den Dreck sorgfältig abgedeckt hat, „fängt
jetzt der Versorgungsbereich an, der mit der
U-Bahn nichts zu tun hat. Das ist vom Bund
finanziert. Die Einlagerung von Verbrauchs-
stoffen ist noch nicht erfolgt. Die bezahlt das
Land. Es ist wichtig, daß Sie das wissen.” Ich
gucke auf die Krankentragen und die Dekon-
taminationsdusche.
Von der Rettungsstation treten wir in einen
langen, neonbeleuchteten Gang. „Als er-
stes”, erläutert Herr D., während er eine Tür
öffnet, „brauchen wir Wasser.” Förderpum-
pen, unterirdischer Wassertank, Notbrunnen
im ersten und zweiten Horizont (ca. 80 m Tie-
fe), Aufbereitungsanlagen, Druckkessel.
Dann der Raum Raumlufttechnik. Alles pi-
cobello. „Wenn ABC-Einsatz erfolgt, wird
die Luft über Sand- und Raumfilter ange-
saugt. Der Sand kühlt, wir müssen ja mit ei-
nem Flächenbrand rechnen. Hier ist es Ihnen
nicht kalt, hier ist es Ihnen warm, bis 30
Grad.” 2225 Menschen, die heizen ganz
schön auf. „Die ABC-Raumfilter hier wer-
den erst dann Flansch an Flansch zusammen-
geschraubt, die können nur einmal gebraucht
werden. Ja, 14 Tage etwa, dann sind sie er-
schöpft.”
Wir besichtigen die Waschrinnen und Abor-
te, die mir ebenso winzig vorkommen wie die
Küche mit ihren zwei Kochplatten. „Kompri-
mierte Verpflegung, kalorienmäßig ausge-
legt, das ist dann garnicht so viel.” Wenn die
Kanalisation zerstört ist, wird der Dreck über
eine Froschklappe direkt auf die Straße geflu-
tet. Mir wird klar, daß alle organischen Ver-
richtungen hier absolut durchorganisiert ver-
laufen müssen. Vorbei an der Meßuhr für
den Überdruck, der dann im Bunker
herrscht, damit durch Risse keine Außenluft
eindringen kann. Dann ist der Hall in unse-
ren Stimmen fort. Der Raum mit dem Not-
stromaggregat ist schallgedämpft. Die elekti-
sche Zentrale des Bunkers. „Ganz schön
kompliziert”, erlaube ich mir zu bemerken.
„Ich gehe selbst kaum dran”, antwortet Herr
D. „Das hier kann nur klappen, wenn man
laufend den Ernstfall simuliert. Es muß ja al-
les klappen, das ist ja wie ein Uhrwerk, wenn
irgendwo etwas nicht klappt, ist es aus.” Si-
mulieren wird der Bunkerbetriebsdienst des
Technischen Hilfswerks. „Die sind dann ja
auch als erste da.”
Nach einem Lager mit Bettgestellen kom-
men wir schließlich in den hintersten Raum
des Versorgungsbereichs, die Krankenabtei-
lung, vollgestopft mit Betten, immer vier
übereinander, dazwischen Gänge, durch die
man kaum durchkommt, kein allzu großer
Raum, gelinde gesagt. Herr D. macht mich
auf den Plastikkantenschutz auf den unter-
sten Betten aufmerksam, der bewirken soll,
daß man sich beim Sitzen die Adern nicht ab-
klemmt. Um zu sitzen, muß allerdings das
Bett darüber heruntergeklappt werden und
als Rückenlehne dienen.
Die Bahnsteige werden ebenfalls Schutz:
raum werden. Hinter zwei Türen wieder Bet-
tenlager. An jedem Gestell ein Zettelchen,
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wo es hinkommen muß. Plastikvorhänge, um
jeweils hundert Betten abzuteilen. Mächtige
gasdichte Schwenkentore, mit denen der
Tunnel auf beiden Seiten geschlossen wird,
nachdem zwei Züge eingefahren sind. Die
sind dann entweder schon besetzt oder wer-
den belegt — Schutzplätze auch sie. Matten
für diejenigen, die nicht sitzen, liegen bereit.
„Etwas spartanisch”, meint Herr D., „aber
wenn man überleben will...” die Besichtigung
ist zu Ende.
„Wo”, frage ich auf der Treppe nach oben,
„kommen eigentlich die Toten hin?” „Das ist
im letzten Krieg insofern auch nicht geklärt
worden, als man sie nachher abtransportiert
hat. Ein Toter ist ja so lange nicht störend,
solange er nicht verwest.” „In 14 Tagen?”
„Ach — Sie meinen, wenn er unten in der An-
lage sterben würde?” — Den würde man
wahrscheinlich in die Kontrollräume, die ha-
be ich ihnen nicht aufgemacht, von der Ab-
flußanlage und so weiter. Es gibt ja hier eini-
ge Räume, die hier nicht für den Personen-
schutz sind. Na ja. Frage ist berechtigt.”
Zur Appetitanregung hier eine lückenlose
Aufstellung existierender „Mehrzweckbau-
ten”: Hamburg: S-Bahnhof Jungfernstieg
(Zugänge laut ZS Magazin „durch Türen ka-
schiert, die gut zur friedensmäßigen Ausstat-
tung dieser Halle passen und nicht im gering-
sten auffallen”); S-Bahnhof Stadthausbrük-
ke; S-Bahnhof Reeperbahn. Berlin: U-Bahn-
hof Pankstraße und Siemensdamm. Mainz:
Tiefgarage am Kurfürstlichen Schloß. Bre-
men: Domshof-Bunker. Bonn: U-Bahnsta-
tion Hauptbahnhof. Stuttgart: U-Bahnhof
Stadtmitte. München: U-Bahnhof Innsbruk-
ker Ring; und, funkelnagelneu, U-Haupt-
bahnhof.
Direkt vor dem U-Bahn-Eingang, gegen-
über der Kalker Post, liegt die Chemische Fa-
brik Kalk. Ich gehe durch einige entweste
Straßen, die das Fabrikgelände schneiden,
dann durch ‘das angrenzende, alte, weite Ar-
beiterviertel. Bahnunterführungen, alte Pa-
rolen „Ulrike ermordet”, neue Plakate zur
„Türkeihilfe” mit Fotos von Gefolterten.
Hier im Osten Kölns glaubt man sich schon
im Ruhrgebiet. Nach fünf Zigaretten beginne
ich mit den Interviews vor der Kalker Post.
Nee, hab ich noch nichts von gehört. Für
wen nehmen Sie das auf? Das machen die
doch alles klammheimlich. Haben wir das nö-
tig? Fangen sie jetzt wieder an? Ich kann mir
das garnicht vorstellen. Es wird schon mal da-
von gesprochen. Ich fahre nie mit der U-
Bahn. Die Kleinen können ja verrecken, die
Großen retten sich sehon. Wenn die rauskom-
men, dann müssen sie alle mal wieder selber
arbeiten. Im Grunde genommen muß jeder
sterben. Am besten tun sie die kleinen Babys
rein. 2225? Ein Witz, im Grunde genommen.
Nichts gehört. Das weiß ich nicht. Könnte ja
möglich sein. Ne große Meinung hab ich da-
zu. Die sind feige. Wenn uns nichts passiert,
wozu brauchen wir dann die Bunker, also ha-
ben die und was verheimlicht, sie sollen uns
doch sagen, was sie vorhaben. Atombombe
abschaffen.
fieärr
Der 17. Juni ist wie der ganze Sommer etwas
verregnet. Auf der Topographischen Karte
5408 war außer einem merkwürdigen schwar-
zen Strich auf der Straße, die bei Marienthal:
vom Ahrtal nach Norden abgeht, und einem
Drahtzaun auf den Weinbergen nördlich von
Dernau nichts zu erkennen.
Die Autobahn von Köln nach Bonn ist leer,
nach Bonn noch leerer. Ich nehme die Ab-
fahrt Bad-Neuenahr — Ahrweiler.
„Immer heiter — Gott hilft weiter”, steht auf
dem Gründerzeit-Bahnhof von Neuenahr,
und: „Froher Mut — gesundes Blut”. Das
Städtchen ist ein halbmondäner Kurort mit
all seinen Schrecken: Privatkliniken, Spiel-
bank, Glockenspiel in der Fußgängerzone,
Anlagen. Das mittels des pennsylvanischen
Springschlagverfahrens gebohrte Apollinaris-
Wasser schmeckt hier lauwarm, eisenhaltig
und, wie es soll, mild-prickelnd.
Ich fahre ins Ahrtal hinein bis zum einge-
meindeten Ahrweiler, einem mittelalterlich
wirkenden Ort, umgeben von Stadtmauern.
Würde ich hier nun nach Süden abbiegen, kä-
me ich nach drei Kilometern zur Katastro-
phenschutzschule des Bundes. Statt dessen
betrachte ich die hohen Brückenpfeiler, die
kurz vor Ahrweiler auf der nördlichen Talsei-
te ins Leere starren, Überreste der am Ende
des Ersten Weltkrieges gebauten Luden-
dorff-Bahn.
Obwohl die Transporte von Sprengstoff und
Munition von Köln nach Jünkerath Tag und
Nacht gerollt waren, hatte die eingleisige
Ahrtalbahn nicht mehr ausgereicht. In einer
letzten Anstrengung versuchte man deshalb,
eine parallele Eisenbahnlinie an der Nordsei-
te des Tals entlangzuziehen. Unter dem Sil-
berberg, unter den Ausläufern des Kratze-
mich und unter dem Hardtberg wurden drei
Tunnels ausgesprengt. Von Dernau aus lief
die Linie dann auf einem Damm und münde-
te bei Rech in die alte Bahn.
Bitter bemerkt ein silberhaariger Pensionist,
der mich zu den römischen Ausgrabungen am
Fuße des Silberberges begleitet, daß die
Franzosen nach dem Versailler Vertrag die
Armierungen von der fast schon fertiggestell-
ten Brücke gerissen hätten. Zwischen den
Weltkriegen wurden dann in den Tunnels
Champignons gezüchtet. In den vierziger
Jahren kam das Militär wieder und begann im
Rahmen des „Geheimprojekts Mittelbau” im
Tunnel unter dem Kratzemich mit der Mon-
tage von V-2-Raketen. Tarnname des Tun-
nels Rebstock (alt): Paula. Der ältere Herr
hat schöne blaue Augen und einen Spazier-
stock. „Was Sie heute von Ahrweiler sehen”,
sagt er, „wurde fast alles nach dem Krieg auf-
gebaut.” Die Bombardements der Alliierten
verschütteten die Ahr, und die Bewohner des
Tales retteten sich nach dem Angriff Weih-
nachten 1944 in den leerstehenden Tunnel
unter dem Silberberg, wo sie zu Tausenden in
Dreck und Qualm unter tropfenden Wänden,
in primitiv zusammengezimmerten Verschlä-
gen die Ankunft der Amerikaner erwarteten.
Ich steige das Sträßchen zwischen dem Sil-
berberg und dem Haus Hohenzollern hoch.
Der nach dem Krieg ebenso wie die anderen
Tunnel gesprengte Stollen unter dem Silber-
berg, auf dem einer der besten Rotweine des
Ahrtals wächst, wurde nie mehr eröffnet. Die
anderen beiden beherbergen heute noch den
Bunker, aus dem heraus die Bundestegierung
im Notstandsfall zu regieren gedenkt. „Dort
oben”, hatte mein freundlicher Führer ge-
sagt, „liegt einer der Eingänge.” Der in Ma-
rienthal freilich sei populärer. Ich finde
nichts, kehre unverrichteter Dinge um und
fahre zwischen Weinhängen die Ahr entlang
nach Marienthal.
Nur wenige Häuser, das Gasthaus der Win-
zergenossenschaft. Vor dem Sträßchen, das
auf meiner Karte zu dem merkwürdigen