Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

Orte, Regionen, Milit 
Wenn in den letzten Jahren zahlreiche Initiati- 
ven sich gegen überschießende Verkehrsplan- 
ungen gewehrt haben, so geschah dies mit Ar- 
gumenten, die sich auf die umweltzerstören- 
den Folgen des Straßenbaus bezogen. Trotz 
aller Proteste aus der Bevölkerung werden 
aber immer noch in bürokratischer Manier 
scheinbar sinnlose Straßenprojekte durchge- 
zogen, die die Landschaft weiter zerstören 
und Stadt und Land unter einem Beton- und 
Asphaltnetz begraben. Dieses gigantische 
Straßennetz läßt erst seinen Sinn erkennen, 
wenn es in einen anderen Zusammenhang als 
den der ’Bedarfsplanung’ gebracht wird: Das 
Verkehrssystem der BRD ist nicht nur fest in 
das militärisch-strategische Konzept der NA- 
TO eingeplant, es wird — umgekehrt — zum 
größten Teil erst aus militärischen Bedürfnis- 
sen heraus entwickelt. Die Straßenbedarfspla- 
nung ordnet sich militärischen Interessen un- 
ter, die sich ’zum Glück’ häufig mit zivilen In- 
teressen verschleiern lassen. So wird es in den 
meisten Fällen kaum möglich sein, aus der lo- 
kalen Situation heraus auf die militärischen 
Hintergründe eines Straßenprojektes zu schlie- 
Ben. Eine so augenfällige Beziehung zwischen 
Autobahnbau und Militär wie beim Bau der A 
50, die Antwerpen mit der Startbahn West ver- 
binden soll, ist nicht überall leicht herzustel- 
len. Es bedarf schon der Einordnung in das 
strategische Gesamtkonzept der NATO und 
des Vergleichs mit der Lage militärischer Ein- 
richtungen, um die Bedeutung einer Straße 
über die zivilen Interessen hinaus zu erken- 
nen. 
Die alltägliche Aufrüstung 
Was bedeutet die NATO-Strategie für einzel- 
ne Regionen innerhalb der BRD? 
W enden wir uns zunächst dem Prinzip 
der ’Vorne-Verteidigung’ zu: „Vorne- 
Verteidigung bedeutet grenznahe, zusammen- 
hängende Verteidigung mit dem Ziel, mög- 
lichst wenig Gebiet zu verlieren ... Das 
schließt die Rückgewinnung des verlorenge- 
gangenen Territoriums ein.” ’ Diese offizielle 
Definition zeigt, daß unter dem Begriff ’Ver- 
teidigung’ etwas mehr zu verstehen ist, als das 
Wort im allgemeinen Sprachgebrauch bedeu- 
tet: 
Die Vorne-Verteidigung, die also darauf 
abzielt, dem Feind keinen Quadratmeter Flä- 
che zu überlassen, weist innerhalb der 
Kampfzone BRD vier Rückzugslinien aus: 
'Liliy, Lulu, Lava und Lupin’. „Erreichen 
Truppen des Warschauer Pakts eine dieser 
Rückzugslinien, sollen bestimmte Atomwaf- 
fen eingesetzt werden.”“ Für den Fall, daß 
der Gegner auf ’breiter Front’ durchbricht, 
werden großräumige Gebiete der BRD mit 
Atomwaffen in „eine unüberwindliche Kra- 
terlandschaft verwandelt”” Unsere ’Verteidi- 
gung’ nimmt also in Kauf, daß große Teile 
der BRD durch Atomwaffen eigenhändig 
zerstört werden. 
Das rückwärtige Kampfgebiet dient im Ge- 
gensatz zum eigentlichen ’Kampfschauplatz’ 
der Sicherstellung des Truppennachschubs 
bzw. nimmt alle notwendigen Einrichtungen 
für den Luftkrieg auf: Luftangriff, Luftvertei- 
digung und Aufklärung erfolgen von Flug- 
plätzen aus, die „in und westlich der in einem 
Halbbogen verlaufenden Linie Schleswig - ... 
- Augsburg liegen. Vorwärts dieser Linie sind 
nur wenige Flugplätze ständig belegt.” (sie- 
he Abbildung D 
In der vorderen Kampfzone, also östlich 
dieser (in der Abbildung strichpunktierten) 
Linie liegen im wesentlichen die übrigen Di- 
visionen, z.B. Jäger, Panzer und Panzergre- 
nadiere: Die beiden anderen Linien stellen 
Flugabwehrgürtel dar, auf denen sich die 
Stellungen der Flugabwehrraketen Hawk 
Runrid Fox, Birgit Jakobs, 
Elke Metzner, Dietmar Mirkes 
Die alltägliche Aufrüstung 
oder: Was hat die NATO mit dem Straßenbau zu tun? 
05 
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A“ 
Die Entwicklung der NATO-Strategien für 
Mitteleuropa . 
® allgemeine nukleare Reaktion gegen das strategische 
Potential des Gegners. 
Frankreich tritt aus der NATO aus, weil die USA mit der 
neuen Strategie das Risiko auf die Bündnispartner verla- 
gern. Damit scheiden die französischen Nachschublinien 
als sicher einkalkulierbare aus, die Nachschub-Infra- 
struktur wird nach Belgien und Holland verlagert (Ant 
werpen, Rotterdam). Es gilt das Prinzip der ’Vorne-Ver: 
teidigung’ an der DDR-Grenze. West-Ost-Verbindun- 
gen (Autobahnen, Bundesstraßen) werden bis zur Ze 
nengrenze geplant. 
29.12.1982: Strategisches Konzept der ’massiven atoma- 
ren Vergeltung’. Hinter dem konventionellen Schild’ deı 
NATO- Truppen droht das atomare Schwert’ der ameri- 
kanischen Atombomber. Die BRD wird in die Strategie 
eingeplant, der Rhein gilt als Verteidigungslinie- 
23.10.1954: Pariser Verträge’ — offizielle Aufnahme der 
BRD in die NATO. Die Voraussetzungen für die Remili- 
tarisierung der Bundesrepublik werden geschaffen 
6.8.1980: Strategie der ausgewählten Zielplanung. Kleine 
atomare Sprengköpfe ermöglichen eine gezielte Zerstö- 
rung der wichtigsten industriellen, politischen und militä- 
rischen Einrichtungen in der Sowjetunion. Der Strategie 
zugeordnet sind das NATO-Langzeitprogramm, das die 
"Modernisierung der nuklearen Kräfte in und für Europa’ 
zum Ziel hat und der Doppelbeschluß von 1979, der die 
Stationierung von 572 Mittelstreckenraketen in Europa 
vorsieht, davon 112 ’Cruise Missiles’ und 108 ’Pershing 
IP in der BRD. Die neue Strategie senkt die nukleare 
Schwelle und verringert die Vorwarnzeit in Konflikten, 
Der Nachschub muß so schnell wie möglich herange. 
schafft werden können, die vorhandenen Raketensyste- 
me müssen ständig einsatzbereit sein — und zwar mög- 
lichst mobil. 
21.3.1957: Die Doktrin der massiven Vergeltung wird um 
den Einsatz taktischer Atomwaffen ergänzt. Die bisherige 
Rhein-Verteidigungslinie wird bis zur Linie Weser/Fulda/ 
Main/Lech vorgezogen. In der BRD werden Atomwaf- 
fen stationiert. 
13.12.1967: Strategie der ’ Flexible Response’. ’Abgestufte 
Abschreckung’ durch eine Skala konventioneller und nu- 
klearer Reaktionen auf alle Angriffsarten: 
® konventionelle Direktverteidigung 
+ vorbedachte Eskalation auf nuklearer Ebene 
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