Orte, Regionen, Milit
Wenn in den letzten Jahren zahlreiche Initiati-
ven sich gegen überschießende Verkehrsplan-
ungen gewehrt haben, so geschah dies mit Ar-
gumenten, die sich auf die umweltzerstören-
den Folgen des Straßenbaus bezogen. Trotz
aller Proteste aus der Bevölkerung werden
aber immer noch in bürokratischer Manier
scheinbar sinnlose Straßenprojekte durchge-
zogen, die die Landschaft weiter zerstören
und Stadt und Land unter einem Beton- und
Asphaltnetz begraben. Dieses gigantische
Straßennetz läßt erst seinen Sinn erkennen,
wenn es in einen anderen Zusammenhang als
den der ’Bedarfsplanung’ gebracht wird: Das
Verkehrssystem der BRD ist nicht nur fest in
das militärisch-strategische Konzept der NA-
TO eingeplant, es wird — umgekehrt — zum
größten Teil erst aus militärischen Bedürfnis-
sen heraus entwickelt. Die Straßenbedarfspla-
nung ordnet sich militärischen Interessen un-
ter, die sich ’zum Glück’ häufig mit zivilen In-
teressen verschleiern lassen. So wird es in den
meisten Fällen kaum möglich sein, aus der lo-
kalen Situation heraus auf die militärischen
Hintergründe eines Straßenprojektes zu schlie-
Ben. Eine so augenfällige Beziehung zwischen
Autobahnbau und Militär wie beim Bau der A
50, die Antwerpen mit der Startbahn West ver-
binden soll, ist nicht überall leicht herzustel-
len. Es bedarf schon der Einordnung in das
strategische Gesamtkonzept der NATO und
des Vergleichs mit der Lage militärischer Ein-
richtungen, um die Bedeutung einer Straße
über die zivilen Interessen hinaus zu erken-
nen.
Die alltägliche Aufrüstung
Was bedeutet die NATO-Strategie für einzel-
ne Regionen innerhalb der BRD?
W enden wir uns zunächst dem Prinzip
der ’Vorne-Verteidigung’ zu: „Vorne-
Verteidigung bedeutet grenznahe, zusammen-
hängende Verteidigung mit dem Ziel, mög-
lichst wenig Gebiet zu verlieren ... Das
schließt die Rückgewinnung des verlorenge-
gangenen Territoriums ein.” ’ Diese offizielle
Definition zeigt, daß unter dem Begriff ’Ver-
teidigung’ etwas mehr zu verstehen ist, als das
Wort im allgemeinen Sprachgebrauch bedeu-
tet:
Die Vorne-Verteidigung, die also darauf
abzielt, dem Feind keinen Quadratmeter Flä-
che zu überlassen, weist innerhalb der
Kampfzone BRD vier Rückzugslinien aus:
'Liliy, Lulu, Lava und Lupin’. „Erreichen
Truppen des Warschauer Pakts eine dieser
Rückzugslinien, sollen bestimmte Atomwaf-
fen eingesetzt werden.”“ Für den Fall, daß
der Gegner auf ’breiter Front’ durchbricht,
werden großräumige Gebiete der BRD mit
Atomwaffen in „eine unüberwindliche Kra-
terlandschaft verwandelt”” Unsere ’Verteidi-
gung’ nimmt also in Kauf, daß große Teile
der BRD durch Atomwaffen eigenhändig
zerstört werden.
Das rückwärtige Kampfgebiet dient im Ge-
gensatz zum eigentlichen ’Kampfschauplatz’
der Sicherstellung des Truppennachschubs
bzw. nimmt alle notwendigen Einrichtungen
für den Luftkrieg auf: Luftangriff, Luftvertei-
digung und Aufklärung erfolgen von Flug-
plätzen aus, die „in und westlich der in einem
Halbbogen verlaufenden Linie Schleswig - ...
- Augsburg liegen. Vorwärts dieser Linie sind
nur wenige Flugplätze ständig belegt.” (sie-
he Abbildung D
In der vorderen Kampfzone, also östlich
dieser (in der Abbildung strichpunktierten)
Linie liegen im wesentlichen die übrigen Di-
visionen, z.B. Jäger, Panzer und Panzergre-
nadiere: Die beiden anderen Linien stellen
Flugabwehrgürtel dar, auf denen sich die
Stellungen der Flugabwehrraketen Hawk
Runrid Fox, Birgit Jakobs,
Elke Metzner, Dietmar Mirkes
Die alltägliche Aufrüstung
oder: Was hat die NATO mit dem Straßenbau zu tun?
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N
A“
Die Entwicklung der NATO-Strategien für
Mitteleuropa .
® allgemeine nukleare Reaktion gegen das strategische
Potential des Gegners.
Frankreich tritt aus der NATO aus, weil die USA mit der
neuen Strategie das Risiko auf die Bündnispartner verla-
gern. Damit scheiden die französischen Nachschublinien
als sicher einkalkulierbare aus, die Nachschub-Infra-
struktur wird nach Belgien und Holland verlagert (Ant
werpen, Rotterdam). Es gilt das Prinzip der ’Vorne-Ver:
teidigung’ an der DDR-Grenze. West-Ost-Verbindun-
gen (Autobahnen, Bundesstraßen) werden bis zur Ze
nengrenze geplant.
29.12.1982: Strategisches Konzept der ’massiven atoma-
ren Vergeltung’. Hinter dem konventionellen Schild’ deı
NATO- Truppen droht das atomare Schwert’ der ameri-
kanischen Atombomber. Die BRD wird in die Strategie
eingeplant, der Rhein gilt als Verteidigungslinie-
23.10.1954: Pariser Verträge’ — offizielle Aufnahme der
BRD in die NATO. Die Voraussetzungen für die Remili-
tarisierung der Bundesrepublik werden geschaffen
6.8.1980: Strategie der ausgewählten Zielplanung. Kleine
atomare Sprengköpfe ermöglichen eine gezielte Zerstö-
rung der wichtigsten industriellen, politischen und militä-
rischen Einrichtungen in der Sowjetunion. Der Strategie
zugeordnet sind das NATO-Langzeitprogramm, das die
"Modernisierung der nuklearen Kräfte in und für Europa’
zum Ziel hat und der Doppelbeschluß von 1979, der die
Stationierung von 572 Mittelstreckenraketen in Europa
vorsieht, davon 112 ’Cruise Missiles’ und 108 ’Pershing
IP in der BRD. Die neue Strategie senkt die nukleare
Schwelle und verringert die Vorwarnzeit in Konflikten,
Der Nachschub muß so schnell wie möglich herange.
schafft werden können, die vorhandenen Raketensyste-
me müssen ständig einsatzbereit sein — und zwar mög-
lichst mobil.
21.3.1957: Die Doktrin der massiven Vergeltung wird um
den Einsatz taktischer Atomwaffen ergänzt. Die bisherige
Rhein-Verteidigungslinie wird bis zur Linie Weser/Fulda/
Main/Lech vorgezogen. In der BRD werden Atomwaf-
fen stationiert.
13.12.1967: Strategie der ’ Flexible Response’. ’Abgestufte
Abschreckung’ durch eine Skala konventioneller und nu-
klearer Reaktionen auf alle Angriffsarten:
® konventionelle Direktverteidigung
+ vorbedachte Eskalation auf nuklearer Ebene
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