Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

oberten Weiten Asiens sowohl Beute als auch 
Abhärtung und rassische Auslese suchte. ”“' 
Zentralpolen blieb anfangs zwar innerhalb 
der deutschen Hemisphäre, jedoch außer- 
halb der Reichsgrenzen als politisch-militä- 
risch abhängiges Staatsgebilde unter einem 
deutschen „General Gouverneur”. Ein der- 
artig geschrumpftes Restpolen sollte dem 
kriegsführenden Nazistaat als Nahrungs- und 
Rohstoffquelle sowie als Arbeitskräftereser- 
voir dienen. Nach dem Willen der nationalso- 
ziallistischen Großraumtheoretiker stellte 
das besiegte Land ein sog. ’Reichsnebenland’ 
dar und war in den militärischen Strategien 
als ’vorgeschobener Siedlungsring’ gegen die 
’bolschewistische Bedrohung’ vorgesehen.“ 
Im Winter 1939/40 wurde ein „Generalbe- 
bauungsplan” ausgearbeitet, der das „Gene- 
ralgouvernement” in sechs (später in fünf) 
nahezu gleich große Wirtschaftsgebiete glie- 
derte. 
Ziel dieser Planung war es, durch ein Netz 
„zentraler Orte deutschen Ursprungs” die 
wirtschaftliche Ausbeutung des „polnischen 
Hinterlandes” zu ermöglichen. 
Getreu dem Wunschbild Hitlers: „Aus den 
neugewonnenen Ostgebieten müssen wir ei- 
nen Garten Eden machen...”“” gingen die 
Neu-Kolonisatoren an ihr menschenverach- 
tendes Werk. Die Raumplaner sahen ihre 
Aufgabe vornehmlich darin, das deutsche 
Volkstum zu festigen bzw. in den rein pol- 
nisch besiedelten Gebieten überhaupt erst zu 
begründen. Selbst in den eingegliederten 
Ostgebieten lag der Anteil der, Volksdeut- 
schen nicht über 10 Prozent der Gesamtbe- 
völkerung. So erwies sich die gestellte Auf- 
gabe, den Aufbau und Ausbau eines einheit- 
lich geschlossenen großdeutschen Siedlungs- 
und Lebensraumes im Herzen Europas inner- 
halb kürzester Zeit zu schaffen, nur dann als 
durchführbar, wenn zu den radikalen Zielen 
ebenso kompromißlose Mittel traten. Mit 
wissenschaftlicher Akribie gingen die 
Raumeroberungsstrategen daran, das militä- 
risch geschlagene Land nun auch dauerhaft 
zu sichern.“ 
Eine wichtige Rolle spielte hierbei die 
„Christaller’sche Zentrale-Orte-Theorie.”*© 
Während sein Erfinder von einem „ideal” ge- 
nommenen Raumsystem einer Flächenglie- 
derung im Sechseckschema ausging (zuzügl. 
sog. „Randeinheiten” bis zu 10 Gliedeinhei- 
ten), das eine bestimmte Stufung der Ge- 
meindegrößen wiedergab und hierarchisch 
aufgebaut war, ließen die Größenklassen der 
Städte und Dörfer im Osten eine solche Un- 
terteilung nur bedingt zu. Wenn die Einwoh- 
nerzahl eines „Ostgaues” 2,5 - 3 Millionen 
betrug, mußten dann die Kreise ca. 200.000 
EW, die Amter rund 20.000 EW und die Dör- 
fer (Großgemeinden) rund 2000 - 3000 Ein- 
wohner haben.“” 
Der Reichsführer SS und Reichskommis- 
sar für die Festigung deutschen Volkstums 
(RFK) erließ am 30.1.1942 unter der Nr. 13/ 
II eine „Allgemeine Anordnung” über die 
„Planung und Gestaltung der Städte in den 
eingegliederten deutschen Ostgebieten”. 
Darin wird die Forderung nach einem hierar- 
chischen Aufbau der neuen Siedlungsland- 
schaften erhoben und begründet.“” Die Grö- 
ßenordnung liegt jedoch differenzierend ge- 
genüber Christaller bei einer Kreisgröße von 
ca. 60 - 80.000 EW, einer Amtergröße von 
rund 5000 und Gemeinden von ca. 500 Ein- 
wohnern. Eine besondere Problematik im 
Ostaufbau bestand darin, daß die meisten 
„Amtsstädtchen” weder Hauptdorf noch 
Kreisstadt waren, sondern größenmäßig ge- 
nau dazwischen lagen. Insbesondere im ehe- 
mals preußischen Teil Westpolens waren sol- 
che Größenklassen sehr oft anzutreffen. 
Die Theorie der Zentralen Orte war für 
den „Ostaufbau” der Nazis deshalb von so 
entscheidender Bedeutung, weil nur durch ei- 
ne organisatorisch und verwaltungsmäßig 
straffe Gliederung der eroberten Gebiete und 
ihrer Siedlungen eine dauerhafte und rei- 
bungslose Beherrschung möglich war. So 
hoffte man mit einem geringen „Menschen- 
besatz” von Einwohnern deutscher Zunge 
längerfristig die gewünschte „Umvolkung” 
bei einem Mindestmaß an militärischer Prä- 
senz realisieren zu können. *” Für die Kreis- 
städdte war jeweils eine Garnison vorgese- 
hen, die bei einer optimalen Anwendung deı 
Zentalen-Orte-Theorie eine ausreichend läh- 
mende und abschreckende Wirkung auf die 
„fremdvölkischen” Bewohner haben würde, 
Das eher mittelständische Christaller’sche 
Modell , das auf gewerbliche Produktion ab- 
gestimmt war, die sich in Bezug auf die Be- 
triebsgröße und Produktionspalette ganz auf 
die Landwirtschaft bezog, wurde von den Le- 
benraumdespoten imperialistisch verstanden 
und verwendet: Nicht die Versorgung des 
Raumes stand primär an, sondern seine Be- 
herrschung“®. 
Während die verbleibende polnische Rest- 
bevölkerung in der Landwirtschaft beschäf- 
tigt werden sollte, war die marktbeherrr- 
schende Stellung in den Unter- und Mittel- 
zentren mit ihren Kleinindustrien, Hans- 
werks- und Gewerbebetrieben ausnahmslos 
den deutschen Herren reserviert. 
„Da der Volkstumskampf, der sich zum we- 
sentlichen Teil in der Kleinstaqadt als Binde- 
glied zwischen Stadt und Land entfalten wird, 
selbstbewuste Menschen verlangt, ist neben 
einem kräftigen Unternehmertum ein hoher 
Anteil gelernter Arbeiter und gehobener An- 
gestellter erwünscht, die gewohnt sind, auf 
verantwortungsvollem Posten zu stehen.“ 5” 
Was für die Kreis- und Kleinstädte galt, muß- 
te erst recht für die nächsthöhere Zelle zu- 
treffen, den Gau. Den Gau-Hauptstädten 
(Großstädten) in den ’neuen deutschen Ost- 
gebieten’ (z.B. Posen im Gau ’Wartheland’) 
entsprachen im Generalgouvernement die 
sog. ’deutschen Kernstädte””: Lublin, Kiel- 
ce, Miedzyrze, Radom, Tomaszow und War- 
schau. Sie wurden mit enormem finanziellen, 
organisatorischen und propagandistischen 
Aufwand von z.T. riesigen Planungsstäben 
zur ’Eindeutschung’ vorbereitet. 
Treibende Kraft bei der ’Erschließung des 
neuen deutschen Lebensraums’ wurde der 
am 7.10.1939 ernannte ’Reichskommissar für 
die Festigung deutschen Volkstums’, der 
Reichsführer SS Heinrich Himmler. Er ließ 
für die polnische Hauptstadt (’deutsche’ 
Hauptstadt war inzwischen das ’entpoloni- 
sierte’ Krakau geworden)”. eine Planung 
durch eine Architektengruppe um den Würz- 
burger Architekten Pabst ausarbeiten, die 
zum Ziel nicht den Neubau, sondern die Re- 
duktion, den Abbau dieser Stadt und damit 
die Schwächung des ’Polentums’ zum Ziele 
hatte.” Ein Zwanzigstel des Umfanges von 
1939 war als Fernziel vorgesehen, wurde auch 
in Wirklichkeit erreicht, wenn man die Zer- 
störungen zugrunde legt, die die deutschen 
Truppen 1945 zurückließen; 85 Prozent der 
Bausubstanz Warschaus und 90 Prozent sei- 
ner historischen Baudenkmäler waren zu die- 
sem Zeitpunkt, nicht zuletzt durch die Aus- 
wirkungen des Ghetto-Aufstandes, in Schutt 
und Asche gelegt. Himmler befahl am 
16.2.1943 aus ’Sicherheitsgründen’ die Zer- 
störung Warschaus: 
„Für die Niederlegung des Ghettos ist mir ein Gesamtplan 
vorzulegen. Auf jeden Fall muß erreicht werden, daß der 
für 500.000 Untermenschen bisher vorhandene Wohnraum, 
der für Deutsche niemals geeignet ist, von der Bildfläche 
verschwindet und die Millionenstadt Warschau, die immer 
ein gefährlicher Herd der Zersetzung und des Aufstandes 
ist. verkleinert wird. ”® 
Was Warschau widerfuhr, mußten auch an- 
dere Teile und Städte Polens in voller Trag- 
weite erleben: sie wurden Opfer einer wahn- 
witzigen Rassenideologie, die die rechtmäßi- 
gen Bewohner als Menschen dritter Klasse 
abstempelte.“® 
Der ’Reichsführer SS und Oberste Chef 
der deutschen Polizei’ richtete im Frühsom- 
mer 1942 in Lublin eine Dienststelle für die 
Festigung deutschen Volkstums’ ein. Die- 
sem Büro war u.a. eine Abteilung angeglie- 
dert, die sich mit der Raumplanung und der 
Besiedlung im Generalgouvernement und 
dem weiteren Ostraum befaßte. Architekten 
und Baumeister fertigten Pläne an, die die 
Voraussetzung zur Exmittierung der dort be- 
heimateten Polen und die Neubesiedlung mit 
Volksdeutschen aus allen Teilen Europas 
schaffen sollten. Langfristig wollte man die 
nationale Identität der Polen auslöschen. 
Diverse ’Raumplanungen’ liefen innerhalb 
kürzester Zeit an. Mit wissenschaftlichen Me- 
thoden wurden mögliche Standorte für ’deut- 
sche’ Orte untersucht, die z.B. auf einer ge- 
ringfügigen Ansiedlung von deutschen Kolo- 
nisten im 18. Jahrhundert basieren mochten. 
Bezeichnenderweise liefen diese Aktionen 
unter dem Schlagwort: „Fahndung nach deut- 
schem Blut”. Man unterschied die Deutsch- 
stämmigen denn auch nach Hundertprozenti- 
gen, Fünfundsiebzigprozentigen usw. Fün- 
fundzwanzigprozentig war demnach derjeni- 
ge, der z.B. eine deutsche Großmutter hat- 
te.) Im “Generalgouvernement’ gab es für 
die Polen drei rassische Wertungsgruppen: 
Gruppe II: für die Wiedereindeutschung 
vorgesehen; 
Gruppe III: nur in arbeitseinsatzmäßiger 
Hinsicht von Bedeutung; 
Gruppe IV: vorgesehen für das ’Arbeitsla- 
ger Auschwitz’. 
Die Personen der Gruppen III und IV wur- 
den weiter aufgeteilt in die Verfügungen: 
1) Arbeitseinsatz Altreich 
2) Rentendörfer 
3) Kinder bis zu 14 Jahren 
4) Arbeitseinsatz im _Generalgouverne- 
ment”® 
Es dauerte nicht allzu lange, bis die Gruppe 
der Kinder mit ihren Eltern aus ’Nützlich- 
keitserwägungen’ dem Lager Ausschwitz zu- 
gestellt wurden. 
Die entstehenden Lücken in der Besied- 
lung der eroberten Ostgebiete infolge Ver- 
treibung und Ermordung sollten durch deut- 
sche Volksgruppen und später — als Folge ei- 
ner planmäßigen Rassenpolitik — durch Nor- 
weger, Schweden, Dänen und Niederländer 
gefüllt werden. 
Darin sahen Hitler und seinesgleichen das 
letzte große, erstrebenswerte Ziel der Politik: 
Europa unter der Führung der deutschen 
Herrenrasse (’Großgermanisches Reich’) ras- 
sisch völlig neu zu gestalten. Laut Plan sollten 
aus dem ’Altreich’ ca. zwei Millionen Deut- 
sche nach Polen umgesiedelt werden. 
Eins der schlimmsten der von den faschisti- 
schen Behörden an den Autochthonen verüb- 
ten Verbrechen im besetzten Osteuropa war 
die Umsetzung der nazistischen Politik in die 
Praxis: Martin Bormann im August 1942: 
„Die Slawen sollen für uns arbeiten. Soweit wir sie nicht 
brauchen, mögen sie sterben. Die slawische Fruchtbarkeit 
ist unerwünscht ”°” 
Gleiches faßte Heinrich Himmler im Oktober 
1943 in folgende Erklärung: 
„Das, was in den Völkern an gutem Blut unserer Art vor- 
handen ist, werden wir uns holen, indem wir ihnen, wenn 
notwendig, die Kinder rauben und sie bei uns großziehen. 
Ob die anderen Völker in Wohlstand leben oder ob sie ver- 
recken vor Hunger, das interessiert mich nur soweit, als wir 
sie als Sklaven unserer Kultur brauchen, anders interessiert 
mich das nicht 7% 
60
	        

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