Architekten für den Frieden „Architekturen für den Krieg:
Gerhard Zwerenz
Neun einzelne Beiträge
zur Architektur des Todes
(auch als Girlande zu besichtigen)
Wir sind Soldaten, keine Mörder, sagte der
General-Ost, bevor er auf den Knopf drücken
ließ.
Wir ‚sind Soldaten, keine Mörder, sagte der
General-West, bevor er auf den Knopf drük-
ken ließ.
Als alles vorbei war, konnte niemand mehr
feststellen, wer zuerst auf den Knopf drücken
ließ.
Weil keiner mehr lebte.
Die simple Parallelität von Phallus und
Mordwaffe ist gewiß schon vor Sigmund
Freud aufgefallen. Nach ihm aber ist sie ein
psychoanalytischer Gemeinplatz,
Kürzlich versammelten sich in einem pfälzer
Dorf aus den Metropolen angereiste Atom-
waffengegnerinnen in der festen A bsicht, den
dörflichen Frauen die verderbliche Gleich-
heit von Phallus und Atomrakete zu predi-
gen. Weil ihrem eigenen feministischen Se-
xismus nach das männliche Sexualorgan
ebenso verabscheuenswürdig ist wie die mör-
derische Waffe, handelten sich die großstäd-
tischen Damen eine Niederlage ein. Der nor-
male Sexualakt, den angereisten Feministin-
nen ein Greuel, war den Dorfweibern die
nächtliche Freude, die gleich nach dem Fern-
sehen kommt, also unverzichtbar bleibt. Die
Frauen standen sich gegenüber wie Bewoh-
ner feindlicher Lager.
Dabei hatte jede Seite doch nur Anteil an
der ganz gewöhnlichen deutschen Nach-
kriegsschlauheit, die besagt, daß der Krieg
verloren und der Friede erschwindelt werden
müsse. Wir meinen das keineswegs pejorativ,
im Gegenteil, die Erhaltung von Kultur und
Bevölkerung ist die Jahrtausende hindurch
stets durch einfache, derbe Schlauheit gesi-
chert worden.
Stets hatten die Sieger Rache genommen
und gemetzelt. Irgendwann aber erlahmt
auch der Arm des stärksten und tüchtigsten
Metzlers. Sein Sinn braucht Entlastung, sein
Geist hört auf gute Gründe. Benimmt der
noch nicht geschlachtete Unterlegene sich
klug und jämmerlich genug, wird ihm das Le-
ben geschenkt.
Die Völker entwickelten im Lauf der Ge-
schichte ihre Überlebensstrategien der
Schamlosigkeit, des Kniefalls und der Selbst-
klage.
Die deutsche Niederlage im 1. Weltkrieg
war nicht vollkommen, die Sieger wüteten
nicht grausam genug, die Besiegten sahen
sich nicht genötigt, im Staub zu knien. So
richteten sie sich auf und organisierten einen
2. Weltkrieg. Diesmal blieben die Sieger
nicht auf halbem Wege stehen, sondern
marschierten in die Zentren des deutschen
Feindes. Die Unterjochung gelang so restlos.
daß die Unterjochten keinen 3. Waffengang
erhoffen konnten.
Als die Sieger dies erkannten und sich un-
tereinander entzweiten, eröffnete sich den
Besiegten des 2. Weltkrieges die einmalige
Chance, zu den Siegern eines bevorstehen-
den 3. Weltkrieges zu zählen.
Da die Sieger das Reich geteilt hatten,
schlugen sich die westlichen Besiegten zu den
westlichen Siegern, und die östlichen zu ihren
östlichen Herren. Beide handelten ebenso
verschmitzt wie diplomatisch klug, ja geris-
sen.
Das Spiel zwischen den 2. und 3. Weltkrieg
war anders gemischt als zwischen dem 1. und
2.. Damals konnten die Deutschen gemein-
san den neuen Krieg anstreben. Jetzt, nach
1945, ließ sich der nächste Krieg nur gegen-
einander vorbereiten.
Es war vollkommen klar, der 3. Weltkrieg
würde als innerdeutscher Bürgerkrieg begin-
nen. Aus eigenen Kräften und mit eigenen
Antrieben ließe sich das nicht erreichen.
Aber mit der jeweiligen Fremdhilfe.
Weit vorausschauende Politiker erkannten
die Chance. Am Anfang des neuen Mässa-
kers stand die Geographie. Waren die Alli-
ijerten bald nach Ende des 2. Kriegs in einan-
der feindliche Blöcke zerfallen, mußten die
Deutschen die Blöcke verstärken und den
feindlichen Gewalten eine größere stählerne
Härte verleihen.
Natürlich war, diese Qualität zu erreichen,
ein UÜbermaß von Schlauheiten, Umwegen
und Tarnungen nötig. Keine direkte Zielan-
sprache bitte, wies bekanntlich Adenauer sei-
nen Kammerjäger an, und in der DDR wurde
kürzlich ein halbes Dutzend Generäle zu
Feldmarschällen ernannt (Welcher Plural ist
eigentlich richtig: Feldmarschälle oder Feld-
marschalle? Und wiederum hält die deutsche
Grammatik nicht mit der Entwicklung
Schritt. Schreibt man hier Schritt groß oder
klein? auch die deutsche Großschreibung hat
ihre Tücken... Natürlich weiß heute jeder
Deutschlehrer bestens Bescheid: Korrekte
Rechtschreibung ist eine der unabdingbaren
Vorraussetzungen des nächsten Krieges...)
Es gibt. gewisse heiße Sommer, da knien die
Fliegen sich vor den auf der Toilette hocken-
den Menschen nieder und beten sie an, ihre
Nahrungsspender. Es gibt gewisse Perversio-
nen heiliger Wahrheiten; Scheiße schmeckt
gut. Millionen Fliegen können nicht irren.
Die Deutschen hatten ein 3. Reich lang
Freuds Psychoanalyse staatlich verboten.
Während sie emsig ihre Granaten und Bom-
ben und neu entwickelten Raketen produ-
zierten, erfreuten sie sich ganz naiv an den
schönen Formen. Ihr Herz war rein. Kein
Deutscher dachte beim Anblick einer Gra-
nante an etwas Obszönes. So fiel es den be-
siegten Deutschen nicht sonderlich schwer,
wenige kurze Jahre nach der Niederlage das
Schöne an den amerikanischen (russischen)
Granaten und Bomben zu entdecken. Es geht
Mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit rast’de
_. und schlägt wenige Meter neben dem ’Z
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