge an der Startbahn West eine hef- 
tige Kontroverse entzündet hat. 
Dieser Streit geht viel weniger um 
ein Problem politischer ONE nT 
tät einer solchen Ausstellung, als 
um die Frage nach einem erweiter- 
ten Kunstbegriff. ristian Thiel 
Darüber hinaus entwickelt Michael 
Schwarz einen detaillierten Katalog 
der wichtigsten in der traditionellen 
ländlichen Volksarchitektur ver- 
wendeten Baumaterialien und 
Bauelemente. Darauf aufbauend 
kann der Autor dann eine Strategie 
ländlichen Bauens konzipieren, die 
keinen abstrakten Modellcharakter 
besitzt, sondern — auch mit Bezug 
auf bereits laufende Entwicklungs- 
projekte — konkrete Realisierungs- 
bedingungen benennt: Die inte- 
grierte Kooperation sogenannter 
„interdisziplinärer Zentren für 
ländliche Entwicklung”, von „Bau- 
höfen” und sogenannten „Barfu- 
Barchitekten”. Insgesamt handelt 
es sich um eine Arbeit, der man 
nicht zuletzt aufgrund ihres enga- 
gierten Ansatzes und ihrer hohen 
Praxisrelevanz größtmögliche Ver- 
breitung unter den mit Entwick- 
lungspolitik Befaßten und Interes- 
sierten nur wünschen kann. 
Tilman Harlander 
D*z
	        
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