Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

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Das geplante 
Großgermanische Reich 
Grenzen von 1937 
Dsten, vollig einzudeutschen binnen der ersten 
Jahrzehnte bis zur Linie : Ladogasee, 
Naldaıhöhen, Briansk, Dnjeprbogen 
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Radikalere Strömungen großbürgerlicher In- 
lustrieller und Politiker publizierten vor, 
während und nach dem ’großen Völkerrin- 
zen’ des 1. Weltkrieges ungeschminkten Ex- 
»ansionsdrang. In der Zeitschrift Deutsche 
Yolitik’ schrieb Ernst Jäckh vom „geopoliti- 
schen, Zwang” eines „größeren Mitteleuro- 
ya“ 
Wie schwer den Landsern in den Schützen- 
eräben der nackte Wirtschaftsimperialismus 
der (be)herrschenden Schicht zu verkaufen 
war, wurde den Verantwortlichen spätestens 
zum Beginn des Stellungskrieges und der 
furchtbaren Materialschlachten bewußt. 
So gab es starke Tendenzen, die darauf ab- 
zielten, den 1. Weltkrieg eben nicht als 
'Schuld irgendeines Staatsmannes’, als ’Folge 
von Versäumnissen’, von Laune oder Willkür 
erscheinen zu lassen, sondern als „Geopoliti- 
sches Schicksal von Völkern, als der Zusam- 
menprall von Willensnotwendigkeiten, die 
aus geographischen Grundlagen gewachsen 
sind zu politischen Nötigungen, zum geopoli- 
tischen Zwang. ””” 
Das „Deutschland, Deutschland über al- 
les” (besser: „über allem”) paßte selbst ei- 
nem — für die damaligen Verhältnisse — libe- 
ralen Politiker wie Friedrich Naumann ernst- 
haft und radikal ins politische Programm. Er 
sah den vom deutschen Reich aus wirtschaft- 
lich und politisch geführten und beherrschten 
mitteleuropäischen Raum als Hemisphäre, 
die sich bis zur Adria und dem Balkan er- 
streckte. Ganz bewußt griff er diesen Wirt- 
schaftsraum größer als das Gebiet des Deut- 
schen Reiches mit Österreich-Ungarn, sah je- 
doch gleichzeitig den Zündstoff, den diese 
Expansionsforderung auf kleinere Nachbar- 
staaten ausüben mußte.“ 
In welchen Dimensionen und Faktoren 
lange vor dem 1. Weltkrieg gedacht und pu- 
bliziert wurde, zeigt die Stellungnahme der 
’Alldeutschen Blätter” vom 13.1.1895 zum 
Buch ’Germania triumphans’.”” Es wurde 
Nicht nur der ’Drang nach Osten’, sondern 
auch die kommende kriegerische Auseinan- 
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dersetzung zwischen Deutschland und dem 
’Erbfeind’ Frankreich prophezeit — und (be- 
reits 1895!) gewünscht. Ohne diesen künfti- 
gen Krieg war die gewünschte mächtige Aus- 
dehnung nach Osten nicht möglich. Man 
wünschte sich einzuverleiben: „die Ostsee- 
provinzen, Litauen, Polen, Wolhynien, Po- 
dolien und Südrußland mit der Krim.” 
Jenes Gedankengut, das ob seiner Radika- 
lität und unverblümten Kernsprache Merk- 
mal des Hitlerfaschismus werden sollte, war 
gewissen Kreisen schon lange geläufig, als 
Hitler während der Festungshaft in Lands- 
berg am Lech seine politischen Ziele apostro- 
phierte. 
Nicht nur die Zielrichtung der Expansions- 
politik, sondern auch die Radikalität der er- 
strebten Mittel und Konsequenz der Denk- 
weise waren vorgegeben und beispielhaft. 
Die Vertreibung der „undeutschen” Bevöl- 
kerung sowie die „Vorbehaltung aller öffent- 
lichen Rechte” für die Deutschen waren 
ebenso schon impliziert wie die A Expropriie- 
rung” allen Grund und Bodens.‘ ) 
Die vernichtende Niederlage 1918 und der 
demütigende Friedensschluß von Versailles 
beendigte den Expansionsdrang dieser ’Geo- 
politiker’ nicht und beschränkte ihre Ansprü- 
che an Raum und Macht keineswegs. 
Hitler übernahm von seinen alldeutschen 
und rechtskonservativen Stammvätern die 
Forderungen nach „innerer, geistiger Aufrü- 
stung””, nach Erringung der Wehrfreiheit 
und völliger nationaler Restitution, vor allem 
aber den militanten bürgerlichen Widerstand 
gegen die drohende marxistische oder auch 
sozialistische Revolution.” 
Nicht grundlos schätzte der nationalsoziali- 
stische Führer den antisemitischen Rassen- 
lehrer Houston Stewart Chamberlain, der sei- 
ne Praxis im Osten in den ’Grundlagen des 
XIX. Jahrhunderts’ von 1900 vorwegnahm 
und bedauerte 
„...daß die Germanen der Völkerwanderzeit nicht gründli- 
cher vertilgten, und wenn er behauptet, daß die Germanen 
überall dort (im Ordensland, in Amerika zum Beispiel) die 
sicherste Grundlage zum Höchsten und Sittlichsten legten, 
wo sie ganze Völker und Stämme hinschlachteten oder 
langsam, durch grundsätzliche Demoralisation, hinmorde- 
ten, um Platz für sich selbst zu bekommen ”® 
Der Faschismus-Theoretiker Ernst Nolte 
prägte ob des Umstandes, daß „Hitlers Herr- 
schaft ihr populäres Fundament in den völki- 
schen Problemen des besiegten Deutschlands 
hatte” und der Wille zur Eroberung neuen 
Lebensraumes im europäischen Osten so früh 
und so häufig ausgesprochen wurde, den Be- 
griff 
„totalitäre raumpolitische Eroberungsdiktatur” 
für das Herrschaftssystem Hitlerdeutsch- 
lands.” 
In Bezug auf die radikale und kompromiß- 
lose Gegnerschaft gegenüber fremden Natio- 
nalitäten, politisch-religiösen Anschauungen 
sowie Rassen gebrauchte Nolte den treffen- 
den Terminus der „Vernichtungsdespotie”.°® 
Als Hans Grimm 1926 das populäre 
Schlagwort vom ’Volk ohne Raum’ erfand, 
dachten die meisten Deutschen noch in den 
Kategorien der alten Reichsgrenzen. 
Nach Beginn des 2. Weltkrieges jedoch 
wurden erste Besiedlungspläne entwickelt, 
die sich nicht mehr auf deutschsprachige Ge- 
biete beschränkten. 
Aus Alfred Rosenbergs (später Ostmini- 
ster) Tagebuchnotizen sind Hitlers Äußerun- 
gen vom 29.9.1939 zur Aufteilung Polens be- 
kannt: 
Er wolle das jetzt (im deutsch-sowjetischen Grenz- und 
Freundschaftsvertrag vom 28.9.) festgelegte Gebiet in drei 
Streifen teilen: 
1. zwischen Weichsel und Bug: das gesamte Judentum 
(auch aus dem Reich), sowie alle irgendwie unzuverlässi- 
gen Elemente. An der Weichsel einen unbezwingbaren Ost- 
wall — noch stärker als im Westen. 
2. An der bisherigen Grenze ein breiter Gürtel der Germa- 
nisierung und Kolonisierung. Hier käme eine große Auf- 
gabe für das gesamte deutsche Volk: eine deutsche Korn- 
kammer zu schaffen, starkes Bauerntum, gute Deutsche 
aus aller Welt umzusiedeln. 
3. Dazwischen eine polnische ’Staatlichkeit’. Ob nach Jahr- 
zehnten der Siedlungsgürtel vorgeschoben werden kann, 
muß die Zukunft erweisen.” 
Mit dem Uberfall auf die Sowjetunion am 
22.6.1941 kam nicht nur die Wende vom eu- 
ropäischen zum Weltkrieg, sondern auch die 
Voraussetzungen zur Realisierung der wei- 
testgehenden Lebensraum-Phantasien der 
Nazi-Faschisten in greifbare Nähe. 
Als erstes Exerzierfeld für radikalste ’Um- 
volkungs’-Pläne mußte das okkupierte Polen 
herhalten. 
Phase eins: Die Entpolonisierung Polens 
Ich habe meinen Todestruppen Befehl gegeben, unbarm- 
herzig alle Männer, Frauen und Kinder auszurotten, die der 
polnisch sprechenden Rasse angehören. Denn nur auf diese 
Weise können wir den Lebensraum erobern, den wir benö- 
tigen: Adolf Hitler. 22. August 1939 (!) 
Die Polen sollten nach der Planung der Nazis 
die Bevölkerungsgruppe sein, die nach der 
sog. „Endlösung der Judenfrage” der Ver- 
nichtung und Ausrottung preisgegeben wer- 
den würden. Ziel dieses erneuten Genocides 
war — wie Himmler meinte — die Überwin- 
dung einer seit 1500 Jahren verfahrenen deut- 
schen Geschichte und um „endlich einmal ein 
ganz solides Fundament (zu) legen”. Er woll- 
te „unsere Lager vollfüllen ... mit Arbeits- 
sklaven, die ohne Rücksicht auf irgendeinen 
Verlust unsere Städte, unsere Dörfer, unsere 
Bauernhöfe bauen.”“0 
„Sein unablässiges Drängen ging dahin, sich 
auf den Tag vorzubereiten, an‘dem der Füh- 
rer, wie er äußerte, den Ruf erhob: ’Auf nach 
Osten!’ Dann wollte er um Deutschland her- 
um einen Ring germanischer ’Herrenbauern’ 
legen, von dem aus das Imperium gesichert 
und allmählich erweitert werden sollte: einen 
„germanischen Blutswall”, hinter dem in 
’blonden Provinzen’ ein wehrhaftes Volk den 
Acker bestellte, das Brauchtum ehrte und 
Kinder zeugte, während es von Zeit zu Zeit 
durch kriegerische Ausfälle in die noch uner-
	        

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