In der Vielfalt der Fäden, die zwischen
Architektur und Krieg laufen, sind die
verdeckten nicht minder wichtig als die offen
zutage liegenden, aber wir diskutieren inzwi-
schen unter Zeitdruck. Die Kriegsvorberei-
tungen sind in vollem Gange, die zutagelie-
genden Fäden sind die näherliegenden, aktuel-
leren. Der Krieg ist ein mächtiger Arbeitgeber.
Wer die Vorbereitungen überhaupt als Tat-
sache akzeptiert und an sich heranläßt, was da
passiert, der tut, was er tut, bereits heute unter
Vorbehalt. Nicht nur, wer heute ein Haus zu
planen oder zu bauen beginnt, kann nicht si-
cher sein, die Schlüsselübergabe zu erle-
ben - auch das Nachdenken hierüber und über
die Verstrickung von Architektur und Kriegs-
planung steht unter dem Zeitvorbehalt. Man
braucht sich nicht darum zu streiten, ob das
atomare Pulverfaß, auf dem wir Deutschen
hocken, an seiner „friedlichen“ oder an seiner
kriegerischen Seite Feuer fängt - im Effekt ist
eine Bombe so gut wie ein AKW. Auch ob das
aus Versehen oder als Angriffskrieg passiert,
kann einem egal sein. Das wesentliche Fak-
tum ist, daß die Stationierung der neuen Mit-
telstreckenraketen im Herbst den Zeiger um
die entscheidende Spanne vorrücken wird.
Von da an ist alles möglich. Von da an ist mög-
lich, daß es keine Architekten mehr in Europa
geben wird und keine Architektur - einfach,
weil es keine Menschen mehr geben wird und
ein Wiederaufbau nicht stattfindet.
Daß dieser Fall ab der Stationierung abseh-
bar wird, setzt’eine Profitgrenze. Von bisheri-
gen Kriegen haben die Architekten allemal
noch profitiert - vorher, indem sie Kasernen,
Festungen, Bunker entwarfen, nachher, in-
dem sie freies Feld hatten, um die neuesten
städtebaulichen Ideen zu verwirklichen und
um Städte, Festungen, Schlösser neu zu er-
richten. Vom nächsten Krieg ist immerhin ei-
nes sicher: man wird nur am ersten Teil verdie-
nen können, am Zivilschutz, am Bau militäri-
scher Einrichtungen jeder Art, an der Re-
gionalplanung für den Ernstfall. Der zweite
Teil, der Wiederaufbau, wird entfallen. Er
wäre der weitaus lukrativere.
Die Vorbereitung ist nicht nur vom finan-
ziellen Gesichtspunkt her mager. Selbst damit
mag sich vielleicht der eine oder andere be-
gnügen. Aber der springende Punkt ist, daß
die Teilnahme an der Vorbereitung selber da-
zu mithilft, daß es kein Nachher geben wird.
Diesmal ist nämlich das Bunkerbauen und
Schutzraumherstellen nicht deshalb Kriegs-
vorbereitung, weil im nächsten Kriege der-
gleichen gebraucht würde. So kurzsichtig sind
die Politiker nicht. Im nächsten Kriege wer-
den Bunker niemanden etwas nützen, auch
den wenigen nicht, die möglicherweise bei auf
Null geschrumpften Vorwarnzeiten doch noch
hineinkommen. Das Bunkerbauen, soweit es
nicht Baugeschäft in Krisenzeit ist, ist simple
Innenpolitik: es soll beruhigen, es soll Überle-
benschancen vortäuschen. wo keine sind.
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Lassen wir den allzu offensichtlichen Faden
des Geschäfts- und Bürointeresses fallen, es
gibt andere Fäden, die mit einer weit schwieri-
ger zu greifenden Macht Kriegsplanung und
Architekten beisammenhalten. Näher dran
am Subjekt der Architektur, an den Beweg-
gründen des Entwerfens, ist der Wunsch nach
Selbstverwirklichung. Dieser Wunsch kann
merkwürdige Wege gehen. Wie wenig in den
20er Jahren von dem, was gedacht und ge-
plant wurde, verwirklicht werden konnte, das
ist bekannt. Der NS reduzierte ab 1933 die
Zunächst
der Krieg Gottes
oder
der Untergang der Welt
Möglichkeiten noch weiter, insbesondere
durch Berufsverbot für die Vertreter des
Neuen Bauens und alle die, die, wenn nicht
stilistisch, dann allgemein politisch unlieb-
sam waren. 1939 setzte die Kriegswirtschaft
dem zivilen Bauen überhaupt ein Ende. Das
alles weiß man. Man weiß auch, daß es vielen,
die im NS-Staat proskribiert waren, gelang, in
der Reichswehr unterzuschlüpfen. Und trotz-
dem ist es ein Schock, wenn man dank dem
Medium der Fotodokumentation einmal die
Masse der Atlantikbunkerbauten gehäuft auf
dem Tisch liegen sieht. Da haben, in den Ber-
liner Büros der Organisation Todt, Architek-
ten entworfen. Da ist sie, die ausgeschlossene
Architektur. Das sind nicht einfach Bunker, in
Serie nach rein militärischen Gesichtspunk-
ten in die Dünen gesetzt. Das sind wiederer-
kennbare Architekturen, Manifeste der Strö-
mungen der 20er Jahre, Mendelssohn, Orga-
nisches, Expressionisten bis Konservative. Da
war das nicht Gebaute, in Bunkerform.
Deutlicher kann man architektonische
Selbstverwirklichung nicht antreffen. Was
fürs Leben nicht möglich war, gut, das wurde
eben für den Tod gebaut. So war es gebaut,
war da, blieb nicht ungenutzt, unveröffent-
licht, unverwirklicht im Entwerfer zurück.
Unübersehbar ist aber auch, daß das eine
vergangene Situation ist: Wäre im heutigen
Milıtärmanagement dieser Spielraum über-
haupt noch denkbar? In der Organisation
Todt muß, wie überhaupt im NS, noch ein In-
teresse am Erscheinen der Tödlichkeit militä-
rischer Gewalt vorhanden gewesen sein, allein
um dieses manifest überschüssige Asthetische
zu dulden. Wenn man sich heutige Militäran-
lagen anschaut, diese völlig insignifikanten
Hütten, versteckten Eingänge, Hangars, de-
nen gegenüber die Fünfziger-Jahre-Troddlig-
keit des NATO-Hauptquartiers in Rheindah-
len bei Mönchengladbach fast noch heraldisch
wirkt, dann ist der Unterschied unüberseh-
bar. Die moderne Tötungsmaschinerie zeigt
sich nicht mehr. Was Militärs und Politiker an
dieser Maschinerie so geil finden, ist besten-
falls noch in den Raketen ausgedrückt (die
aber erigiert ja nie zu sehen sind, sie werden
liegend durch die deutsche Landschaft gefah-
ren oder lagern in unterirdischen Verliesen),
im Grunde liegt es.auf einer ganz anderen Ebe-
ne, der des mathematischen Kalküls: so und so
vielfacher overkill. Was bleibt da dem Archi-
_Ibrecht Dürer,
Dieter
Krieg
&
tekten noch auszudrücken. Der uralte Vertrag
zwischen Militär und Architektur ist aufge-
kündigt. Und das ist gut so. Alle die, die im-
mer nur über die Gesichtslosigkeit der „funk-
tionalen“, der bloßen Containerarchitektur la-
mentieren und dabei vergessen, die histori-
sche Notwendigkeit mitzudenken, mit der die
gesellschaftliche Symbolisierungskraft der
Architektur unwiederbringlich den Fluß der
Zeit hinabgegangen ist, sollten das stille Expe-
riment im Kopf machen, ihr Lamento von den
Kaufhäusern usw. abzulösen und auf die heute
im Bau befindlichen militärischen Anlagen zu
übertragen. Bleibt einem die Klage da nicht im
Munde stecken? Wohlgemerkt, daß das Töten
nicht mehr als solches architektonisch er-
scheint, ist natürlich kein reiner Fortschritt,
solange das Töten selbst weitergeht. Daß aber
die Architektur aus dem Arsenal der Militär-
politik ausgesondert wurde, daß man nur
noch Ingenieurqualitäten braucht, Vorferti-
gung, Spezialbeton, Hydraulik usw. - das zeigt
zumindest eine tiefgreifende Veränderung im
Verhältnis von Krieg und Architektur an, und
mithin zwischen Krieg und Gesellschaft. Denn
die Bildkraft der Architektur war nie neutral
und beliebig. Der Krieg war der radikalste An-
laß für Architektur.
IV
Ist also das Problem damit erledigt? Noch
nicht ganz. Etwas ganz wesentliches muß jetzt
erst erfolgen: die Verarbeitung dieser Kündi-
gung. Die Kündigung impliziert einen doppel-
ten Tatbestand: Es wird militärisch weiter ge-
baut, und im Augenblick mehr als zuvor. aber
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