Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

den Dreck sorgfältig abgedeckt hat, „fängt 
jetzt der Versorgungsbereich an, der mit der 
U-Bahn nichts zu tun hat. Das ist vom Bund 
finanziert. Die Einlagerung von Verbrauchs- 
stoffen ist noch nicht erfolgt. Die bezahlt das 
Land. Es ist wichtig, daß Sie das wissen.” Ich 
gucke auf die Krankentragen und die Dekon- 
taminationsdusche. 
Von der Rettungsstation treten wir in einen 
langen, neonbeleuchteten Gang. „Als er- 
stes”, erläutert Herr D., während er eine Tür 
öffnet, „brauchen wir Wasser.” Förderpum- 
pen, unterirdischer Wassertank, Notbrunnen 
im ersten und zweiten Horizont (ca. 80 m Tie- 
fe), Aufbereitungsanlagen, Druckkessel. 
Dann der Raum Raumlufttechnik. Alles pi- 
cobello. „Wenn ABC-Einsatz erfolgt, wird 
die Luft über Sand- und Raumfilter ange- 
saugt. Der Sand kühlt, wir müssen ja mit ei- 
nem Flächenbrand rechnen. Hier ist es Ihnen 
nicht kalt, hier ist es Ihnen warm, bis 30 
Grad.” 2225 Menschen, die heizen ganz 
schön auf. „Die ABC-Raumfilter hier wer- 
den erst dann Flansch an Flansch zusammen- 
geschraubt, die können nur einmal gebraucht 
werden. Ja, 14 Tage etwa, dann sind sie er- 
schöpft.” 
Wir besichtigen die Waschrinnen und Abor- 
te, die mir ebenso winzig vorkommen wie die 
Küche mit ihren zwei Kochplatten. „Kompri- 
mierte Verpflegung, kalorienmäßig ausge- 
legt, das ist dann garnicht so viel.” Wenn die 
Kanalisation zerstört ist, wird der Dreck über 
eine Froschklappe direkt auf die Straße geflu- 
tet. Mir wird klar, daß alle organischen Ver- 
richtungen hier absolut durchorganisiert ver- 
laufen müssen. Vorbei an der Meßuhr für 
den Überdruck, der dann im Bunker 
herrscht, damit durch Risse keine Außenluft 
eindringen kann. Dann ist der Hall in unse- 
ren Stimmen fort. Der Raum mit dem Not- 
stromaggregat ist schallgedämpft. Die elekti- 
sche Zentrale des Bunkers. „Ganz schön 
kompliziert”, erlaube ich mir zu bemerken. 
„Ich gehe selbst kaum dran”, antwortet Herr 
D. „Das hier kann nur klappen, wenn man 
laufend den Ernstfall simuliert. Es muß ja al- 
les klappen, das ist ja wie ein Uhrwerk, wenn 
irgendwo etwas nicht klappt, ist es aus.” Si- 
mulieren wird der Bunkerbetriebsdienst des 
Technischen Hilfswerks. „Die sind dann ja 
auch als erste da.” 
Nach einem Lager mit Bettgestellen kom- 
men wir schließlich in den hintersten Raum 
des Versorgungsbereichs, die Krankenabtei- 
lung, vollgestopft mit Betten, immer vier 
übereinander, dazwischen Gänge, durch die 
man kaum durchkommt, kein allzu großer 
Raum, gelinde gesagt. Herr D. macht mich 
auf den Plastikkantenschutz auf den unter- 
sten Betten aufmerksam, der bewirken soll, 
daß man sich beim Sitzen die Adern nicht ab- 
klemmt. Um zu sitzen, muß allerdings das 
Bett darüber heruntergeklappt werden und 
als Rückenlehne dienen. 
Die Bahnsteige werden ebenfalls Schutz: 
raum werden. Hinter zwei Türen wieder Bet- 
tenlager. An jedem Gestell ein Zettelchen, 
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wo es hinkommen muß. Plastikvorhänge, um 
jeweils hundert Betten abzuteilen. Mächtige 
gasdichte Schwenkentore, mit denen der 
Tunnel auf beiden Seiten geschlossen wird, 
nachdem zwei Züge eingefahren sind. Die 
sind dann entweder schon besetzt oder wer- 
den belegt — Schutzplätze auch sie. Matten 
für diejenigen, die nicht sitzen, liegen bereit. 
„Etwas spartanisch”, meint Herr D., „aber 
wenn man überleben will...” die Besichtigung 
ist zu Ende. 
„Wo”, frage ich auf der Treppe nach oben, 
„kommen eigentlich die Toten hin?” „Das ist 
im letzten Krieg insofern auch nicht geklärt 
worden, als man sie nachher abtransportiert 
hat. Ein Toter ist ja so lange nicht störend, 
solange er nicht verwest.” „In 14 Tagen?” 
„Ach — Sie meinen, wenn er unten in der An- 
lage sterben würde?” — Den würde man 
wahrscheinlich in die Kontrollräume, die ha- 
be ich ihnen nicht aufgemacht, von der Ab- 
flußanlage und so weiter. Es gibt ja hier eini- 
ge Räume, die hier nicht für den Personen- 
schutz sind. Na ja. Frage ist berechtigt.” 
Zur Appetitanregung hier eine lückenlose 
Aufstellung existierender „Mehrzweckbau- 
ten”: Hamburg: S-Bahnhof Jungfernstieg 
(Zugänge laut ZS Magazin „durch Türen ka- 
schiert, die gut zur friedensmäßigen Ausstat- 
tung dieser Halle passen und nicht im gering- 
sten auffallen”); S-Bahnhof Stadthausbrük- 
ke; S-Bahnhof Reeperbahn. Berlin: U-Bahn- 
hof Pankstraße und Siemensdamm. Mainz: 
Tiefgarage am Kurfürstlichen Schloß. Bre- 
men: Domshof-Bunker. Bonn: U-Bahnsta- 
tion Hauptbahnhof. Stuttgart: U-Bahnhof 
Stadtmitte. München: U-Bahnhof Innsbruk- 
ker Ring; und, funkelnagelneu, U-Haupt- 
bahnhof. 
Direkt vor dem U-Bahn-Eingang, gegen- 
über der Kalker Post, liegt die Chemische Fa- 
brik Kalk. Ich gehe durch einige entweste 
Straßen, die das Fabrikgelände schneiden, 
dann durch ‘das angrenzende, alte, weite Ar- 
beiterviertel. Bahnunterführungen, alte Pa- 
rolen „Ulrike ermordet”, neue Plakate zur 
„Türkeihilfe” mit Fotos von Gefolterten. 
Hier im Osten Kölns glaubt man sich schon 
im Ruhrgebiet. Nach fünf Zigaretten beginne 
ich mit den Interviews vor der Kalker Post. 
Nee, hab ich noch nichts von gehört. Für 
wen nehmen Sie das auf? Das machen die 
doch alles klammheimlich. Haben wir das nö- 
tig? Fangen sie jetzt wieder an? Ich kann mir 
das garnicht vorstellen. Es wird schon mal da- 
von gesprochen. Ich fahre nie mit der U- 
Bahn. Die Kleinen können ja verrecken, die 
Großen retten sich sehon. Wenn die rauskom- 
men, dann müssen sie alle mal wieder selber 
arbeiten. Im Grunde genommen muß jeder 
sterben. Am besten tun sie die kleinen Babys 
rein. 2225? Ein Witz, im Grunde genommen. 
Nichts gehört. Das weiß ich nicht. Könnte ja 
möglich sein. Ne große Meinung hab ich da- 
zu. Die sind feige. Wenn uns nichts passiert, 
wozu brauchen wir dann die Bunker, also ha- 
ben die und was verheimlicht, sie sollen uns 
doch sagen, was sie vorhaben. Atombombe 
abschaffen. 
fieärr 
Der 17. Juni ist wie der ganze Sommer etwas 
verregnet. Auf der Topographischen Karte 
5408 war außer einem merkwürdigen schwar- 
zen Strich auf der Straße, die bei Marienthal: 
vom Ahrtal nach Norden abgeht, und einem 
Drahtzaun auf den Weinbergen nördlich von 
Dernau nichts zu erkennen. 
Die Autobahn von Köln nach Bonn ist leer, 
nach Bonn noch leerer. Ich nehme die Ab- 
fahrt Bad-Neuenahr — Ahrweiler. 
„Immer heiter — Gott hilft weiter”, steht auf 
dem Gründerzeit-Bahnhof von Neuenahr, 
und: „Froher Mut — gesundes Blut”. Das 
Städtchen ist ein halbmondäner Kurort mit 
all seinen Schrecken: Privatkliniken, Spiel- 
bank, Glockenspiel in der Fußgängerzone, 
Anlagen. Das mittels des pennsylvanischen 
Springschlagverfahrens gebohrte Apollinaris- 
Wasser schmeckt hier lauwarm, eisenhaltig 
und, wie es soll, mild-prickelnd. 
Ich fahre ins Ahrtal hinein bis zum einge- 
meindeten Ahrweiler, einem mittelalterlich 
wirkenden Ort, umgeben von Stadtmauern. 
Würde ich hier nun nach Süden abbiegen, kä- 
me ich nach drei Kilometern zur Katastro- 
phenschutzschule des Bundes. Statt dessen 
betrachte ich die hohen Brückenpfeiler, die 
kurz vor Ahrweiler auf der nördlichen Talsei- 
te ins Leere starren, Überreste der am Ende 
des Ersten Weltkrieges gebauten Luden- 
dorff-Bahn. 
Obwohl die Transporte von Sprengstoff und 
Munition von Köln nach Jünkerath Tag und 
Nacht gerollt waren, hatte die eingleisige 
Ahrtalbahn nicht mehr ausgereicht. In einer 
letzten Anstrengung versuchte man deshalb, 
eine parallele Eisenbahnlinie an der Nordsei- 
te des Tals entlangzuziehen. Unter dem Sil- 
berberg, unter den Ausläufern des Kratze- 
mich und unter dem Hardtberg wurden drei 
Tunnels ausgesprengt. Von Dernau aus lief 
die Linie dann auf einem Damm und münde- 
te bei Rech in die alte Bahn. 
Bitter bemerkt ein silberhaariger Pensionist, 
der mich zu den römischen Ausgrabungen am 
Fuße des Silberberges begleitet, daß die 
Franzosen nach dem Versailler Vertrag die 
Armierungen von der fast schon fertiggestell- 
ten Brücke gerissen hätten. Zwischen den 
Weltkriegen wurden dann in den Tunnels 
Champignons gezüchtet. In den vierziger 
Jahren kam das Militär wieder und begann im 
Rahmen des „Geheimprojekts Mittelbau” im 
Tunnel unter dem Kratzemich mit der Mon- 
tage von V-2-Raketen. Tarnname des Tun- 
nels Rebstock (alt): Paula. Der ältere Herr 
hat schöne blaue Augen und einen Spazier- 
stock. „Was Sie heute von Ahrweiler sehen”, 
sagt er, „wurde fast alles nach dem Krieg auf- 
gebaut.” Die Bombardements der Alliierten 
verschütteten die Ahr, und die Bewohner des 
Tales retteten sich nach dem Angriff Weih- 
nachten 1944 in den leerstehenden Tunnel 
unter dem Silberberg, wo sie zu Tausenden in 
Dreck und Qualm unter tropfenden Wänden, 
in primitiv zusammengezimmerten Verschlä- 
gen die Ankunft der Amerikaner erwarteten. 
Ich steige das Sträßchen zwischen dem Sil- 
berberg und dem Haus Hohenzollern hoch. 
Der nach dem Krieg ebenso wie die anderen 
Tunnel gesprengte Stollen unter dem Silber- 
berg, auf dem einer der besten Rotweine des 
Ahrtals wächst, wurde nie mehr eröffnet. Die 
anderen beiden beherbergen heute noch den 
Bunker, aus dem heraus die Bundestegierung 
im Notstandsfall zu regieren gedenkt. „Dort 
oben”, hatte mein freundlicher Führer ge- 
sagt, „liegt einer der Eingänge.” Der in Ma- 
rienthal freilich sei populärer. Ich finde 
nichts, kehre unverrichteter Dinge um und 
fahre zwischen Weinhängen die Ahr entlang 
nach Marienthal. 
Nur wenige Häuser, das Gasthaus der Win- 
zergenossenschaft. Vor dem Sträßchen, das 
auf meiner Karte zu dem merkwürdigen
	        

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