Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

Architekten für den Frieden „Architekturen für den Krieg: 
Gerhard Zwerenz 
Neun einzelne Beiträge 
zur Architektur des Todes 
(auch als Girlande zu besichtigen) 
Wir sind Soldaten, keine Mörder, sagte der 
General-Ost, bevor er auf den Knopf drücken 
ließ. 
Wir ‚sind Soldaten, keine Mörder, sagte der 
General-West, bevor er auf den Knopf drük- 
ken ließ. 
Als alles vorbei war, konnte niemand mehr 
feststellen, wer zuerst auf den Knopf drücken 
ließ. 
Weil keiner mehr lebte. 
Die simple Parallelität von Phallus und 
Mordwaffe ist gewiß schon vor Sigmund 
Freud aufgefallen. Nach ihm aber ist sie ein 
psychoanalytischer Gemeinplatz, 
Kürzlich versammelten sich in einem pfälzer 
Dorf aus den Metropolen angereiste Atom- 
waffengegnerinnen in der festen A bsicht, den 
dörflichen Frauen die verderbliche Gleich- 
heit von Phallus und Atomrakete zu predi- 
gen. Weil ihrem eigenen feministischen Se- 
xismus nach das männliche Sexualorgan 
ebenso verabscheuenswürdig ist wie die mör- 
derische Waffe, handelten sich die großstäd- 
tischen Damen eine Niederlage ein. Der nor- 
male Sexualakt, den angereisten Feministin- 
nen ein Greuel, war den Dorfweibern die 
nächtliche Freude, die gleich nach dem Fern- 
sehen kommt, also unverzichtbar bleibt. Die 
Frauen standen sich gegenüber wie Bewoh- 
ner feindlicher Lager. 
Dabei hatte jede Seite doch nur Anteil an 
der ganz gewöhnlichen deutschen Nach- 
kriegsschlauheit, die besagt, daß der Krieg 
verloren und der Friede erschwindelt werden 
müsse. Wir meinen das keineswegs pejorativ, 
im Gegenteil, die Erhaltung von Kultur und 
Bevölkerung ist die Jahrtausende hindurch 
stets durch einfache, derbe Schlauheit gesi- 
chert worden. 
Stets hatten die Sieger Rache genommen 
und gemetzelt. Irgendwann aber erlahmt 
auch der Arm des stärksten und tüchtigsten 
Metzlers. Sein Sinn braucht Entlastung, sein 
Geist hört auf gute Gründe. Benimmt der 
noch nicht geschlachtete Unterlegene sich 
klug und jämmerlich genug, wird ihm das Le- 
ben geschenkt. 
Die Völker entwickelten im Lauf der Ge- 
schichte ihre Überlebensstrategien der 
Schamlosigkeit, des Kniefalls und der Selbst- 
klage. 
Die deutsche Niederlage im 1. Weltkrieg 
war nicht vollkommen, die Sieger wüteten 
nicht grausam genug, die Besiegten sahen 
sich nicht genötigt, im Staub zu knien. So 
richteten sie sich auf und organisierten einen 
2. Weltkrieg. Diesmal blieben die Sieger 
nicht auf halbem Wege stehen, sondern 
marschierten in die Zentren des deutschen 
Feindes. Die Unterjochung gelang so restlos. 
daß die Unterjochten keinen 3. Waffengang 
erhoffen konnten. 
Als die Sieger dies erkannten und sich un- 
tereinander entzweiten, eröffnete sich den 
Besiegten des 2. Weltkrieges die einmalige 
Chance, zu den Siegern eines bevorstehen- 
den 3. Weltkrieges zu zählen. 
Da die Sieger das Reich geteilt hatten, 
schlugen sich die westlichen Besiegten zu den 
westlichen Siegern, und die östlichen zu ihren 
östlichen Herren. Beide handelten ebenso 
verschmitzt wie diplomatisch klug, ja geris- 
sen. 
Das Spiel zwischen den 2. und 3. Weltkrieg 
war anders gemischt als zwischen dem 1. und 
2.. Damals konnten die Deutschen gemein- 
san den neuen Krieg anstreben. Jetzt, nach 
1945, ließ sich der nächste Krieg nur gegen- 
einander vorbereiten. 
Es war vollkommen klar, der 3. Weltkrieg 
würde als innerdeutscher Bürgerkrieg begin- 
nen. Aus eigenen Kräften und mit eigenen 
Antrieben ließe sich das nicht erreichen. 
Aber mit der jeweiligen Fremdhilfe. 
Weit vorausschauende Politiker erkannten 
die Chance. Am Anfang des neuen Mässa- 
kers stand die Geographie. Waren die Alli- 
ijerten bald nach Ende des 2. Kriegs in einan- 
der feindliche Blöcke zerfallen, mußten die 
Deutschen die Blöcke verstärken und den 
feindlichen Gewalten eine größere stählerne 
Härte verleihen. 
Natürlich war, diese Qualität zu erreichen, 
ein UÜbermaß von Schlauheiten, Umwegen 
und Tarnungen nötig. Keine direkte Zielan- 
sprache bitte, wies bekanntlich Adenauer sei- 
nen Kammerjäger an, und in der DDR wurde 
kürzlich ein halbes Dutzend Generäle zu 
Feldmarschällen ernannt (Welcher Plural ist 
eigentlich richtig: Feldmarschälle oder Feld- 
marschalle? Und wiederum hält die deutsche 
Grammatik nicht mit der Entwicklung 
Schritt. Schreibt man hier Schritt groß oder 
klein? auch die deutsche Großschreibung hat 
ihre Tücken... Natürlich weiß heute jeder 
Deutschlehrer bestens Bescheid: Korrekte 
Rechtschreibung ist eine der unabdingbaren 
Vorraussetzungen des nächsten Krieges...) 
Es gibt. gewisse heiße Sommer, da knien die 
Fliegen sich vor den auf der Toilette hocken- 
den Menschen nieder und beten sie an, ihre 
Nahrungsspender. Es gibt gewisse Perversio- 
nen heiliger Wahrheiten; Scheiße schmeckt 
gut. Millionen Fliegen können nicht irren. 
Die Deutschen hatten ein 3. Reich lang 
Freuds Psychoanalyse staatlich verboten. 
Während sie emsig ihre Granaten und Bom- 
ben und neu entwickelten Raketen produ- 
zierten, erfreuten sie sich ganz naiv an den 
schönen Formen. Ihr Herz war rein. Kein 
Deutscher dachte beim Anblick einer Gra- 
nante an etwas Obszönes. So fiel es den be- 
siegten Deutschen nicht sonderlich schwer, 
wenige kurze Jahre nach der Niederlage das 
Schöne an den amerikanischen (russischen) 
Granaten und Bomben zu entdecken. Es geht 
Mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit rast’de 
_. und schlägt wenige Meter neben dem ’Z 
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