Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

CA 
VMLANTIC WAL 
Up to D-Day. 
Alexander Kluge 
„Bauen 
für 
den 
Krieg” 
AA reden hier von industrialisiertem 
Krieg, können also den Festungsbau bis 
zum 19. Jahrhundert auslassen. Mantua hält 
sich nicht gegen Bonaparte; die preußischen 
Festungen kapitulieren sämtlich ag@ßer Kol- 
berg; anschließend kapitulieren, nicht ganz so 
rasch, die französischen Festungsbesatzun- 
gen nach 1812. 
Sensationell ist erst die Ausstattung der 
Festung Sewastopol durch den Baron von 
Totleben, einen russischen General des 
Krimkrieges. 
1914 ziehen sämtliche Armeen in einen 
Angriffskrieg. Nicht im Traum denkt irgend- 
wer an Festungen oder Verteidigung. Aus 
Verdun werden Kanonen abtransportiert, es 
geht um Angriff & outrance. Plötzlich finden 
sich alle Kriegsmächte, entgegen den Plänen 
und Phantasien, in einem Stellungskrieg. Man 
kann sagen: In den Hirnen der Befehlshaber 
verbreitet sich die gleiche Unbeweglichkeit, 
die in den Schützengräben des Stellungskriegs 
herrst. Dies ist der Moment, in welchem der 
deutsche Verantwortliche, Feldherr General 
von Falkenhayn, eine fürchterliche Idee 
entwickelt: eine Schlacht schlagen, in welcher 
es um keinerlei Entscheidung geht, sondern 
um „Ausbluten an und für sich“. Wir müssen 
den Feind zum Zusammenbruch bringen, 
indem wir ihn ausbluten. Genau dasselbe 
denken die Gegner, selbstverständlich umge- 
kehrt. Dies ist der Ansatz der Schlacht von 
Verdun: Es geht um industrialisierten Mord. 
Es ist eine Lüge, wenn jemand Vorgänge wie 
diesen als Krieg oder als Schlacht (was für ein 
fürchterliches Wort). bezeichnet. Die Vor- 
gänge unterscheiden sich von dem, was man 
im 19. Jahrhundert Krieg nennt, dadurch, daß 
die angehäuften Kriegsgütermassen jede mit 
ihnen verknüpfte Kriegsinitiative zusammen- 
schlagen. So etwas ist kein subjektiv-objek- 
tives Verhältnis, sondern von Menschen 
gesehen etwas strikt Unwirkliches. 
Ohne die Schocks von Verdun keine 
Maginot-Linie. Da beide militärischen Füh- 
rungen, die deutsche und die französische, den 
Sieg, das Fanal, den Mythos von Verdun für 
sich beanspruchten, waren nur selektive, 
sozusagen negative Lernprozesse möglich. Da 
Frankreich seine Entscheidungen in den 
Zwanziger Jahren traf, das Deutsche Reich 
seine Entscheidungen dagegen erst nach 1935, 
gingen die falschen Lernprozesse jeweils in die 
direkt entgegengesetzte Richtung. Die franzö- 
sische militärische Führung investierte in 
einen ungeheuren Rüstungsaufwand, der der 
Utopie einer Universal-Festung nachjagte. 
Die Maginot-Linie erschien als eine perfekte 
Fabrikanlage, die Verteidigung herstellt. 
Solche Anlagen argumentieren nur zu einem 
geringen Teil in Richtung des militärischen 
Gegners. Ihre hauptsächliche Rhetorik wen- 
det sich an den innenpolitischen Gegner; 
zugleich haben solche Festungen die Tendenz, 
Verteidigungsanlagen gegen die Geschichte 
des eigenen Landes zu bilden. In dieser 
Hinsicht handelt es sich um ideelle Gebilde, 
auch wenn sie aus Stahl und Beton bestehen, 
was gewöhnlich als Materie gilt. 
Diesen Charakter einer Ideen- oder Propa- 
gandaanlage haben auch der sog. Westwall, 
der bis 1939, und der sog. Atlantik-Wall, der 
nach 1942 errichtet wurde. Während die 
Maginot-Linie stadt- und fabrikähnliche 
Anlagen umfaßte, die eine z.T. subtile Ver- 
zweigung nach Einzelzwecken vorsehen, quasi 
handwerkliche Enden zeigen, stehen bei den 
Bauten der Organisation Todt eine eher 
paradeförmige, die Massenwirkung heraus- 
stellende Bauweise, ohne Differenzierung im 
einzelnen, im Vordergrund. Die Maginot- 
Linie erinnert an technische Architekturen; 
der Atlantik-Wall erinnert an Bühnen- 
Bauweise. Bei der Maginot-Linie strenge 
„Verkorkung“ aller Öffnungen, die Panzer- 
türme liegen im Erdreich, fahren hydraulisch 
zur Oberfläche und sinken nach dem Schuß 
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