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VMLANTIC WAL
Up to D-Day.
Alexander Kluge
„Bauen
für
den
Krieg”
AA reden hier von industrialisiertem
Krieg, können also den Festungsbau bis
zum 19. Jahrhundert auslassen. Mantua hält
sich nicht gegen Bonaparte; die preußischen
Festungen kapitulieren sämtlich ag@ßer Kol-
berg; anschließend kapitulieren, nicht ganz so
rasch, die französischen Festungsbesatzun-
gen nach 1812.
Sensationell ist erst die Ausstattung der
Festung Sewastopol durch den Baron von
Totleben, einen russischen General des
Krimkrieges.
1914 ziehen sämtliche Armeen in einen
Angriffskrieg. Nicht im Traum denkt irgend-
wer an Festungen oder Verteidigung. Aus
Verdun werden Kanonen abtransportiert, es
geht um Angriff & outrance. Plötzlich finden
sich alle Kriegsmächte, entgegen den Plänen
und Phantasien, in einem Stellungskrieg. Man
kann sagen: In den Hirnen der Befehlshaber
verbreitet sich die gleiche Unbeweglichkeit,
die in den Schützengräben des Stellungskriegs
herrst. Dies ist der Moment, in welchem der
deutsche Verantwortliche, Feldherr General
von Falkenhayn, eine fürchterliche Idee
entwickelt: eine Schlacht schlagen, in welcher
es um keinerlei Entscheidung geht, sondern
um „Ausbluten an und für sich“. Wir müssen
den Feind zum Zusammenbruch bringen,
indem wir ihn ausbluten. Genau dasselbe
denken die Gegner, selbstverständlich umge-
kehrt. Dies ist der Ansatz der Schlacht von
Verdun: Es geht um industrialisierten Mord.
Es ist eine Lüge, wenn jemand Vorgänge wie
diesen als Krieg oder als Schlacht (was für ein
fürchterliches Wort). bezeichnet. Die Vor-
gänge unterscheiden sich von dem, was man
im 19. Jahrhundert Krieg nennt, dadurch, daß
die angehäuften Kriegsgütermassen jede mit
ihnen verknüpfte Kriegsinitiative zusammen-
schlagen. So etwas ist kein subjektiv-objek-
tives Verhältnis, sondern von Menschen
gesehen etwas strikt Unwirkliches.
Ohne die Schocks von Verdun keine
Maginot-Linie. Da beide militärischen Füh-
rungen, die deutsche und die französische, den
Sieg, das Fanal, den Mythos von Verdun für
sich beanspruchten, waren nur selektive,
sozusagen negative Lernprozesse möglich. Da
Frankreich seine Entscheidungen in den
Zwanziger Jahren traf, das Deutsche Reich
seine Entscheidungen dagegen erst nach 1935,
gingen die falschen Lernprozesse jeweils in die
direkt entgegengesetzte Richtung. Die franzö-
sische militärische Führung investierte in
einen ungeheuren Rüstungsaufwand, der der
Utopie einer Universal-Festung nachjagte.
Die Maginot-Linie erschien als eine perfekte
Fabrikanlage, die Verteidigung herstellt.
Solche Anlagen argumentieren nur zu einem
geringen Teil in Richtung des militärischen
Gegners. Ihre hauptsächliche Rhetorik wen-
det sich an den innenpolitischen Gegner;
zugleich haben solche Festungen die Tendenz,
Verteidigungsanlagen gegen die Geschichte
des eigenen Landes zu bilden. In dieser
Hinsicht handelt es sich um ideelle Gebilde,
auch wenn sie aus Stahl und Beton bestehen,
was gewöhnlich als Materie gilt.
Diesen Charakter einer Ideen- oder Propa-
gandaanlage haben auch der sog. Westwall,
der bis 1939, und der sog. Atlantik-Wall, der
nach 1942 errichtet wurde. Während die
Maginot-Linie stadt- und fabrikähnliche
Anlagen umfaßte, die eine z.T. subtile Ver-
zweigung nach Einzelzwecken vorsehen, quasi
handwerkliche Enden zeigen, stehen bei den
Bauten der Organisation Todt eine eher
paradeförmige, die Massenwirkung heraus-
stellende Bauweise, ohne Differenzierung im
einzelnen, im Vordergrund. Die Maginot-
Linie erinnert an technische Architekturen;
der Atlantik-Wall erinnert an Bühnen-
Bauweise. Bei der Maginot-Linie strenge
„Verkorkung“ aller Öffnungen, die Panzer-
türme liegen im Erdreich, fahren hydraulisch
zur Oberfläche und sinken nach dem Schuß
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